Wie die Europäische Union Unterdrückung finanziert
März 7th, 2024
Die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Rapid Support Forces im Sudan
Seit Jahrzehnten arbeitet die Europäische Union (EU) mit nicht-europäischen Akteur:innen zusammen, um Migrationsbewegungen bereits fernab der europäischen Küsten zu kontrollieren. Dabei kooperiert sie unter anderem auch mit Akteur:innen, die für ihre brutale Herrschaft bekannt sind – so etwa im Sudan. Der EU wurde immer wieder vorgeworfen, die Rapid Support Forces (RSF), eine paramilitärische Struktur im Sudan, die auf Milizen zurückgehen, die in Darfur Kriegsverbrechen und Völkermord begangen haben, zu finanzieren. Die EU bestreitet dies, und konkrete Beweise für die europäische Unterstützung der RSF sind rar. Um sich dennoch auf die Spuren der Unterstützung durch die EU zu machen und die Verbindung der EU und den Rapid Support Forces zu verstehen, hilft es, die Logik und die Strukturen der Zusammenarbeit der EU und der europäischen Mitgliedstaaten mit dem Sudan in den Bereichen Migrations- und Grenzkontrolle zu betrachten Sie verbirgt sich hinter zahlreichen offiziellen und geheimen Formen der Zusammenarbeit. Dieser Artikel versucht, diese Verbindung in ihrer Undurchsichtigkeit zu erfassen und wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Dennoch wird deutlich, dass es europäische Unterstützung für die RSF in vielfältigen und undurchsichtigen Formen gab und gibt – und dass die Undurchsichtigkeit kein Zufall ist.
Am 15. April 2023 brachen heftige Kämpfe zwischen den sudanesischen Streitkräften unter al-Burhan und den RSF unter Hemedti aus. Einen Monat nach Beginn der Kämpfe gab es mehr als 600 Tote und mindestens 5100 Verletzte. Mehr als 700.000 Menschen sind bereits innerhalb des Sudan geflohen. Schätzungen zufolge könnten rund 800.000 Menschen aufgrund der Kämpfe gezwungen sein, aus dem Sudan zu fliehen.
Der Krieg ist nicht nur militärischer Kampf, sondern auch “ideologischer Kampf darüber, wie man diesen Krieg einordnen kann: als einen zwischen zwei Optionen, der RSF oder dem Militär, oder vielmehr als einen zwischen dem militarisierten Staat in all seinen Formen und der Revolution." Sudanesische zivile Akteur:innen betonen immer wieder, dass es nicht darum geht, sich auf die Seite einer der beiden Parteien zu schlagen und damit eine der beiden zu legitimieren: Die gesellschaftlichen Kräfte, die auf einen grundlegenden und demokratischen Wandel und den Übergang zu einer zivilen Regierung drängen, machen deutlich: Es geht darum, weiterhin eine echte Transform und Demilitarisierung zu fordern.
Denn sowohl Hemedti als auch al-Burhan haben den versprochenen Übergang zu einer zivilen Regierung unterminiert: Ihr Interesse war es, ihre jeweils eigene Vorherrschaft im Sudan zu sichern und auszubauen – und das mit militärischen Mitteln.
Dabei finden sie auch Unterstützung durch internationale Akteur:innen, darunter auch der EU, zum Beispiel in Form von Waffenexporten in den Sudan – aufgrund des Waffenembargos auch über Drittländer wie Uganda, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie durch den Export bestimmter Einzelteile, um nicht unter das Waffenlieferungsembargo zu fallen. So produziert die Sudanese Military Industry Corporation Heckler und Koch G3, MP5-Maschinenpistolen und MG3-Maschinengewehre. Die Aufrüstung der derzeit kämpfenden Parteien dauert schon seit Jahrzehnten an, ebenso wie ihre politische und finanzielle Unterstützung. Ein wichtiger Treiber für die anhaltende und ständig wachsende Unterstützung war die Kontrolle von Migration: Der Sudan ist ein Emigrations- und Durchgangsland für Migrationsbewegungen nach Europa. Dies machte ihn zu einem wichtigen Schwerpunkt für die europäischen Bemühungen, bereits fernab europäischer Küsten die Migration von Menschen zu kontrollieren.
Der vorliegende Artikel versucht, diese Unterstützung durch europäische Akteure im Namen der Migrationskontrolle zu beleuchten und konzentriert sich dabei insbesondere auf die Rolle der RSF unter Mohammed "Hemedti" Daglo. Die Rolle von al-Burhan und die europäische Zusammenarbeit mit ihm werden dabei nicht berührt. Damit sollen al-Burhan und die sudanesischen Streitkräfte und ihre Rolle bei der Migrationskontrolle, die ebenfalls sorgfältig untersucht werden muss, keinesfalls legitimiert werden. Es ist jedoch wichtig, Hemedti und RSF und ihre Zusammenarbeit mit der EU und europäische Akteur:innen im Kontext der Migrationskontrolle zu beleuchten, um zu erkennen, mit welcher Rücksichtslosigkeit die EU ihr Migrationsregime durchsetzt und externalisiert. Eine Logik, die tiefe Unsicherheiten, Prekarität und Gewalt schafft – wie sich in diesen Tagen im Sudan zeigt.
Die RSF und ihre Ursprünge
Die RSF geht auf Milizen zurück, die sich in den 1980er Jahren gebildet haben. In jener Zeit wurden die Kämpfe im Südsudan wieder aufgenommen, und der damalige Präsident Gaafar Mohamed el-Nimeiri setzte der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee SPLA Söldner und Milizen aus Süd-Darfur entgegen. Da er die Unabhängigkeitsbewegung nicht mit einer staatlichen Armee, sondern mit Milizen bekämpfte, konnte el-Nimeiri die Kämpfe als "eine Mischung aus Banditentum und Kämpfen zwischen Stämmen" darstellen.[1] Nach dem Sturz el-Nimeiris im Jahr 1985 setzte der Militärische Übergangsrat diesen Ansatz fort und mobilisierte und bewaffnete Milizen aus viehzüchtenden arabischen Stämmen in Süd-Kordofan und Süd-Darfur, um die SPLA zu bekämpfen.[2] Diese Milizen kamen auch in den Grenzkonflikten mit dem Tschad und Libyen zum Einsatz. Im Kontext einer Vielzahl von Milizen und informellen bewaffneten Gruppen, die im Sudan – insbesondere in Darfur – operierten, wurde die Region zu einem Schauplatz bewaffneter Konflikte um Grenzen, Landrechte und den Zugang zu Ressourcen.
