Das MoU mit Ägypten: Ein neuer Deal?
April 6th, 2024 - von: migration-control.info
Kommentar:
Das MoU mit Ägypten: Ein neuer Deal?
Wie ähnlich die Bilder: Von der Leyen, Meloni & Co in Tunis, im Juni 2023 und nun, am 17. März, der Besuch in Kairo. Ein neues Memorandum of Understanding (MoU), eine „Strategische und umfassende Partnerschaft“. Selbstverständlich ist die Partnerschaft der EU mit Al-Sisi, die in erster Linie der Verhinderung von Migration dient, von Menschenrechtsorganisationen umgehend kritisiert worden:
Der Schlüssel zu dieser Partnerschaft wird die Unterstützung der EU für die ägyptischen Grenzkontrollen sein. Die Details werden zwar noch ausgehandelt, aber der Plan ist derselbe wie bei den mangelhaften EU-Vereinbarungen mit Tunesien und Mauretanien: Migranten stoppen, Missstände ignorieren.
Auch im Europäischen Parlament erhob sich Widerspruch: Aus dem Deal mit Tunesien seien 150 Millionen Euro dierekt in die Taschen Saieds gelangt und die 7,4 Milliarden Euro für Ägypten seien der Lohn für die Bekämpfung der Migration unter regional schwierigen Bedingungen.
Dass Al-Sisi in Ägypten seit 2014, Saied in Tunesien zunehmend seit 2019, diktatorisch regieren und dass sie Geflüchtete und Migrant:innen nach Belieben zum Spielball ihrer Interessen machen, haben wir auf dieser Seite ausgiebig analysiert: in unseren Wikieinträgen zu Ägypten und zu Tunesien und in zahlreichen Blogeinträgen. Auch haben wir eine Reihe von Analysen der geleakten EU-Dokumente auch zu Ägypten und Tunesien vorgelegt, zuletzt eine Beschreibung des EU Action Plans on Tunisia und der parlamentarischen Kritik am EU-Tunisia Deal.
In diesen Zeiten, in denen Von der Leyen, Meloni und ihresgleichen in Europa die Oberhand gewinnen und in denen große Teile des Maghreb – Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko – fest unter der Kontrolle konterrevolutionärer Diktaturen zu stehen scheinen, sollten wir uns erst recht davor hüten, die Visionen der EU für bare Münze zu nehmen. Es stimmt, dass die Bevölkerungen des Maghreb durch die Konterrevolution nach dem Arabischen Frühling um mehr als ein Jahrzehnt zurückgeschlagen und betrogen worden sind. Und es stimmt, dass die Rechten in Europa fröhliche Urständ feiern. Dennoch: die soziale Situation in Ägypten, in Tunesien ist weiterhin explosiv, und die Politik des Westens in Gaza trägt nicht unerheblich zu einer neuen, panarabischen Unruhe in den unteren Schichten bei. Die EU baut auf Wüstensand. Ihre Initiativen laufen den Migrationsbewegungen hinterher; die Zahl der Menschen, die die (externalisierten) Grenzbefestigungen überwinden konnten, ist im letzten Jahr wieder stark gestiegen. Und Niger ist wieder offen!
Das Vorbild für das Abkommen: Tunesien
Wir sollten uns auch davor hüten, die Lage und die EU-Dokumente immer wieder als „More of the Same“ zu analysieren. Wir sollten versuchen, die Dokumente in sozialen und ökonomischen Zusammenhang zu interpretieren. Das hier jüngst veröffentliche Dokument Revised Action file-Tunisia zum Beispiel liest sich ähnlich wie zahlreiche vorausgehende EU-Papiere. Die gleichen Klauseln, die gleichen „Säulen“. Aber dahinter verbirgt sich ein Dokument des Scheiterns.
Von der Leyen und Meloni hatten mit Saied die Zahlung von mehr als 1 Milliarde Euro vereinbart – allerdings mit kleinen Schönheitsfehlern:
- Für dieses Versprechen gab es keine Zustimmung, weder vom Rat noch vom Parlament der EU.
- Die Zahlung wurde nicht nur an das Wohlverhalten bei der Migrationsabwehr geknüpft, sondern 900 Millionen wurden als Kredit zugesagt unter der Bedingung, dass sich Tunesien mit dem IWF auf einen Kreditrahmen einigen würde. Das ist bis heute nicht geschehen.
