Das EU-Recht und das Leben von uns Schwarzen Migrant:innen

Juni 6th, 2025 - von: David Yambio

Dieser Text wurde am 15.05.25 auf Englisch auf der Seite Refugees in Libya veröffentlicht.

Das verschwindende Recht

Es gibt Orte auf dieser Welt, an denen das Recht Sie wie eine zweite Haut schützt. Es begleitet Sie in die Büros, Krankenhäuser, Flughäfen, Schulen, Polizeistationen und so weiter. Es sorgt dafür, dass man freundlich mit Ihnen spricht. Es sorgt dafür, dass Ihr Name ordnungsgemäß registriert wird, dass Ihr Körper nicht ohne Ihre Zustimmung berührt wird. Aber für andere verschwindet das Recht im Moment ihrer Ankunft. Es verblasst mit dem Akzent in der Stimme oder noch schneller, je dunkler die Haut erscheint. An der Grenze wird es zerrissen wie Papier. Ich weiß das, denn ich kam nach Europa in der Erwartung, dass es ein Recht für alle gäbe. Aber nein, das EU-Recht ist nur für die Einheimischen positiv wirksam.

Das Recht, das für uns verschwindet, wird nicht gebrochen, es funktioniert genau so, wie es geschrieben steht, in Fußnoten und geheimen Absprachen und unverbindlichen Vereinbarungen, für die niemand je seine Stimme abgegeben hat. Ich habe gesehen, wie die EU das Recht zu einem raffinierten Instrument macht, nicht um uns einzubeziehen, sondern um sich selbst vor der Verantwortung zu schützen. Das Recht wird zur Grenze und Grenzen werden zur Waffe.

Ich schreibe nicht, um zu fordern, sondern um zu fragen. Ich habe Gefängnisse überlebt, die auf offiziellen Landkarten nicht verzeichnet sind. Ich habe die Erinnerung an Gewehrläufe, die auf Kindermünder gerichtet sind. Ich habe gesehen, wie Männer auf Samstagsmärkten wie Gebrauchtwaren verkauft und wie Frauen für sexuelle Vergnügungen gehandelt wurden. Ich bringe keine Drohungen mit, ich bringe mein Trauma mit und den Willen zu leben. Aber ab dem Moment, in dem ich europäischen Boden betrete, bin ich kein Mensch mehr. Ich wurde "irregulär", "illegal", eine "Fallnummer". Das Recht, von dem ich dachte, es würde mich retten, spricht meinen Namen nicht aus. Es schaut weg.

Also beginne ich, mir Fragen zu stellen. Keine rechtlichen Fragen, sondern moralische. Was macht einen Menschen würdig, gerettet zu werden? Welche Art von Recht ist es, welches das Leiden nur anerkennt, wenn es die richtige Haut, die richtige Sprache und den richtigen Pass, die richtige Herkunft hat? Wenn die Idee Europas auf den Menschenrechten gegründet ist, warum sterben dann so viele von uns vor seinen Toren oder, noch schlimmer, in den von Europa finanzierten Lagern?

Grenzen als Instrumente der Verweigerung

Die Grenze, die ich kenne, ist keine Linie auf einer Landkarte. Sie ist eine Entscheidung. Sie entscheidet darüber, wer ein Leben in Würde führen darf und wer lernen muss, in Angst zu überleben. Es ist kein Zaun oder eine Mauer auf dem Balkan, es ist ein System, das lange vor dem Erreichen der Grenze beginnt und das uns auch nach dem Überschreiten der Grenze verfolgt. Ich bin durch viele solcher Grenzen geschritten und ich habe gespürt, wie sie ihre Form verändern. Manchmal erscheinen sie in Uniformen. Andere Male als Schweigen. Aber immer stellen sie die gleiche Frage: Wer seid ihr, dass ihr hier Sicherheit wollt?

Diese Grenzen werden durch Absichtserklärungen, Statusabkommen und informelle Rechtsinstrumente geschaffen, die denen, die uns schaden, Macht verleihen und denen, die überleben, ihre Rechte nehmen. Den Mächtigen wie Almasri, Meloni, Salvini, Von der Leyen usw. wird Immunität gewährt. Und die Aussetzung der Schwachen wird überall legalisiert.