Die Gewalt ging weiter. Anfang der 2000er Jahre führten diese Milizen der Regierung brutale Überfälle und Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in Darfur durch, wobei sie Dörfer angriffen und Tausende von Menschen töteten und vertrieben. Die sudanesische Regierung akzeptierte dies, da die Milizen bald eine zentrale Rolle bei der Unterdrückung des Widerstands gegen die Regierung in Darfur – und damit beim Machterhalt der Regierung – spielten. Im Jahr 2003 griffen die Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) und die Sudanesische Befreiungsarmee (SLA) die staatliche Infrastruktur an, was zu einer brutalen Reaktion führte: Die sudanesische Regierung verstärkte ihre Unterstützung für die Milizen, die sich meist aus sudanesisch-arabischen Stämmen rekrutierten. Sie versorgte sie mit Waffen und Kommunikationstechnik des sudanesischen Geheimdienstes – auch damit die Milizen Aufstände der Bevölkerung unterdrücken konnten, wofür sie unter dem Namen Janjaweed bekannt wurde. Was dann geschah, ist heute als die ethnische Säuberung der Zaghawat, Masalit und Fur bekannt. In enger Zusammenarbeit zwischen der sudanesischen Luftwaffe und den Milizen wurden Hunderttausende von Menschen ermordet und Millionen in und aus Darfur vertrieben. Bis heute bestreitet der damalige Präsident al-Bashir, dass die Milizen in enger Zusammenarbeit mit seiner Regierung entstanden sind und dass damit auch der Völkermord mit seiner Regierung in Verbindung steht.
Der internationale Druck auf al-Bashir, die Milizen in Darfur zu stoppen, nahm zu. Al-Bashir reagierte mit dem Versuch, die Milizen zu kontrollieren. Denn bis zu diesem Zeitpunkt bedeutete die Unterstützung für die Gruppen nicht ihre Kontrolle durch die Regierung. Um diese zu erlangen, unterstellte al-Bashir einige der Milizen, die den Völkermord in Darfur angeführt hatten, der formalen Kommandostruktur der sudanesischen Streitkräfte und erklärte sie zu Grenzschutzkorps. Er ernannte den ehemaligen Milizenführer Musa Halil zum Chef des Grenzschutzkorps. In den folgenden Jahren gewann Musa Halil in dieser Position immer mehr Macht und begann, sich gegen al-Bashir zu stellen. Um die Kontrolle zurückzugewinnen und seine Macht nicht durch den aufstrebenden Musa Halil bedroht zu sehen, strukturierte al-Bashir das Grenzschutzkorps erneut um: 2013 gliederte al-Baschir die RSF aus dem Grenzschutz aus und wählte den langjährigen Chef einer der Milizen, Mohammed Hamdan Daglo, auch bekannt als Hemedti, zu ihrem Anführer. Hemedti trat als Anführer der RSF erstmals in Khartum in Erscheinung, als seine Truppen im September 2013 mehr als 170 Demonstrant:innen töteten: Die Proteste richteten sich gegen das Regime al-Bashirs, das den Zugang zu Grundnahrungsmitteln und Treibstoff einschränkte. Damit erfüllte Hemedti zum ersten Mal auch in Khartoum seine Rolle als Unterstützer des al-Bashir-Regimes und machte sich für den Machterhalt al-Bashirs unentbehrlich.
Später unterstellte al-Bashir die RSF dem Nationalen Nachrichten- und Sicherheitsdienst N.I.S.S., der das operative Kommando übernahm. Im Jahr 2015 nahm das sudanesische Parlament Verfassungsänderungen vor: Diese Änderungen verliehen dem N.I.S.S. und damit auch der RSF den Status einer regulären Streitkraft. Das Einsatzkommando hatte sich nicht geändert, aber die RSF unterstand fortan der direkten Kontrolle von al-Bashir. 2017 verabschiedete das Parlament das RSF-Gesetz, mit dem sie in die sudanesischen Streitkräfte SAF integriert wurden. Außerdem erhielt die RSF erstmals öffentliche Gelder und wurde dadurch immer weiter in die staatliche Struktur integriert. Ihre Vergangenheit als rücksichtslose Milizen sollte in Vergessenheit geraten – doch ihre brutalen Operationen haben nie aufgehört. Ihr Anführer Hemedti baut seither seine Macht aus – unter anderem durch die Kontrolle der wichtigsten Goldminen im Sudan, durch Söldner und durch die Rolle der RSF bei der Migrationskontrolle im Sinne europäischer Interessen.
Aktuelle Entwicklungen rund um die RSF
Heute übernehmen die RSF hauptsächlich die Funktion von Grenzkontrolltruppen. Sie kontrollieren große Teile der sudanesischen Grenzen und stoppen Migrant:innen vor allem an den nördlichen Grenzen. Sie arbeiten auch mit der Einwanderungspolizei und der regulären Polizei zusammen, wenn diese in den Grenzgebieten Einsätze durchführen. Die Aktivitäten der RSF beschränken sich jedoch nicht auf die Grenzkontrolle. Es ist allgemein bekannt, dass sie zu einem zentralen Akteur im Geschäft der Migration geworden sind. Sie kontrollieren Grenzübergänge, erpressen Geld von Menschen, die Reisen organisieren, und Migrant:innen und organisieren selbst Grenzübertritte. Dabei gehen sie mit äußerster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor, wie aus wiederholten Berichten über Folterungen und Tötungen von Migrant:innen durch die RSF hervorgeht. Von Zeit zu Zeit, so berichtet ein Mitglied der RSF gegenüber einem Wissenschaftler, "fangen wir Migrant:innen ab und bringen sie zurück nach Khartum, um den Behörden zu zeigen, dass wir unsere Arbeit machen". Die meiste Zeit aber, so das RSF-Mitglied, bringt die Miliz Migrant:innen selbst nach Libyen – und profitiert so vom Geschäft mit Menschen.
Die RSF sind allerdings nicht nur an den Grenzen präsent. Die paramilitärische Struktur diente lange Zeit dem Machterhalt des ehemaligen Präsidenten al-Bashir und der Unterdrückung der Opposition. Dies änderte sich 2018, als sich ihr Anführer Hemedti gegen den ehemaligen Präsidenten al-Bashir stellte und an seinem Sturz beteiligt war. Hemedti wurde Teil der Übergangsregierung, die aus zivilgesellschaftlichen demokratischen Kräften und militärischen Repräsentanten zusammensetzt. In der Zeit nach dem Sturz von al-Bashir im Jahr 2018 befahl Hemedti der RSF, gegen Proteste gegen die Dominanz der militärischen Kräfte in der Übergangsregierung vorzugehen: 2019 tötete die RSF an einem einzigen Tag mindestens 128 Demonstrant:innen.
Im Jahr 2021 putschte das Militär. Die militärischen Kräfte im Sudan gewannen mehr Macht und Einfluss, unter ihnen der Chef der sudanesischen Streitkräfte, General Abdelfattah Burhan, und sein formaler Untergebener Hemedti mit seiner RSF. Doch ihre Vorstellungen von Herrschaft, dem Zugang zu Ressourcen und der Verteilung von Macht sind nicht die gleichen: Die Spannungen zwischen Burhan und Hemedti nehmen zu. Im Dezember 2022 unterzeichneten die sudanesischen Streitkräfte und die Koalition für Freiheit und Wandel (Freddom and Change Coalition) ein Abkommen, das die politische Macht der Streitkräfte schmälern soll – doch das Abkommen könnte Hemedti Auftrieb geben, da er und seine RSF nicht mehr unter dem Kommando von Burhan stehen.