- Übrig blieben 100 Millionen für die tunesische Küstenwache, 150 Millionen Direktzahlung. Die deutsche Innenministerin reichte später 150 Millionen nach. Als die erste Rate im Oktober 2023 unter Bedingungen ausgezahlt werde sollte, lehnte Saied die Zahlung als „Almosen“ ab. Inzwischen hat auch das EU-Parlament den Beschluss der Kommission zurückgewiesen.
- Im März 2024 nun wurden die Zahlungen aktualisiert: 164,5 Millionen € über 3 Jahre für die Sicherheitskräfte, einschließlich der Errichtung einer neuen Trainigsakademie für die Küstenwache durch die deutsche Bundespolizei, neuer Boote und Radargeräte und weiterer Grenzbefestigungen.
Das Revised Action file-Tunisia ist in mancher Hinsicht ein Dokument des Scheiterns. Frontex bekommt in Tunesien keinen Fuß auf den Boden, jetzt springt die Bundespolizei ein. Tunesien wird über das bilaterale Abkommen mit Italien hinaus keine Migrant:innen zurücknehmen und stimmt keinen externalisierten Asylverfahren zu. Erwähnenswert ist die geplante Finanzierung eines Kontrollzentrums an der libysch-tunesischen Grenze, das geeignet sein könnte, die Mobilität zwischen diesen beiden Ländern erheblich zu stören. Ob die Zuwendungen an die Küstenwache deren Aktivität dauerhaft steigert, bleibt abzuwarten. Gerade in den letzten Tagen, Ende März 2024, kamen wieder etliche Boote aus Tunesien in Lampedusa an. Gleichzeitig steigt die Zahl von Aufgriffen und Zurückführungen durch die tunesische Küstenwache. Der Wettlauf zwischen den Sicherheitskräften und den Migrationsbewegungen hat sich also im Frühjahr 2024 wieder verschärft.
Die EU-Kredite für Tunesien und nun auch für Ägypten sind an Abkommen mit dem IWF gebunden. Dieses Vorgehen hat eine lange Tradition. In den 1980er und 90er Jahren wurde den IWF-Schuldenstaaten mit dem „Washington Consensus“ ein neo-liberales Wirtschaftsprogramm aufgezwungen: Privatisierungen, Kürzungen im staatlichen Sektor und Einsparung der Lebensmittelsubventionen. Nach Jahren billigen Geldes wird eine derartige Konditionierung der IWF-Kredite jetzt wieder aggressiv formuliert. Saied ist, trotz drohenden Staatsbankrotts, nicht auf diese Bedingungen eingegangen. Er wollte Konflikte mit den Beschäftigten im Staatsapparat vermeiden und wollte die Geduld der Armutsbevölkerung nicht noch einmal mehr auf die Probe stellen. Damit wurden auch die EU-Milliarden hinfällig. Die soziale Lage im tunesischen Hinterland ist explosiv wie vor der Arabischen Revolution.
Ägypten und der IWF
Ägypten ist „too big to fail“ und hat gegenüber der EU ein ganz anderes Gewicht als Tunesien. Entsprechend höher ist die Milliardenzusage der EU:
Die EU stellt dem wirtschaftlich angeschlagenen Land in diesem Zusammenhang bis Ende 2027 Finanzhilfen in Höhe von rund 7,4 Milliarden Euro in Aussicht. EU-Angaben zufolge sind von den 7,4 Milliarden Euro 5 Milliarden Euro für Darlehen und 1,8 Milliarden Euro für Investitionen in Bereiche wie Ernährungssicherheit und Digitalisierung vorgesehen. 600 Millionen Euro sollen demnach als Zuschüsse fließen, 200 Millionen davon soll Ägypten nutzen, um Migrationsbewegungen in die EU einzudämmen.
Aber auch hier hat die EU ihr Darlehensangebot mit der Konditionalität der IWF-Kredite verknüpft. Der IWF hatte schon ein Jahr lang über eine Erweiterung der aktuellen Kreditlinie verhandelt und eine Reihe von Zugeständnissen gefordert:
Der Internationale Währungsfonds will, dass Ägypten mehr der Reformen umsetzt, zu denen sich Kairo verpflichtet hat [...]. Der in Washington ansässige Kreditgeber möchte, dass Kairo bestimmte staatliche Vermögenswerte privatisiert und dem ägyptischen Pfund Flexibilität einräumt, um sicherzustellen, dass die Überprüfung erfolgreich ist.