Ich habe das Mittelmeer nicht so gesehen, wie Touristen es sehen, sondern als letzten Ausweg für die Unerwünschten. Es ist der Ort, an dem die Hoffnung auf dem Wasser treibt, bis sie untergeht. Boote voller Verzweifelter überqueren das Meer nicht aus Abenteuerlust und werden es auch nie tun. Sie überqueren das Meer, weil die EU-Gesetze uns zu Subjekten reduzieren wollen, die sie in ihrer Sprache kriminalisieren können. Das Meer ist ein Gerichtssaal, und die Wellen sprechen das Urteil. Einige werden gerettet. Andere werden dem Verschwinden überlassen, und selbst ihre Namen werden zu Salz.

Europa hat seine Grenzen nicht nur an seinen Küsten errichtet, sondern tief in den Städten, in denen wir zu atmen versuchen. Es gibt eine Grenze im Vorstellungsgespräch, in der Warteschlange im Krankenhaus, auf der Polizeiwache. Eine Grenze in der Art, wie die Leute zusammenzucken, wenn sie unseren Akzent hören. Eine Grenze in der Art und Weise, wie wir gebeten werden zu warten. Und warten. Und warten. Die Wahrheit ist einfach: Die Grenzen sind nicht nur dazu da, die EU-Staaten zu schützen, sie sind dazu da, Menschen auszuschließen und zu zeigen, dass ihre humanen Gesetze nicht für alle gelten. Und insbesondere nicht für diejenigen, deren Hautfarbe, Status oder Schweigen in die Form des Unerwünschten passt. Nicht für uns, die Schwarzen Migrant:innen.

Manchmal frage ich mich: Was würde passieren, wenn Europa seine Grenzen nicht nur geografisch, sondern auch im Bewusstsein öffnen würde? Wenn es jeden Körper, der an Land gespült wird, als menschliches Wesen behandeln würde und nicht als ein zu problematisierendes Subjekt. Wenn es seine Größe nicht am BIP messen würde, sondern daran, wie wenige es ertrinken lässt oder mit Gesetzen verfolgt, die ein zivilisiertes Europa schaffen sollen.

Aber das System ist allzu gut konzipiert. Es versagt nicht, es funktioniert genau wie vorgesehen.

Ich bin nicht der einzige, der sich dieser unsichtbaren Mauer entgegenstellt. Auch andere, junge, mutige, unbewaffnete Menschen stellen sich ihr entgegen. Was mir in Libyen widerfuhr, was mich nach Europa verfolgte, was jeden verfolgt, der es wagt, die Grenze unerlaubt zu überqueren, fand einen Spiegel in der Geschichte von El Hiblu 3. Auch sie weigerten sich, in den Tod zurückzukehren. Auch sie glaubten, dass Europa sie verstehen würde. Was sie stattdessen erhielten, war Strafverfolgung.

Die angeklagten Retter

Ich kannte Abdalla, Amara und Khader, lange bevor die Welt sie die El Hiblu 3 nannte. Im Jahr 2019, als ich mich noch in Libyen befand und in einem konzentrationsähnlichen Lager in Al Kararim inhaftiert war, nachdem ich aus dem zentralen Mittelmeer nach Libyen zurückgeschoben worden war. Ich hörte, was auf dem Schiff geschehen war, einem Handelsschiff, das über hundert Menschen wie mich gerettet hatte, nur um sie an den Ort zurückzubringen, an dem ich verrottete. Diese drei Helden, gerade mal Teenager, standen auf. Sie übersetzten. Sie protestierten. Sie weigerten sich, wieder an die Schrecken in Libyen ausgeliefert zu werden.

Drei Jahre später, nachdem ich es nach Italien geschafft hatte, flog ich im März 2023 nach Malta und stand vor dem Gerichtsgebäude, um ihre Freilassung zu fordern. Ich ging nicht als Aktivist. Ich ging als jemand, der wusste, was Libyen bedeutet. Ich ging als jemand, der wusste, dass die Weigerung, dorthin zurückzukehren, kein Verbrechen ist, sondern ein Akt der Vernunft, des Lebens.