Di Position von Hemedtibleibt komplex, wenn man auch das Konkurrenzverhältnis zu Burhan berücksichtigt. Hemedti, so wird argumentiert, ist Burhans "gefährlichster langfristiger Konkurrent, aber wohl auch einer seiner engsten kurzfristigen Förderer" – Burhan verließ sich auf Hemedtis RSF als Vollstrecker des Putsches, der ihm zum Aufstieg verhalf. Doch die Konkurrenz zwischen Hemedti und Burhan wird immer deutlicher.
Die Konkurrenz spiegelt sich auch in Unstimmigkeiten über die Operationen der RSF wider. Ein Beispiel dafür ist die gemeinsame Präsenz der RSF und der russischen Wagner-Truppen im Sudan. Die Zusammenarbeit zwischen dem Sudan und Russland wurde unter al-Bashir etabliert: Sein Treffen mit Putin in Sotschi im Jahr 2017 führte zur Unterzeichnung von Vereinbarungen über Bergbaukonzessionen und Öl- und Gaskooperationen im Sudan. Außerdem führte es zum Auftreten von Wagner-Truppen in der Grenzregion zwischen dem Sudan, dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik. Hemedti setzt diese Zusammenarbeit fort. Es gab mehrere Treffen zwischen Hemedti und Putin. Inzwischen sind die Wagner-Truppen im Sudan tief in das Goldgeschäft eingestiegen und schrecken auch nicht vor Gewaltanwendung zurück, um ihren Profit zu sichern. Berichte legen nahe, dass die Wagner-Truppen unter dem Schutz der RSF stehen: "Händler beschrieben, wie Russen auf den Markt kommen, um Proben zu nehmen und Golderz zu kaufen, wobei sie bis zu 3.600 Dollar für eine Neuntonnen-LKW-Ladung zahlen. Manchmal, so sagten sie, wurden die Russen von Truppen der RSF von General Hamdan geschützt."
Außerdem führen die RSF und die Wagner-Truppen gemeinsame Einsätze im Dreiländereck Sudan, Zentralafrikanische Republik und Tschad durch. Diese gemeinsamen Operationen werden möglicherweise nicht von offiziellen Stellen unterstützt, da die Truppen keinem zentralen Kommando unterstellt sind. Vor allem Burhan scheint dies nicht zu gefallen. Ende Januar 2023 traf Burhan den tschadischen Militärgeneral und Übergangspräsidenten Mahamat Déby in N'Djamena, Tschad. In ihrem Gespräch ging es auch darum, dass die RSF die gemeinsamen Grenztruppen, die der Tschad und der Sudan 2010 eingerichtet hatten, zu verdrängen begann. Burhan und Déby beschlossen, der Dominanz der RSF in der Region mit der Stärkung der gemeinsamen Grenztruppen entgegen zu wirken: Im Namen der Grenzkontrolle operieren in diesem Gebiet mehrere bewaffnete Gruppen und Kräfte, die sich um die Vorherrschaft und den Zugang zu Ressourcen streiten. Die Zivilgesellschaft ist jedoch der Gewalt all dieser dort operierenden Kräfte ausgesetzt. Die Militarisierung der Grenzschutzkräfte schürt einmal mehr lokale Konflikte und die Unterdrückung der lokalen Gemeinschaften – was selbst Ursache für Fluchtmigration werden kann. Die Rolle der EU in der Unterstützung der Kontrolle der sudanesischen Grenzen ist daher umso mehr zu verurteilen.
Dieses Beispiel zeigt einerseits, dass die RSF im Interesse von Hemedti agiert, der freie Hand hat, über seine Truppen und deren Einsätze zu entscheiden. Andererseits zeigt es, dass Hemedti mächtig genug ist, seine eigene Außenpolitik zu betreiben: Die Außenpolitik von Hemedti und Burhan ist nicht einheitlich, sondern geprägt durch ihren Kampf um Macht. Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass einige der internationalen Partner:innen des Sudan entweder Burhan oder Hemedti unterstützen, je nach ihrer eigenen Interessenslage an der Zusammenarbeit.
Hemedtis Alleingang spiegelt sich auch in seinem jüngsten Versuch wider, sich und die RSF auf internationaler Ebene zu rehabilitieren: In einer Pressekonferenz Mitte Januar erklärte er, dass er seine Teilnahme am Putsch von 2021 bedauere, und prangerte Leute an, die sich "an die Macht klammern" – gleich nachdem Burhan erneut beteuert hatte, der Putsch sei "zum Wohle des Landes" erfolgt. Hemedti positionierte sich damit als legitimer internationaler Partner, im Gegensatz zu Burhan. Diese strategische Positionierung nutzt Hemedti seitdem immer wieder und inszeniert sich als Befürworter einer zivilen Regierung. Für die EU scheint dies opportun, denn Hemedti und die RSF spielen europäischen Interessen in die Hände. Die Erklärung des EU-Vertreters Josep Borell vom Dezember 2022 verheißt nichts Gutes: "Die Vorbereitungen für die Wiederaufnahme der Beziehungen und der Zusammenarbeit können beginnen, sobald eine Übergangsregierung und verfassungsrechtliche Regelungen für die Übergangszeit vereinbart worden sind."
Europas politische Unterstützung
Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeiten die EU und die europäischen Mitgliedstaaten mit nicht-europäischen Akteur:innen zusammen, um Migrationsbewegungen zu kontrollieren. Der Grundgedanke ist, dass Migration schon in den Herkunfts- und Transitländern kontrolliert werden soll. Aus europäischer Sicht ist der Sudan ein wichtiger Partner in dieser Zusammenarbeit: Der Sudan gilt sowohl als Herkunftsland migrierender Menschen als auch als Transitstaat, den Menschen aus umliegenden Ländern auf ihrem Weg in nordafrikanische oder europäische Staaten durchqueren.
Diese strategische Lage des Sudan ist Hemedti wohlbekannt, und sie war auch al-Bashir bekannt. Die beiden Machthaber haben sie auch immer wieder genutzt, um politische und finanzielle Unterstützung von der EU zu erhalten. Obwohl al-Bashir zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird und der Internationale Strafgerichtshof 2009 und 2010 Haftbefehle wegen Völkermordes erlassen hat, suchte die EU die Zusammenarbeit mit dem sudanesischen Diktator und leitete im Rahmen zahlreicher Abkommen, Fonds und Programme Gelder in den Sudan, um die Migrationskontrolle auszubauen – und damit auch al-Bashirs Macht.