Inzwischen haben sich der IWF und Ägypten auf Arbeitsebene über eine Ausweitung der Kreditlinie auf 8 Milliarden Dollar geeinigt, wobei der Gaza-Krieg im Hintergrund beschleunigend gewirkt hat. Die Regierung hat zugesagt, das ägyptische Pfund floaten zu lassen und damit erheblich abzuwerten. Die Forderung des IWF nach einer Privatisierung der Industrie steht weiter im Raum. Beide Themen enthalten erheblichen Sprengstoff:
Die Abwertung des ägyptischen Pfunds
wird den Preis der Nahrungsmittelimporte und somit den Brotpreis weiter in die Höhe treiben. Schon jetzt „ist die Inflation so hoch, dass Eier ein Luxus sind“. Die Armut und Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst, und mehr Menschen vor allem aus dem Nildelta machen sich auf den Weg nach Europa.
Und in der Bevölkerung gärt es. Zwar gibt es, angesichts hohen Repression, keinen offenen politischen Aktivismus, sondern ein neuer Widerstand manifestiert sich auf Platformen wie Facebook, TikTok oder Twitter usw. in Form von kurzen Videos und Memes, die von normalen Menschen aus armen Vierteln und Randgebieten des Landes gemacht werden. Diese sind im ganzen Land unter Analphabeten und Menschen, die keine Zeit zum Lesen haben, weit verbreitet. Die Videos enthalten direkte Kritik in einfachen Worten und alltäglichen Ausdrücken, die für Alle verständlich sind, und zwar mit dem Sinn für Humor, für den die Ägypter bekannt sind. Beispiele dafür sind ein Bauer, der über die Inflation spricht oder ein Video mit Witzen über die Knappheit von Zucker.
Die Forderung nach Privatisierung
betrifft wesentlich die Pfründe der Armee, von der das Regime fundamental abhängig ist. Dazu schrieb die NYT im Januar 2023:
Mit einer Forderung, die das Herz der ägyptischen Machtstruktur trifft, verlangt der IWF auch, dass Ägypten einige staatliche Unternehmen verkauft, um Geld zu beschaffen, und dass den Unternehmen, die sich im Besitz des Militärs befinden, Steuervergünstigungen und andere Privilegien entzogen werden, damit private Unternehmen konkurrieren können. Die Regierung Al-Sissi, die 2013 durch eine Machtübernahme der Armee an die Macht kam, hatte dem Militär, das lange Zeit eine ausgedehnte Parallelwirtschaft betrieben hatte, die Kontrolle über einen Großteil der ägyptischen Ressourcen übertragen. Zu diesen Vermögenswerten gehörten Nudel- und Zementfabriken, Hotels und Filmstudios im Besitz des Militärs, und Expert:innen warnten, dass dies das Wachstum ersticke. Unter Al-Sisi gab Ägypten Milliarden für schicke Megaprojekte wie eine neue Hauptstadt, Autobahnen, Brücken und Präsidentenpaläste aus und erklärte diese als wesentlich für die Entwicklung. Finanziert vor allem durch Schulden, bereicherten sich die Unternehmen, die sich im Besitz des Militärs befanden, ohne dass dadurch nennenswert Arbeitsplätze, Wohnungen oder andere Vorteile entstanden.
Durch die Verknüpfung ihrer 5 Milliarden-Kredite bis 2027 mit den IWF-Konditionen hat sich die EU in eine Situation begeben, in der sie nicht nur einen Diktator stützt, der die Menschenrechte missachtet – das tut sie ja schon seit zehn Jahren –, sondern sie bringt diesen Diktator zugleich in tiefe Verlegenheit. Al-Sisis Regime wird zwischen der Unzufriedenheit der Bevölkerung und den ökonomischen Interessen des Militärs aufgerieben. Es ist keineswegs sicher, dass Al-Sisi die Bedingungen des IWF bis 2027 einhalten kann, und ob er sich überhaupt so lange wird halten können. Die Golfmonarchien haben im Lauf der Jahre mehr als 100 Milliarden Dollar als Budgethilfen an Ägypten gezahlt. Jedoch konditioniert nun auch Saudi Arabien seine Kredite, obwohl Al-Sisi dem Königreich zwei Inseln im Roten Meer überschrieben hat, und die Emirate kaufen lieber einen Strandabschnitt am Mittelmeer, als weitere Kredite ohne Sicherheiten auszuzahlen.