Im April 2024 saß ich nicht nur im Publikum, sondern war Teil der Aktivitäten, die dazu führten, dass sie endlich als das anerkannt wurden, was sie sind: Verteidiger der Menschenrechte. Keine Kriminellen. Keine Bedrohungen. Keine Terroristen. Aber diese Ironie kann nicht ignoriert werden: Sie wurden von dem Land, in dem sie vor Gericht standen, nicht anerkannt.

Sie stehen immer noch vor Gericht. Jeden Tag müssen sie sich auf einer Polizeistation in Malta melden. Ihr Fall zieht sich nun schon seit mehr als vier Jahren hin. Ihre Körper sind frei, aber das Gesetz verfolgt sie immer noch wie ein Schatten.

Und doch leben sie mit mehr Würde als diejenigen, die sie anklagen.

Einer von ihnen zieht eine Tochter auf. Er zieht sie mit Geduld und Sanftmut auf, obwohl er von einem Staat, der sich weigert, die Wahrheit zu hören, als Terrorist bezeichnet wird. Ich habe ihn getroffen. Ich habe mit ihnen gesprochen. Und ich kann mit Gewissheit sagen: Terroristen ziehen ihre Kinder nicht mit dieser Art von Zärtlichkeit auf. Terroristen verwandeln Angst nicht in Sicherheit. Terroristen schützen Frauen und Kinder nicht davor, in die Hölle zurückgeschleppt zu werden.

Aber was ist mit denen, die jene Politik verantworten, die sie vor Gericht gebracht hat? Was ist mit den Architekten der Gesetzlosigkeit, die in ihren Anzügen in Brüssel und Luxemburg sitzen?

Ylva Johansson, die im Bereich "Innere Angelegenheiten" für Migration und Frontex zuständig ist. Margaritis Schinas, der von der "Förderung unserer europäischen Lebensweise" spricht, während er die Grenzen verwaltet, an denen Tausende ertrunken sind. Hans Leijtens, der jetzt Frontex leitet, eine Behörde, die mehr für Zurückweisungen als für Schutz bekannt ist und der mit Zynismus sagt: "Ich wünschte, ich müsste keine Menschen nach Libyen zurückschicken". Siofra O'Leary, Koen Lenaerts, Fabrice Leggeri, all diese Namen, die mit Systemen verbunden sind, die Mut und Lebenswillen kriminalisieren.

Ich frage mich: Haben sie Kinder? Und wenn ja, was sagen sie ihnen, wenn sie nach der Arbeit nach Hause gehen? Dass sie heute Gesetze erlassen haben, die Jungen, die Leben gerettet haben, zu Symbolen der Angst machen? Dass sie Urteile aufrechterhalten, die es Ländern erlauben, Menschen in den Tod abzuschieben?

Der wahre Terrorismus kommt nicht mit diesen Booten. Er findet in den oberen Etagen statt, wo Entscheidungen getroffen werden, die Rettung als Störung, Protest als Gefahr und Menschlichkeit als Bedrohung behandeln.

Aber die Verantwortung endet nicht an der maltesischen Küste. Sie reicht bis in die polierten Büros in Brüssel, wo Ursula von der Leyen weiterhin Deals aushandelt, die die Gewalt an den europäischen Grenzen auslagern und dies als Schutz bezeichnen. Unter ihrer Aufsicht werden Millionen ausgegeben, um Mauern zu verstärken, Frontex zu finanzieren und Länder wie Libyen dafür zu belohnen, dass sie genau die Boote abfangen, die Menschen wie Abdalla, Amara und Khader transportieren. Die EU spricht von Stabilität. Aber diese angebliche Stabilität ist auf inhaftierten Kindern und zerrütteten Familien aufgebaut.

In Malta selbst ist der Gerichtssaal, in dem über die El Hiblu 3 geurteilt wird, [nur eine Außenstelle der EU-Justiz]. Der Fall ging durch die Hände von Magistrat Donatella Frendo Dimech und Richter Aaron Bugeja und liegt nun bei Richterin Consuelo Scerri Herrera. Lange bevor ihre Schuld oder Unschuld festgestellt werden konnte, waren die Angeklagten bereits durch körperliche Gefangenschaft und psychische Folter belastet.