Hemedti beruft sich strategisch auf die Angst der europäischen Regierungen und der EU vor sogenannter "irregulären Migration": "Wenn der Sudan die Grenze öffnet, wird es weltweit ein großes Problem geben." Hemedti forderte einmal ein europäisches "Lösegeld" für die Grenzkontrolltätigkeit der RSF. In einem anderen Fall forderte er die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen den Sudan. Seine Strategie ist erfolgreich, wie er einmal berichtete: "Einige [europäische] Vertreter:innen sind mit uns in die Wüste gekommen, um unsere Einsätze zu beobachten und Schulungen anzubieten." Ihre Nationalitäten behielt er für sich. Hemedti weist also darauf hin, dass die EU keine andere Wahl hat, als den Sudan und insbesondere ihn und seine RSF zu unterstützen, denn er verfügt über die Verbindungen, um mit den zahlreichen Gruppen und Milizen in der Wüste zwischen Sudan, Tschad und Libyen zusammenzuarbeiten und hat damit die Macht, die Grenze tatsächlich zu kontrollieren.
Dass die EU diese Drohungen ernst nimmt, wurde gleich nach dem Sturz al-Bashirs deutlich: Zahlreiche europäische Beamt:innen, darunter Delegationen aus Großbritannien und den Niederlanden, reisten nach Khartum. Die Vertreter:innen kamen jedoch nicht, um sich mit Vertreter:innen der Zivilgesellschaft zu treffen, sondern mit dem Milizenführer Hemedti. Auch eine Delegation der EU suchte rasch das Gespräch mit Hemedti: Im Oktober 2019 traf sich eine "hochrangige Mission" aus Brüssel aus Jean-Christophe Belliard, stellvertretender Generalsekretär und Generaldirektor für politische Angelegenheiten im Auswärtigen Dienst der EU, Koen Doens, Generaldirektor für Entwicklungszusammenarbeit, und Alexander Rondos, EU-Sonderbeauftragter für das Horn von Afrika, mit Hemedti. In Hemedti erkannten diese Delegationen eine Figur, die mächtig genug ist, um ihre Interessen zu vertreten – aber auch mächtig genug, um sie zu bedrohen. Um die Kontrolle über die Migrationsbewegungen an den sudanesischen Grenzen zu erlangen, sind die EU und die europäischen Mitgliedstaaten bereit, Hemedti und die ihm unterstellte RSF zu unterstützen, eine antidemokratische paramilitärische Gruppe, die an der grausamen Unterdrückung von Migrant:innen, zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Demokratiebewegung im Sudan beteiligt ist.
Externalisierung – Der Khartum-Prozess
Der politische Vorstoß, Migrations- und Grenzkontrolle an nicht-europäische Akteur:innen auszulagern, begann in den 2000er Jahren. Diese sogenannte Externalisierungspolitik basiert auf der Idee, dass die Herkunftsregion von Migrant:innen für die Verhinderung und Kontrolle von Migrationsbewegungen verantwortlich ist. Der Sudan war kein offizieller Kooperationspartner der EU – bis zur Gründung des Khartum-Prozesses, einer "Plattform für die politische Zusammenarbeit zwischen den Ländern entlang der Migrationsroute zwischen dem Horn von Afrika und Europa". Der Khartum-Prozess, weniger bekannt als EU-Initiative für die Migrationsroute zwischen dem Horn von Afrika und Europa, ist das Ergebnis eines Treffens von Minister:innen europäischer und afrikanischer Staaten in Rom, bei dem die "verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Migration und Mobilität" erörtert wurde. Die teilnehmenden Minister:innen, darunter zum ersten Mal auch der sudanesische Minister , verabschiedeten die Erklärung der Ministerkonferenz des Khartum-Prozesses, die auch als Erklärung von Rom von 2014 bekannt ist. Diese Erklärung ist das wichtigste strategische Dokument des Khartum-Prozesses. Die Erklärung enthält mehrere Ziele, darunter den Aufbau lokaler Kapazitäten und die Entwicklung nationaler Strategien im Bereich "Migrationsmanagement", Maßnahmen zur Einschränkung der "irregulären" Migration, Maßnahmen zur Identifizierung sowie die Umgestaltung gesetzlicher Grundlagen im Sinne einer stärkeren Kontrolle migrierender Menschen und Migrationsbewegungen in den Herkunfts- und Transitländern, um Migration zu kriminalisieren und Behörden zu ermöglichen, Migrant:innen oder Personen, die sie unterstützen, strafrechtlich zu verfolgen.
Diese Externalisierungspolitik manifestiert sich in den zahlreichen von der EU und ihren Mitgliedstaaten finanzierten und realisierten Programmen und Projekten. Die Finanzierung ist undurchsichtig, aber das Hauptinstrument zur Umsetzung dieser Politik im Sudan ist der Europäische Treuhandfonds für Afrika EUTF. Aus dem EUTF werden 75 Prozent der Programme im Rahmen des Khartum-Prozesses finanziert, der Rest wird aus anderen EU-Haushalten finanziert und 7 Prozent kommen direkt von den EU-Mitgliedstaaten und anderen Gebern. Der EUTF umfasst 2 Milliarden Euro. Nach Angaben des EUTF hat der Sudan seit der Einrichtung des Fonds von 542.133.026 Euro für nationale Projekte "profitiert", von denen 53.020.000 Euro in Projekte zur "Verbesserung des Migrationsmanagements" flossen. Darüber hinaus wurden 114.782.852 Euro aus dem EUTF für regionale Projekte zur "Verbesserung der Migrationssteuerung" bereitgestellt, die auf Veränderungen im Sudan abzielten. Damit ist der Sudan der viertgrößte Empfänger von EUTF-Geldern am Horn von Afrika. Es ist unklar, ob Projekte, die sich nicht explizit mit dem “Migrationsmanagement” befassen, manchmal auch dazu verwendet werden, Gelder in die Kontrolle von Migration und Grenzen zu lenken: Forscher:innen stellten fest, dass nur drei Prozent der Mittel für die Schaffung sicherer und regulärer Migrationsrouten verwendet wurden, obwohl der EUTF eigentlich Fluchtursachen, und Menschenhandel bekämpfen soll.
Auch wenn die EUTF-Website eine Reihe von Projekten und ihre wichtigsten Implementierungsorganisationen wie die IOM und GIZ auflistet, führt sie keine Informationen über die sudanesischen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur:innen auf, die an den Programmen teilnehmen und über diese (mit)finanziert werden. Mechanismen, die eine öffentliche und transparente Zugänglichkeit von Informationen über die EUTF-Programme sicherstellen, funktionieren nicht – immer wieder wurde Kritik an den Kontrollmechanismen der EUTF-Programme geübt, da diese Programme "auf undurchsichtigen Auswahl-, Überwachungs- und Bewertungsprozessen beruhen". Dieses Problem betrifft nicht speziell den Sudan, aber nichts deutet darauf hin, dass die Rechenschaftspflicht und die Überwachungsmechanismen im Sudan besser funktionieren – obwohl dies in einem Staat, in dem die Kontrolle von Grenzen in den Händen einer ehemaligen Miliz wie der RSF liegt, unerlässlich wäre. Dies steht im Gegensatz zu der Behauptung der EU, dass die Gelder nicht an den sudanesischen Staat gehen, sondern dass "alle von der EU finanzierten Aktivitäten im Sudan von den Entwicklungsagenturen der EU-Mitgliedstaaten, den Vereinten Nationen, internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen durchgeführt werden", wie ein Sprecher der EU gegenüber Middle East Eye im Jahr 2019 erklärte. Dies ist schlicht und einfach nicht wahr.