Al-Sisi und die Migration
Seit Abschluss des Assoziationsabkommens von 2004 zahlt die EU im Rahmen verschiedener Abkommen und Projekte Milliarden an Ägypten, meist unter Berufung auf die Bekämpfung von "Fluchtursachen". Was die EU-Bürokrat:innen unter diesen "root-causes" verstehen, hat mit der Realität allerdings wenig zu tun. Ein Drittel der Refugees sind auf der Flucht vor Terror, Vertreibung und Krieg; die meisten aber machen sich auf den Weg auf der Suche nach einer Zukunft und einem besseren Leben. Die „Bekämpfung der Fluchtursachen“ musste scheitern, spätestens seit 2017 geht es vor allem um die Bekämpfung der Flüchtlinge selbst.
Seit 2014 ist Ägypten, nun unter der Führung des frisch als Präsident vereidigten Feldmarschalls Al-Sisi, in den Khartum-Prozess eingebunden. Die migrationspolitische Zusammenarbeit der EU und EU-Mitgliedstaaten mit Ägypten intensivierte sich seit 2015 stark. Neben der Kooperation auf EU-Ebene (teils im Rahmen des 2017 lancierten Migrationsdialogs zwischen der EU und Ägypten), führen auch zahlreiche EU-Staaten komplementäre bilaterale Projekte in Ägypten durch. Verschiedene Partnerinstitutionen, etwa die deutsche GIZ, sind seit 2017 unter dem Schirm des EU finanzierten Programms "Enhancing the Response to Migration Challenges in Egypt" (EMRCE) in Ägypten aktiv. Auch zu erwähnen ist hier das deutsch-ägyptische Migrationsabkommen von 2017, in dessen Umfang die ägyptische Grenzpolizei ausgestattet und ausgebildet wurde; in den Verhandlungen kam auch der Vorschlag zur Errichtung von Auffanglagern in Ägypten zur Sprache.
Tatsächlich schien sich die Kooperation mit Ägypten nach den Wünschen der EU zu entwickeln: etwa zeitgleich mit den Anfang 2017 beginnenden Verhandlungen im Rahmen der EU-Egypt Partnership Priorities, die letztendlich zum Abschluss des EMRCE Programms führten, brach die Anzahl der Abfahrten von der ägyptischen Küste abrupt ein, während diese in den vorausgehenden Jahren und zuletzt bis Mitte 2016 stetig gestiegen waren, insbesondere nach der Revolution 2011 und dem Coup gegen die Regierung der Muslimbruderschaft 2013.
Nach der Corona-Krise und mit der sich stetig verschlechternden wirtschaftlichen Situation in Ägypten ist die Zahl der Ägypter:innen, die das Mittelmeer in Richtung Italien überqueren, seit 2021 erneut stark angestiegen. Die Hauptroute verlagerte sich: über die Grenze nach Libyen und dann übers Meer nach Italien. Die EU musste nachverhandeln: 2022 wurde ein neues Abkommen mit Ägypten abgeschlossen in dessen Rahmen die EU Ausstattung der ägyptischen Grenz- und Küstenpolizei finanziert. Dieses Abkommen war dezidiert auf die Schließung und Militarisierung der Grenze zu Libyen ausgerichtet. Auch eine stärkere Kontrolle der Grenzen zu Sudan wurde in diesem Zusammenhang von der EU erwähnt.
Wie aus dem auf dieser Seite veröffentlichten Draft Action Plan: Egypt aus dem Juni 2022 hervorgeht, weiteten die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihre Unterstützung für die ägyptische Polizei und das Militär auf ein noch nie dagewesenes Niveau aus. Die systematische Überwachung der ägyptischen Grenzen in den letzten Jahren ist jedoch nicht nur das Ergebnis der Bemühungen der EU um eine weitere Integration des Landes in das europäische Grenzregime. Vielmehr verfolgt das Kairoer Regime seit den 2000er Jahren unabhängig von EU-Interessen eine restriktive Grenzkontroll- und Migrationspolitik und bestimmt selbstbewusst, welche Formen der Zusammenarbeit mit der EU im Migrationsbereich verfolgt werden und welche nicht. Kairo war in den Verhandlungen mit der EU kein einfacher Partner. Das Regime ist vor allem interessiert an Waffen aus Deutschland, Italien und Frankreich sowie an Polizei- und Überwachungstechnologie. Die deutsche Bundespolizei zum Beispiel führt in der von Italien finanzierten Cairo PolicaeAcademy regelmäßig Kurse durch.