Ich nenne sie die angeklagten Retter, weil das Gesetz nun die Rettung bestraft. Es bestraft den Mut, wenn er in Schwarzen Häuten steckt. Wären diese drei Jungen Europäer gewesen, hätte man sie gefeiert. Stattdessen müssen sie sich in einem Land vor Gericht verantworten, das sie nur als Fall für eine symbolische Anklage akzeptiert, nicht aber als Menschen.

Ich schreibe dies, weil das, was ihnen widerfahren ist, auch mir hätte widerfahren können, wenn ich damals den Mut gehabt hätte, mich dagegen zu wehren, als ich zwei Monate vorher von dem Schiff Lady Sham nach Libyen zurückgeschoben wurde. Und was anderen in Griechenland, in Italien, in Haftanstalten auf diesem Kontinent angetan wird, geschieht im Namen des Rechts.

Aber ich frage noch einmal: Was ist das für ein Recht, das Sie verurteilt, weil Sie nicht lautlos sterben wollen? Was ist das für ein Recht, das Kinder ins Gefängnis bringt, weil sie leben wollen?

Die europäische Lüge

Es gibt estwas Unausgesprochenes in Brüssel, in den Büros in Straßburg, in den manipulativen Reden der Staats- und Regierungschefs, die von Einheit, Freiheit und Rechten sprechen. Die Lüge liegt nicht in dem, was sie sagen. Sie liegt in dem, was sie nicht sehen wollen, weil die EU-Gesetze in ihrer humanen Form für uns nicht existieren. Und dies ist bewusst so vorgesehen.

Ich habe Institutionen gegenüber gesessen, die die Sprache des Mitgefühls sprechen. Ich habe diese Büros mit Papieren, Bildern und Videos betreten, die Folter, Tötung, Inhaftierung, Hunger, Versklavung und Vergewaltigung dokumentieren. Sie nicken, sie machen sich Notizen, und dann kommt nichts. Das System versagt nicht, es schaut einfach weg. Und so ist es konzipiert.

Ich bin durch UN-Büros in Genf und New York gegangen. Ich habe die Worte "internationaler Schutz" und "dauerhafte Lösungen" gehört. Aber ich habe auch die Verträge mit dem EU-Treuhandfonds und die Ausbildungsmandate von Frontex gelesen, die sich auf Libyen, Tunesien, Algerien, Mauretanien, Niger, Senegal, Marokko usw. erstrecken. Das Recht, von dem sie in der Öffentlichkeit sprechen, ist nicht das Recht, das sie praktizieren.

Dies ist ein Ort, an dem die Legalität zu einem Kostüm wird. Sie trägt die Robe der Gerechtigkeit, aber darunter befindet sich eine Maschinerie des Todes und der Verweigerung. Du bist legal, wenn Du nützlich bist. Du bist sichtbar, wenn Du gebraucht wirst. Und wenn nicht, verschwindest Du, auch wenn Du noch lebst.

Was es noch schlimmer macht, ist, dass sie an ihren eigenen Mythos glauben. Dass sie die Hüter der Menschenrechte sind. Dass ihre Politik notwendig ist. Dass die Inhaftierung Tausender ohne Anklage, die Finanzierung von Gefängnissen in Libyen, Tunesien und anderswo und das Ertrinkenlassen von Menschen irgendwie der Preis der Ordnung ist.

Sie behaupten, dass sie ihre Grenzen schützen. Aber die Frage ist: vor wem? Von der Frau, die in einem Gefangenenlager in Tripolis vergewaltigt wurde? Von dem Jungen, der seinen Bruder in der Wüste sterben sah? Von dem Mann, der Gräber für andere schaufelte, bevor er seinem eigenen Tod entkam? Von Pato, der seine kleine Tochter Marie und seine Frau Fati in der sengenden Hitze an der tunesischen Grenze verloren hat?