Neben der direkten Finanzierung und Unterstützung staatlicher Strukturen existiert auch die indirekte Zusammenarbeit mit staatlichen Strukturen wie der sudanesischen Polizei im Rahmen der Programme des Khartoum-Prozesses. Die kategorische Behauptung, dass insbesondere "die RSF von keiner direkten oder indirekten Unterstützung im Rahmen eines laufenden oder zukünftigen EU-finanzierten Projekts profitieren und profitieren werden" ist nicht haltbar. Im Gegenteil, die politische Unterstützung und die indirekte Unterstützung der RSF durch die EU und die europäischen Mitgliedstaaten besteht zumindest indirekt und in seltenen Fällen kann auch eine direkte Zusammenarbeit nachgewiesen werden.
EU-Programme
Die von der EU finanzierten und durchgeführten Programme im Sudan zur Stärkung der Migrationskontrolle sind von Intransparenz geprägt und eher schwer nachvollziehbar. Hervorzuheben sind das Better Migration Management Programme BMM sowie der Aufbau eines regionalen Operationszentrums in Khartum ROCK, die beide direkt und indirekt die RSF unterstützt haben und vermutlich auch weiterhin unterstützen werden.
Better Migration Management Program
BMM ist ein mehrjähriges, regionales Programm, das 2016 von der EU und Deutschland eingerichtet wurde. Es wird von der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) geleitet und von zahlreichen Einrichtungen der EU-Mitgliedstaaten wie der IOM, dem UNHCR und den Innenministerien Italiens, Großbritanniens und Frankreichs umgesetzt. Im Jahr 2016 stellte die EU 40 Millionen Euro aus dem EUTF für das BMM-Programm zur Verfügung,ein Anteil von 5 Millionen Euro wurde für die Justiz und die Strafverfolgung bereitgestellt. Das Programm hat zu Kontroversen geführt, insbesondere in Bezug auf die Umsetzung des "Aufbaus von Kapazitäten": "Stärkung der Kapazitäten aller Migrations- und Grenzschutzbehörden, wie z.B. einiger Beamt:innen an vorderster Front [...], insbesondere durch Schulungen und technische Unterstützung [...] durch die Bereitstellung von grundlegenden Werkzeugen und Ausrüstungen für Regierungsbehörden und Grenzschutzbehörden" – dies könnte riskieren dass die europäischen Gelder in die Hände der RSF gelangen, wie der Wissenschaftler Suliman Baldo zeigt. Baldo bringt es auf den Punkt: "Indem die EU dem Sudan materielle und technische Unterstützung gewährt, um seine Kapazitäten zur Migrationssteuerung zu verbessern, und angesichts der Tatsache, dass der Sudan eine der gewalttätigsten Milizen Darfurs mit der Überwachung seiner Grenzen zu Libyen und Ägypten beauftragt hat, riskiert die EU nicht nur, die RSF zu unterstützen, sondern auch, ein ausgeklügeltes Geflecht wirtschaftlicher Interessen in Sudans Milizstaat zu untermauern."
Konkret bedeutete dies, dass das sudanesische Innenministerium im Jahr 2016 eine Forderungsliste erstellte. Diese umfasste die Ausbildung von Grenzpolizist:innen, eine Reihe von Materialien für siebzehn Grenzübergangsstellen wie Computer, Kameras, Server, Autos und Flugzeuge. Außerdem wurde darin die Ausrüstung und Personal für ein Ausbildungszentrum in Khartum gefordert. Diesen Forderungen, abgesehen von der nach Flugzeugen, kam die EU im Rahmen des Better Migration Management Program nach.[3] Journalist:innen stellen darüber hinaus fest, dass der Ausschuss der Ständigen Vertreter:innen des Europäischen Komitees diese Forderungen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen diskutierte: Die Öffentlichkeit dürfe "unter keinen Umständen" von diesen Plänen erfahren, da sie dem europäischen Ruf schaden könnten, zitiert der Spiegel aus internen Sitzungsunterlagen. Außerdem beschloss die EU, sudanesische Grenzpolizist:innen auszubilden und beim Bau von zwei Lagern mit Hafträumen für Migrant:innen zu unterstützen. Die EU hat stets betont, dass diese Materialien nicht in die Hände der RSF fallen und diese nicht von der Unterstützung profitieren werden. Angesichts der Aktivitäten der RSF und ihrer engen Einbettung in die Regierung ist diese Behauptung nicht haltbar. Der Journalist Eric Reeves prognostizierte daher, dass die Ausrüstung in erster Linie von der N.I.S.S., die das operative Kommando über die RSF hat, und dem breiten Netz von Akteur:innen, auf das sich der Staat bei der Grenzkontrolle stützt, eingesetzt werden wird: Die RSF führt enge Beziehungen zur N.I.S.S., wenn sie nicht sogar zentraler Bestandteil des N.I.S.S. ist. Die europäische Behauptung, dass die RSF nicht von der Ausrüstung profitieren würde, wird noch weniger plausibel, wenn man bedenkt, dass die EU die Diskussion über die Ausrüstung auf höchster Geheimhaltungsstufe geführt hat und keine transparente Kommunikation über die Beschlüsse führt.[4]
Die europäische Unterstützung für die RSF geriet erneut in den Fokus, als Journalist:innen 2016 enthüllten, dass die EU geplant hatte, den sudanesischen Behörden Schulungen und Ausrüstung zu liefern. Dies sollte unter dem UN-Menschenrechtsbüro OHCHR durchgeführt werden. Die Pläne leugneten die Zusammenarbeit mit der RSF ausnahmsweise nicht: Diese umfassten Menschenrechtsschulungen für die RSF, Unterstützung bei der Aufspürung und Identifizierung von Migrant:innen und Schulungen im Umgang mit Schusswaffen. Nachdem dieses Programm in die Kritik geraten war, stellte das OHCHR Teile des Programms ein und die EU startete eine Kampagne, um zu versichern, dass die EU nicht mit der RSF zusammenarbeiten würde – weder damals noch in Zukunft.