Die wahre Bedrohung sind nicht wir. Es ist die Bequemlichkeit, die es den Menschen erlaubt, in der Nähe von Ungerechtigkeit zu leben, ohne diese zu hinterfragen. Die Lüge liegt nicht nur in der Politik, sondern auch im alltäglichen Schweigen, das ich überall in Europa sehe. Das Schweigen derer, die an unseren Protesten in Rom, Brüssel, Genf, Berlin und anderswo vorbeigehen. Das Schweigen derer, die wissen, was passiert, und sagen: "Es ist kompliziert." Das Schweigen, das zulässt, dass das Gesetz zu einem Instrument der Ausgrenzung von Menschen mit Schwarzer Haut wird, sei es innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft.

Ich trage meine Papiere bei mir. Ich befolge die Regeln. Aber kein Dokument kann das Gefühl auslöschen, dass ich in den Augen dieses Systems nie dazugehören sollte.

Der Markt des Elends

Es gibt ein Sprichwort: Wenn Leiden vorhersehbar wird, profitiert jemand davon. Ich dachte immer, das sei nur eine Metapher. Aber ich habe lange genug gelebt, um zu wissen, dass es eine Tatsache ist. Das Elend ist ein Geschäft geworden, eines mit Budgets, Verträgen und Unterschriften hinter verschlossenen Türen.

Bei dem, was sie "Migrationsmanagement" nennen, geht es nicht um das Management von Bewegung. Es geht darum, die Optik des Leids zu steuern. Es geht darum, wo Menschen leiden dürfen und wie weit es von europäischen Blicken entfernt sein muss, um akzeptabel zu bleiben. Und vor allem geht es darum, wer dafür bezahlt wird, dass es geschieht.

Jeder Käfig in Libyen hat ein Gesetz, das ihn möglich gemacht hat. Kein Strafrecht, sondern ein Migrationsprotokoll, eine Ausschiffungsklausel, eine in Rom, Brüssel und Berlin unterzeichnete Finanzierungsvereinbarung. Dies sind die rechtlichen Instrumente, die aus der Inhaftierung eine Politik und aus dem Leiden eine bewusste Strategie machen.

Ich habe die Lager in Libyen gesehen, wo junge Männer kopfüber aufgehängt, durch Stromschläge getötet und als "Illegale" bezeichnet werden. Ich habe in diesen Lagern Mädchen getroffen und mit ihnen gesprochen, die entführt wurden, durch Vergewaltigungen schwanger wurden, deren Stimmen nicht aus Scham zitterten, sondern weil es niemanden gab, der ihnen zuhörte. Es handelt sich nicht um Verbrechen einzelner Schurken, sondern um Systeme, die finanziert, unterhalten und delegiert werden.

Europa führt die Folter nicht selbst durch. Das wäre zu unseriös, zu direkt. Sie bezahlt andere dafür. Durch Geschäfte. Durch "Partnerschaften". Durch Millionen, die an diejenigen gehen, die Gefängnisse betreiben, die keinen Namen haben, keine offizielle Aufsicht, aber viele, viele Körper darin.

Das ist keine Behauptung. Es ist eine Tatsache. Ich weiß das nicht, weil ich es in einem Bericht gelesen habe, sondern weil ich es miterlebt habe. Ich übersetzte für diejenigen, die schrien. Ich wurde gezwungen, mit meinen bloßen Händen Blut aufzuwischen. Ich wurde an einen Mann verkauft, der sich selbst als Kommandant bezeichnete und uns gezwungen hat, seinen Wünschen zu folgen. Mir wurde von Männern, die sagten, sie täten dies wegen des Geldes, gesagt, dass Europa zuschauen und nichts tun würde.

Und wenn die Boote auf See abgefangen werden und die Menschen zu denselben Orten des Grauens zurückgebracht werden, lächeln diejenigen, die den Treibstoff bezahlt, das GPS zur Verfügung gestellt und die Küstenwache ausgebildet haben, und nennen es "Rettung", unterstützt von Frontex.

Wie kann etwas als Rettung bezeichnet werden, wenn es Menschen zurück in die Arme ihrer Peiniger bringt?

Die Antwort ist einfach: das Ziel ist nicht die Rettung von Menschenleben, sondern die Rettung des Ansehens des Rechts, das in den Stiefeln von Frontex steckt.

Auf diesem Markt ist das Image des Rechts das teuerste Produkt. Die EU gibt Milliarden aus, nicht um Menschen zu schützen, sondern um ihr Narrativ zu schützen. Sie baut Lager weit weg von ihren Grenzen, damit sie sagen kann: "Wir tun es nicht." Sie finanziert Haftanstalten unter dem Namen "Kapazitätsaufbau". Sie stellt Ausrüstung, Ausbildung und Überwachung bereit, alles unter dem Deckmantel der Ordnung und der Zusammenarbeit.

UNHCR und die IOM sind Teil dieser Architektur. Ihre Aufgabe ist es, das Unverwaltbare zu verwalten, einem kaputten System einen blauen Stempel aufzudrücken. Ich habe ihre Büros gesehen. Ich bin durch ihre Flure gegangen. In Genf und New York habe ich ihnen erzählt, was in Libyen passiert. Aber sie wussten es bereits.

Die Wahrheit ist, dieses Leiden ist nicht zufällig. Es ist beabsichtigt. Es soll andere davon abhalten zu kommen. Es soll die Botschaft vermitteln, dass Du, selbst wenn Du den Krieg, den Hunger und die Reise überlebt, nicht willkommen bist. Du wirst verarbeitet, ausgelagert, verleugnet.

Europa hat seine Grausamkeit ausgesourct. Und was mich am meisten schockiert, ist nicht die Brutalität selbst. Es ist die Leichtigkeit, mit der dies geleugnet wird.

Manchmal frage ich mich: Schlafen diejenigen, die diese Politik entwerfen, gut? Glauben sie, dass sie etwas schützen? Eine Kultur? Eine Lebensweise? Und wenn ja, zu welchem Preis?

Denn ich habe Kinder getroffen, die nicht mehr weinen. Nicht weil sie tapfer sind, sondern weil sie aufgehört haben zu existieren. Ich habe Frauen getroffen, die nicht mehr über das sprechen, was ihnen angetan wurde, nicht weil sie geheilt sind, sondern weil sie nicht mehr hoffen, dass man ihnen glaubt. Ich habe Freunde beerdigt, die nicht nur an ihren Wunden starben, sondern auch weil sie wussten, dass die Welt beschlossen hatte, sie zu ignorieren.

Dieser Markt ist nicht unsichtbar. Seine Spuren sind überall, in den Überwachungsdrohnen über der Wüste, in den Stempeln der ungelesenen Asylanträge, in den Augen derer, die in Pressekonferenzen lächeln, während Tausende an der Küste von Cutro ertrinken oder an den polnischen und ungarischen Grenzen mit Wasserwerfern beschossen werden.

Sie sagen, das Meer sei gefährlich. Aber für uns liegt die wahre Gefahr an Land, in den Entscheidungen, die getroffen werden, in den Verträgen, die unterzeichnet werden, in den Lügen, die in den Zeitungen über "Krise" und "Invasion" gedruckt werden. Es gibt keine Invasion. Nur Menschen, die vor etwas fliehen, das sie sich nicht ausgesucht haben. Nur Menschen, die zu leben versuchen.

Und doch hat das System ihr Überleben zu einem Spektakel der Bestrafung gemacht.

Wer profitiert davon? Diese Frage, einmal gestellt, darf nie wieder ungestellt bleiben.

Fragen der Zugehörigkeit und des Rechts

Es kommt ein Punkt auf der Reise, an dem Du aufhörst zu fragen, wann Du frei sein wirst, und beginnst zu fragen, ob die Freiheit jemals für Dich bestimmt war.

Nicht Freiheit im abstrakten Sinne, sondern in den einfachen Handlungen, gesehen zu werden, gehört zu werden, gehalten zu werden von einem System, das keine Angst vor deiner Hautfarbe, deinem Akzent, deiner Herkunft hat. Die Freiheit, ohne Erklärung an den Bergen von Oulx oder Ventimiglia vorbei zu wandern. Die Freiheit, an die Tür des Gesetzes zu klopfen und nicht wie in Rom mit Lam Magok draußen stehen gelassen zu werden.