Doch die EU brach ihr Versprechen erneut: Im Jahr 2020 organisierten das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte und die UN-Friedensmission im Sudan, die beide dem Khartum-Prozess angehören, ein Treffen in Khartum. An diesem Treffen nahmen auch hochrangige RSF-Vertreter teil, darunter RSF-Chef Hemedti. Bei diesem Treffen sollte ein breit angelegtes Ausbildungsprogramm für die RSF lanciert werden – finanziert mit 10 Millionen Euro aus dem EUTF. Dieser Plan sah nicht nur die Ausbildung der RSF mit europäischen Mitteln vor, sondern auch direkte Zahlungen an die Infrastruktur der Gruppen. Außerdem hätte dieses Programm der RSF die Möglichkeit gegeben, sich als legitimer internationaler Partner zu präsentieren und so ihr Image aufzupolieren. Allerdings barg auch dieses Programm ein Risiko für die EU: In der Programmbeschreibung wurden die Risiken als möglicher "Ansehensverlust durch teilnehmende Institutionen, deren Mitglieder möglicherweise Menschenrechtsverletzungen begangen haben" beschrieben. Dies führte zum vorzeitigen Ende des Programms: Die Pläne wurden öffentlich bekannt und die EU musste auf den öffentlichen Druck hin zurückrudern und sagte das Training ab.
IOM stellt Mittel für Grenzkontrollen bereit
Wie wir sehen, ist die offene Zusammenarbeit mit sudanesischen militärischen und paramilitärischen Kräften wiederholt auf Kritik gestoßen. Die EU hat daraufhin versichert, dass europäische Gelder nicht an staatliche Strukturen fließen und dass die Programme im Rahmen des Khartum-Prozesses ausschließlich von internationalen Organisationen in Zusammenarbeit mit lokalen NROs durchgeführt werden. Doch auch diese Behauptungen sind irreführend, da einige dieser internationalen Organisationen direkt mit sudanesischen staatlichen Akteur:innen und Sicherheitskräften zusammenarbeiten. Dies ist der Fall bei der Internationalen Organisation für Migration IOM, einer wichtigen Akteurin bei der Umsetzung der Ziele des Khartum-Prozesses im Sudan. Der Leiter der IOM-Einheit in Khartum sagte dazu: "Natürlich arbeiten wir mit der sudanesischen Regierung zusammen – eine unserer Hauptaufgaben ist die Unterstützung der institutionellen Stärkung im Umgang mit Migration. Wir sind nicht hier, um Migration zu bekämpfen, wir sind hier, um Migration zu steuern." Deshalb arbeitet die IOM auch direkt mit Einwanderungs- und Polizeibeamten zusammen: Die IOM hat mehrfach Einwanderungs- und Polizeibeamte in Grenzmanagement-Informationssystemen geschult. Es gibt im Rahmen dieser Zusammenarbeit keine Beweise für eine direkte Zusammenarbeit mit und Unterstützung der RSF – aber es gibt auch keine Beweise dafür, dass die Schulungen nicht auch der RSF oder ihr nahestehenden Kräften zugute kamen.
Damit sind wir wieder bei der undurchsichtigen Natur der europäischen Finanzierung von Maßnahmen zur Migrationskontrolle. Die IOM Programme im Sudan zeichnen sich durch Intransparenz aus und sind öffentlich nicht einsehbar. Ob die Programme der IOM und deren Unterstützung des sudanesischen Sicherheitsapparat nicht in irgendeiner Form auch die RSF erreichen, ist damit nicht überprüfbar – und ist durchaus denkbar, da die RSF eng in den sudanesischen Staats- und Sicherheitsapparat integriert ist. Die Kooperationspartner:innen der IOM werden nicht offengelegt und deren genauen Aktivitäten sind nicht dokumentiert. Laut eigenem Factsheet 2020 führt die IOM im Sudan Programme in den verschiedensten Staaten durch, deren Inhalt oberflächlich beschrieben wird: Dazu gehören "Immigration and Border Management", bei dem es um die technische Unterstützung der Regierung und die Stärkung der Grenzmanagementkapazitäten geht. In den Finanzberichten der letzten zwei Jahre stechen jedoch zwei Projekte hervor:
Erstens behauptet die IOM, sie unterstütze "die Einrichtung und Nutzung von Grenzmanagement und die Gewährleistung einer reibungslosen und ordnungsgemäßen Abwicklung von Reisenden". Darüber hinaus listet die Organisation technische Unterstützung auf auf, mit der sie die Kapazitäten der sudanesischen Regierung in den Bereichen Einwanderung und Grenzmanagement zu erweitern sucht, sowie die "integrierte Unterstützung der sudanesischen Regierung bei der Steuerung gemischter Migrationsströme [sic!] und der Bereitstellung direkter Unterstützung für gefährdete Migrant:innen und aufnehmende Gemeinden im Ostsudan". Diese im Factsheet der IOM festgehaltenen Ziele könnten einer Reihe von Schulungen entsprechen, die die IOM durchgeführt hat und in denen unter anderem Polizeibeamte in Dongola zum Thema "Untersuchung und Verfolgung von Menschenhandel" geschult wurden.
Dongola, eine Stadt im Norden Sudans, ist von entscheidender Bedeutung für die Kontrolle der Migrationsbewegungen: In dieser Stadt steht ein Zentrum, in das an den Grenzen festgenommene Migrant:innen oft gebracht werden und "wo man diese festhalten kann". Es findet also eine Zusammenarbeit des Zentrums mit jenen Kräften statt, die Migrant:innen an der Grenze festhalten, mutmaßlich also auch den RSF. Diese Mutmaßung scheint durch Aussagen des General Awad Elneil Dhia, der Leiter der sudanesischen Einwanderungspolizei, noch wahrscheinlicher: "[Die RSF] sind dort [an den Grenzen] präsent und können helfen. Die Polizei ist nicht überall präsent, und wir können nicht alles abdecken", erklärt er. Die Verbindungen zwischen der IOM und der RSF mögen vielleicht indirekt sein, aber die Verbindungen sind da.
Das Engagement der EU in Dongola als einem zentralen Ort der Grenzkontrolle könnte jedoch noch weiter zurückreichen: Im Jahr 2018 wurden Pläne bekannt, im Rahmen des Better Migration Management Program ein Haftzentrum in Dongola einzurichten und zu betreiben. General Awad Elneil Dhia erklärte dazu: "Der Vorschlag kam von uns, weil wir keine Möglichkeit haben, Menschen unterzubringen." Dieses Zentrum würde dazu dienen, die an den Grenzen aufgegriffenen Personen "festzuhalten" und sie zurückzuschicken – eine Rolle, die die IOM in mehreren Ländern, wie z. B. Niger, übernimmt. Dort betreibt die IOM ein Zentrum, das Menschen "aufnimmt", die an der algerischen Grenze abgefangen oder zurückgeschoben wurden – unter der Bedingung, dass sie einer sogenannten freiwilligen Rückkehr zustimmen. Auf diese Weise wird die IOM zu einem zentralen Vehikel für die Europäische Union, um Menschen immer weiter von den europäischen Grenzen abzuschieben. Wenn die IOM dieses Zentrum so betreiben würde, wie sie es in anderen Ländern tut, würde das bedeuten, dass die IOM die Menschen von der RSF aufnimmt, die sie an den Grenzen abgefangen hat, und somit ein integraler Bestandteil der Rolle der RSF bei der Kontrolle der Migration ist. Doch was aus diesen Plänen geworden ist, ist unklar – Informationen darüber sind schwer zu finden, und die IOM ist nicht dafür bekannt, umfassende Informationen über ihre Aktivitäten zu liefern.