Und so frage ich: Was ist der Zweck des Rechts, wenn nicht der Schutz derjenigen, die am meisten des Schutzes bedürfen?

Wenn ein Mensch ertrinkt, bevor er das Ufer des Rechts erreicht, wer ist dafür verantwortlich? Das Meer oder die Untätigkeit der Institutionen auf dem Festland? Wenn eine Frau in einem mit EU-Geldern finanzierten Gefangenenlager vergewaltigt wird, ist ihr Schmerz dann lokal oder von der EU exportiert? Wenn die Hilfskräfte, die mich gefoltert haben, weder Englisch noch Italienisch oder Französisch sprachen, aber von den entsprechenden Regierungen ausgebildet und ausgerüstet wurden, welche Bedeutung haben dann deren Leugnungen?

Ich frage nicht, um sie zu beschuldigen, sondern zu verstehen. Denn etwas in mir will immer noch an die Gerechtigkeit glauben. Etwas in mir weigert sich zu akzeptieren, dass Legalität und Moral für immer getrennte Wege gehen müssen.

Aber vielleicht ist genau dies der Kern der Krise, nicht die Ankunft von Menschen an den Grenzen, sondern der Zusammenbruch der Bedeutung im Recht selbst. Wenn das Recht nicht auch für die Dunkelhäutigen gilt, für wen gilt es dann? Wenn unsere Rechte verhandelbar sind, sind sie dann überhaupt Rechte?

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erkenne ich ein Muster: Diejenigen, die die "richtige" Hautfarbe und Pässe besitzen, werden nicht aufgefordert, ihr Mensch-sein zu beweisen. Sie verdienen es. Ihre Not wird niemals kriminalisiert. Ihre Bewegung erfolgt nach Wahl. Aber für den Rest von uns wird die Existenz zu einer Last, die wir ständig rechtfertigen müssen. Man sagt uns, wir sollen warten, uns fügen, geduldig sein, während sich der Prozess entfaltet. Aber der Prozess hat Zähne, die beißen. Und das Wartezimmer ist ein Ort, den viele nie verlassen.

Es geht auch um etwas Tieferes, um die Frage der Zugehörigkeit. Wer gehört zu dieser Welt, nicht nur rechtlich, sondern insgesamt als Wesen? Für mich hat Zugehörigkeit nicht nur mit Dokumenten zu tun. Es geht um Anerkennung. Es geht darum, dass dich jemand ansieht und sagt:
"Du bist ein Teil dieser Welt. Dein Leben hat Gewicht. Deine Stimme zählt."

Aber wenn das Gesetz Dich nicht sieht, beginnst Du auf andere Weise zu verschwinden. Du schrumpfst Deine Anwesenheit. Du meidet die Polizei, selbst wenn Du das Opfer bist. Du lernst, nicht krank zu werden, denn Krankenhäuser fragen nach Papieren, bevor sie fragen, was Dir weh tut. Du lernst, nicht zu laut zu träumen. Denn Hoffnung ist in diesem Zusammenhang gefährlich, denn sie lässt Dich glauben, dass sich die Dinge ändern könnten.

Ich möchte die Mächtigen fragen: Was für eine Gesellschaft bauen Sie auf, wenn es leichter ist, bei der Überquerung eines Meeres zu sterben, als an einem Ufer willkommen zu sein? Oh liebes Ita-Albanien.

Welches Menschenbild erlaubt es, dass die einen die Beweislast tragen, während die anderen davon ausgenommen sind?

Was ist die Staatsbürgerschaft, wenn sie zum Schutzschild für die einen und zur Waffe gegen die anderen wird?

Und vielleicht am meisten quälend: Wie viele Menschen müssen verschwinden, bevor das Verschwinden selbst zu einem normalen Teil des Regierens wird?

Das Recht soll ein Licht sein. Aber ich habe gesehen, wie es als Vorhang benutzt wird, der zugezogen wird, wenn wir uns nähern, so dass das Leiden vor denen, die behaupten, sich zu kümmern, säuberlich versteckt werden kann.

Und so komme ich auf die Frage zurück: Wozu ist das Recht da?