Die oben genannten Programme und Projekte beweisen nicht eindeutig, dass eine Zusammenarbeit und Unterstützung der RSF durch die IOM stattfindet. Doch machen Beispiele aus anderen Kontexten deutlich, dass die Programme der IOM die Grenzen des Humanitären überschreiten, obschon die Organisation diesen Ruf sorgfältig pflegt: Aus Berichten geht hervor, dass die IOM etwa in Georgien nicht nur mit Grenzschutzbeamten zusammenarbeitet, sondern diese auch ausrüstet. Obschon im Sudan die entsprechenden Beweise fehlen, gibt es starke Anzeichen für Verbindungen zwischen IOM und RSF – und wenn die Unterstützung der RSF durch die IOM nicht direkt ist, gibt es zumindest eine Form der indirekten Zusammenarbeit.
Die Rolle der lokalen NGOs
Die Behauptung, dass die europäischen Gelder nicht an den sudanesischen Staat, sondern an lokale Nichtregierungsorganisationen gehen, ist auch aufgrund der strukturellen Positionierung der lokalen NGOs irreführend: Lokale NGOs sind entweder eng mit dem sudanesischen Staat verbunden oder müssen bei der sudanesischen Regierung und ihren Regulierungsbehörden registriert sein. Will die EU eine Zusammenarbeit mit einer dieser registrierten NGO eingehen, muss sie sich an die Kommission für humanitäre Hilfe wenden, die unter al-Bashir eine Zweigstelle des sudanesischen Geheimdienstes N.I.S.S. war und unter der Übergangsregierung dem militärischen Geheimdienst untersteht. Die sudanesische Regierung und die Sicherheitsbehörden überwachen also die Aktivitäten der lokalen NGOs im Bereich rund um Migration im Sudan sowie ihre Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und Geldgeber:innen genau. Die Erfahrungen lokaler NGOs zeigen, dass insbesondere der Zeitpunkt der Registrierung vom sudanesischen Regime genutzt wird, um Geld zu kassieren – und so fließt ein Teil der Gelder, die die EU nach eigenen Angaben in lokale NGOs steckt, an den sudanesischen Staat.
ROCK
Ein weiteres Programm, das mit 5 Millionen Euro aus dem EUTF finanziert wird, ist ROCK, das Regionale Operative Zentrum in Khartum. Es zielt darauf ab, polizeiliche Erkenntnisse zwischen den Staaten am Horn von Afrika auszutauschen, um "das Migrationsmanagement in den Herkunfts- und Transitländern zu verbessern." Das Zentrum in Khartum wird von der staatlichen französischen Sicherheitsfirma Civipol "zugunsten eines Konsortiums von EU-Mitgliedstaaten, bestehend aus Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Italien, Spanien als assoziiertem Partner und Deutschland als Beobachter" geleitet und umgesetzt.
Die Finanzierung und Leitung wurde von europäischen Akteur:innen übernommen. Im Zentrum selbst waren Polizeibeamt:innen aus europäischen Staaten wie Großbritannien, Frankreich und Italien vertreten, die mit sudanesischen Beamt:innen und einer Reihe von Verbindungsbeamt:innen aus Staaten am Horn von Afrika zusammenarbeiteten. Die Einsätze und die Arbeit der dort versammelten Beamt:innen stützten sich auf Informationen des sudanesischen Nachrichtendienstes N.I.S.S. Das bedeutet, dass das mit europäischen Mitteln geförderte Zentrum und die dort arbeitenden Beamt:innen mit demNachrichtendienst zusammenarbeiten, dem die RSF unterstellt ist.
Zwischen Juni und September 2019 wurde das Zentrum geschlossen und die internationale Belegschaft nach Nairobi verlegt. Einige behaupten, diese vorübergehende Schließung sei als Reaktion darauf erfolgt, dass behauptet wurde, dass im ROCK-Zentrum RSF-Kämpfer ausgebildet wurden. EU-Vertreter:innen entgegneten, dass die Schließung des Zentrums ausschließlich der Sicherheit der Mitarbeiter:innen gedient hätte.
Besorgniserregend am ROCK-Programm ist besonders, dass es die Stärkung der Kontrollmechanismen und die Ausbildung von Grenzschutzbeamt:innen als zentrale Inhalte des Projekts vorsieht, ohne dass ein Kontrollmechanismus besteht um festzustellen, ob dabei Verbindungen zur RSF existieren. Außerdem ist problematisch, dass das Zentrum eine Form der Umgehung des Waffenembargos darstellt. Diesen Einwänden zum Trotz ist ein Nachfolgeprojekt bereits im Gange. Während ROCK offiziell noch in Betrieb war, richtete die Afrikanische Union (AU) ein kontinentales Operationszentrum ein. Ziel ist der Austausch von Informationen zur besseren Steuerung von Migrationsbewegungen. Die Verbindungen zwischen der EU und den AU-Zentren sind nicht transparent. Die EU behauptet, dass keine im ROCK-Programm erhobenen Daten weitergegeben würden, aber dass das neue Zentrum die aus ROCK-Einsatzzeiten gewonnenen Erkenntnisse umsetzen werde.
Bilaterale Abkommen: Klandestine Ausbildung von RSF-Milizen
Neben den Programmen der EU existieren auch bilaterale Kooperationsabkommen. Mit diesen Abkommen verfolgen die beteiligten Staaten unterschiedliche Ziele, darunter auch die Etablierung und Stärkung bereits bestehender Abschiebepolitiken. In diesen bilateralen Abkommen und Kooperationen finden sich auch Hinweise auf eine direkte und indirekte Unterstützung der RSF:
2016 schloss die italienische Regierung eine Absichtserklärung mit dem sudanesischen Staat, ein sogenanntes Memorandum of Understanding.. Diese Vereinbarung fokussierte auf Abschiebungen und führte zur Etablierung der Praxis, dass sudanesische Beamt:innen in Italien an der Identifikation von Sudanes:innen mitarbeiten, die der italienische Staat abschieben will. Die Zusammenarbeit ist auch bei der Migrationskontrollmaßnahmen im Sudan eng, auch bei solchen, die auch die RSF beteiligen. Journalist:innen enthüllten, dass das italienische Militär die RSF heimlich ausgebildet hat – ohne das Wissen des italienischen Parlaments: 2022 besuchte Hemedti Italien in einem Flugzeug der Vereinigten Arabischen Emirate und traf wichtige Vertreter:innen der Türkei, Italiens und der NATO. Während seines Besuchs legte Hemedti eine Liste mit Anfragen vor, die unter anderem Material für technische und strategische Unterstützung (das heißt für Ausbilder:innen bei Trainingsmaßnahmen und Waffen) umfasste. Diese Anfragen wurden bewilligt und so wurden unter anderem Drohnen bereitgestellt, mit denen die RSF Migrationsbewegungen gen Europa überwacht. Neben der geheimen Ausbildung der RSF durch italienische Beamt:innen wurde aufgedeckt, dass auch die russische Wagner-Gruppe die RSF ausbildet.
Die Zusammenarbeit der RSF mit italienischen Akteur:innen findet selbst auf Geheimdienstebene statt: Im selben Jahr empfing der Kommandeur der RSF eine Delegation italienischer Geheimdienstler:innen in Khartum, ebenfalls zu einem Geheimbesuch: Weder die italienische noch die sudanesische Regierung wussten davon. Hemedti selbst empfing die Delegation. Die beteiligten Delegierten trugen eine Reihe großer Taschen und acht Rucksäcke bei sich, die italienischer Militärausrüstung ähnelten, wie Bilder zeigen. Der Inhalt bleibt unbekannt, aber die Chronologie der Ereignisse macht stutzig.
Das Vereinigte Königreich hat einen so genannten halbjährlichen "strategischen Dialog" begonnen, bei dem Migration, Terrorismusbekämpfung und Handel im Mittelpunkt stehen.[5] Darüber hinaus existieren bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und dem Sudan, die eine Zusammenarbeit zwischen deutschen und sudanesischen Beamt:innen in Migrationsfragen ermöglichen. Auch wenn es darin nicht explizit um die RSF geht, ist bekannt, dass sudanesische und deutsche Beamt:innen 2016 Verhandlungen über mögliche technische, logistische und Ausbildungsunterstützung für die sudanesischen Polizeikräfte geführt haben. Beim Besuch einer Delegation des sudanesischen Innenministers in Berlin erzielten die Parteien eine gemeinsame Vereinbarung zur Bekämpfung der illegalen Migration und des Menschenhandels. Die deutsche Seite versprach nach Angaben des Generaldirektors der sudanesischen Polizei, Hashim Osman al-Hussein, dass der europäische Staat demnächst Technologien zur Migrationskontrolle in den Sudan schicken und der sudanesischen Polizei Trainingseinheiten zur Verfügung stellen wird. Ob diese Pläne verwirklicht wurden, ist unklar – Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen einzelnen europäischen Mitgliedstaaten und der EU mit dem Sudan sind weder der sudanesischen noch der europäischen Zivilbevölkerung zugänglich.
Fazit
Dieser Artikel versucht, Einblick in die Geschichte und die Belege für eine direkte und indirekte Zusammenarbeit zwischen der EU und den europäischen Mitgliedsstaaten mit den sudanesischen Rapid Support Forces zu geben. Um ein fundierteres und detaillierteres Verständnis der europäischen Externalisierungs- und Migrationskontrollpolitik und deren Verbindung zur RSF zu gewinnen, bleiben zu viele relevante Verbindungen unbekannt und bedürfen größeren Recherchen. Ein genauerer Blick lohnt sich insbesondere auf die verschiedenen Hauptakteur:innen, die die Programme im Rahmen des Khartum-Prozesses umsetzen, sowie es lohnt, mehr Einblick in den Waffenhandel mit dem Sudan zu gewinnen, der trotz Waffenembargos der UN und der EU nicht zum Erliegen gekommen ist.
Festgehalten kann an diesem Punkt schlicht, dass die undurchsichtige und im Geheimen organisierte Zusammenarbeit der EU und der europäischen Mitgliedstaaten mit dem Sudan es unmöglich macht, ein umfassendes Bild dieser Zusammenarbeit zu zeichnen. Diese Undurchsichtigkeit ist höchst problematisch und, so könnte man argumentieren, politisch gewollt: Es ist nicht überprüfbar, in welchem Umfang die EU und die europäischen Mitgliedstaaten mit sudanesischen Akteur:innen zusammenarbeiten – und damit bleibt auch das Ausmaß der europäischen Kooperation mit der RSF im Dunkeln. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Behauptung der EU, nicht mit der RSF zu kooperieren, nicht haltbar ist: Zu eng sind die Verbindungen zwischen der europäischen Politik der Migrationskontrolle, der Vergangenheit und Gegenwart des sudanesischen Militärregimes und der RSF. In einigen Fällen sind handfeste Beweise für die materielle und finanzielle Unterstützung der RSF an die Öffentlichkeit gelangt. Beispiele wie die geheime Ausbildung der RSF durch das italienische Militär lassen außerdem vermuten, dass die Unterstützung der RSF in anderen Fällen möglicherweise an der Öffentlichkeit vorbei und über geheime Kanäle erfolgte. Und es sind nicht nur europäische Mitgliedstaaten, auch die EU leitet Mittel und Unterstützung über offizielle Programme wie das Better Migration Management Program und das ROCK-Program an die sudanesischen Streitkräfte zu leiten – manchmal direkt an die RSF, manchmal an Akteur:innen, die mit diesen zusammenarbeiten.
In den letzten Jahren hat die EU ein undurchsichtiges Kooperationsnetz geschaffen, in dem Hemedti und die RSF eine zentrale Rolle spielen. Dies ist nicht nur im Interesse der europäischen Externalisierungspolitik, die Auslagerung der Kontrolle von Migrationsbewegungen auch die Macht von Akteur:innen wie der RSF. Hemedti scheint also vollkommen Recht zu haben, wenn er seine Bedeutung für die EU betont, die von seiner Unterstützung und der Zusammenarbeit mit einer dominanten und brutalen Kraft wie der RSF abhängig ist. Diese Beziehung ist programmatisch: Die Zusammenarbeit mit Hemedti ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Politik der Auslagerung der Migrationskontrolle von der Existenz mächtiger Akteur:innen abhängig ist. Der EU und den europäischen Mitgliedstaaten scheint es dabei gleichgültig, mit welchen Mitteln diese Akteur:innen ihre Macht erhalten haben, diese ausbauen – und dass sie selbst dazu beitragen, die Macht von Akteur:innen wie der RSF zu stärken.
Footnotes
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Willow Berridge, Justin Lynch, Raga Makawi and Alex de Waal (2022): Sudans’s Unfinished Revolution. The Promise and Betrayal of a Peoples Revolution, London (Hurst: African Arguments), S.83
↩ -
Ebd., S.83
↩ -
Akkermann, Mark. 2018. Expanding the Fortress. The policies, the profiteers and the people shaped by EU’s border externalization programme. Transnational Institute and Stop Wapenhandel, 59.
↩ -
Akkermann, Mark. 2018. Expanding the Fortress. The policies, the profiteers and the people shaped by EU’s border externalization programme. Transnational Institute and Stop Wapenhandel, 60.
↩ - ↩