Zwischen Exil und Schweigen

Es gibt Nächte, in denen ich nicht spreche. Nicht, weil ich nichts zu sagen hätte, sondern weil mein Körper sich an das erinnert, was die Welt lieber vergessen möchte. In diesen Momenten ist das Schweigen keine Abwesenheit, es ist meine einzige Sprache, um zu überleben. Das Einzige, was bleibt, nachdem meine Stimme durch Bitten, Erklären, Rechtfertigen erschöpft ist.

Für mich ist das Exil nicht nur der Verlust eines Landes. Es ist der Verlust der Anerkennung. Man wird zu einem Geist in lebendiger Haut. Du stehst in Schlangen, die sich nicht bewegen. Du schreibst E-Mails, auf die Du keine Antwort erhältst. Du erzählen Deine Geschichte so oft, dass Du Dich fragst, ob sie jemand anderem passiert ist.

Aber ich erinnere mich.

Ich erinnere mich an die Gefängnisnächte, in denen wir in Schichten schliefen, weil wir zusammengedrängt waren wie Gegenstände, die nicht atmen sollten. Ich erinnere mich an die kalten Zementböden in den Gefängnissen. Ich erinnere mich an das Geräusch von Knochen, die bei Folterungen brechen. Ich erinnere mich an den Geruch von Diesel in dem überfüllten Boot auf dem Mittelmeer. Ich erinnere mich an das Gesicht des Mannes, der vor dem Morgengrauen neben mir aufhörte zu atmen.

Und ich erinnere mich an das Schweigen Europas, als wir schrien.

Dieses Schweigen umgibt mich immer noch. Es verfolgt mich auf Bahnhöfen, Flughäfen, im Europäischen Parlament in Brüssel, in Straßburg, in UN-Büros in Genf, im Abgeordnetenhaus in Rom, in Sozialämtern, wo die Menschen den Blickkontakt vermeiden, weil sie es wissen. Sie wissen, dass mir etwas Schreckliches widerfahren ist und immer noch denen widerfährt, die eine ähnliche Hautfarbe haben wie ich. Sie wollen nur nicht dafür verantwortlich sein.

Ich schreibe dies nicht, um Schuldgefühle zu wecken. Ich habe kein Interesse an Mitleid. Mitleid ist billig und vorübergehend. Ich schreibe, weil die Erinnerung ein Spiegel werden muss. Ich schreibe, denn wenn wir nicht sagen, was passiert ist, wird die Welt weiterhin sagen, dass nichts passiert ist.

Es gibt eine Art von Einsamkeit, die entsteht, wenn man etwas überlebt, was andere leugnen. Eine Einsamkeit nicht nur des Körpers, sondern der Wahrheit. Du trägst ein Wissen, das andere nicht haben können. Du gehst in Städten, die von Frieden sprechen, während ihr Geld Käfige finanziert. Du lernst, dich in Systemen zurechtzufinden, die darauf ausgerichtet sind, Deine Existenz aufzuhalten.

Und trotzdem stehst Du morgens auf. Du putzt Dir die Zähne. Du telefonierst. Du hilfst anderen. Du baust auf, nicht weil die Welt freundlich ist, sondern weil Deine Würde sich weigert, zu sterben.

Sie nennen uns Migranten, Flüchtlinge, Illegale. Als ob wir eine Bewegung ohne Bedeutung wären. Aber wir sind Menschen. Wir sind Erinnerungen. Wir sind der Beweis dafür, dass Grenzen das Leiden nicht aufhalten, sondern es exportieren.

Einige werden fragen: Was wollen Sie?

Ich will das Recht, ohne Angst zu leben. Ich will eine Welt, in der kein Kind lernt, neben Leichen zu schwimmen. Ich will ein Gesetz, das nicht verschwindet, wenn ich meinen Namen sage.

Aber bis dahin werde ich weiter sprechen. Auch wenn meine Stimme zittert. Auch wenn sie ignoriert wird.

Denn irgendwo steht immer jemand an der Grenze, trägt alles, was er noch hat, in einer kleinen Tasche und hofft, dass sich diesmal die Tür öffnet.

Und wenn sie sich öffnet, dann soll das Recht diese Menschen nicht aufhalten, sondern sie willkommen heißen.