Welcome: Mehr Migrant:innen aus Ägypten
( Quelle: Mediendienst Integration 2024)
Die Zahl der Ankommenden aus Ägypten steigt zur Zeit weiter. Eines Tages, und vielleicht schon recht bald, wird die EU begreifen müssen, dass sie die Migrationsbewegungen mit ihren Euromilliarden nicht aufhalten kann. In Ägypten halten sich mehrere Millionen Migrant:innen und Geflüchtete aus dem Sudan und dem Horn von Afrika auf. Sie sind entrechtet und haben im Land keine Zukunft. Immer mehr der Millionen Kriegsfliehenden aus dem Sudan durchqueren Ägypten und werden dann von Schmugglern über die libysch-ägyptische Grenze gebracht. Zudem ist fraglich, ob es der Regierung gelingen wird, die Bevölkerung von Gaza hinter den Mauern zu halten. Die größte Quelle der Migration aber ist und bleibt die ägyptische Bevölkerung selbst. Mit den Worten des Guardian:
Ein Drittel der Ägypter lebt in Armut und sieht eine gefährliche Reise nach Europa als ihre einzige Hoffnung an. Fast ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung fiel 2019 unter die nationale Armutsgrenze, die meisten von ihnen leben entlang des überfüllten, verarmten Nildeltas. "Die Jugendlichen hier sehen junge Menschen, die illegal eingewandert sind, die gut leben, gut gekleidet sind und sich in die italienische Gesellschaft integriert haben, und sie denken, dass sie das auch schaffen könnten".
In einem Interview mit dem Mediendienst Integration äußert sich die Migrationswissenschaftlerin Parastou Hassouri folgendermaßen:
Ist es vernünftig anzunehmen, dass viele Ägypter und Nicht-Ägypter beabsichtigen, das Land zu verlassen...
Definitiv. Die meisten Migranten und Flüchtlinge in Ägypten haben nicht Ägypten als Endziel. Sie hoffen, anderswo einzuwandern, sei es in die EU oder nach Nordamerika. Auch viele Ägypter denken über Migration nach. Daher ist es nur logisch, dass die EU eng mit Ägypten zusammenarbeiten möchte, um die Migration zu steuern und einzudämmen. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte müssen sich die EU-Bürger jedoch wirklich fragen, zu welchem Preis sie bereit sind, Flüchtlinge an der Einreise in die EU zu hindern. Sind sie damit einverstanden, dass ihre Regierungen mit Regierungen zusammenarbeiten, von denen seit Jahren bekannt ist, dass sie eine schlechte Menschenrechtsbilanz haben? [...]
Dies bringt mich zurück zu meiner ursprünglichen Frage über die Zusammenarbeit zwischen der EU und Ägypten im Bereich der Migration: Wie profitiert Ägypten davon?
Diese Kooperationsabkommen zur Migrationssteuerung beinhalten eine gewisse Unterstützung und Hilfe für die Zielländer, einschließlich Projekten, die dazu beitragen sollen, die Qualifikationen und Berufsbildungsmöglichkeiten für die einheimische Bevölkerung und für Migranten zu verbessern. Sie sehen aber auch Schulungen und Ausrüstung für die Grenzpolizei vor. Manche befürchten, dass die Ausrüstung, die eigentlich nur für Grenzkontrollen gedacht ist, gegen die örtliche Bevölkerung eingesetzt werden könnte, z. B. Überwachungsgeräte, Drohnen usw. Dies ist besonders dann bedenklich, wenn es sich um Regierungen handelt, die eine schlechte Menschenrechtsbilanz aufweisen und in denen die inhaftierten Personen unter sehr schlechten Bedingungen festgehalten werden.
Wird die verstärkte Zusammenarbeit den gewünschten Effekt haben, die Migration nach Europa zu stoppen?
Das haben wir in unserer Forschung schon oft gesehen: Es mag kurzfristige Effekte geben, aber längerfristig werden neue Routen entstehen, wenn eine Route blockiert ist. Für Ägypter - und noch mehr für Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara - gibt es kaum legale Wege nach Europa. Sie erhalten kein Visum, denn in den meisten europäischen Ländern gehen die Behörden davon aus, dass sie, wenn sie einmal in das EU-Gebiet eingereist sind, nicht die Absicht haben, es wieder zu verlassen. Der einzige Weg für fast alle, die das Land verlassen wollen, ist also die so genannte irreguläre Migration. Da die irreguläre Ausreise aus Ägypten heutzutage fast unmöglich ist, werden die Menschen auf die alternative Migrationsroute über Libyen gedrängt. In Anbetracht der schrecklichen Situation in Libyen ist es sehr bedauerlich, dass diese Kooperationsabkommen die Menschen auf noch gefährlichere Routen drängen.
Zum Weiterlesen
Gerade hat Brot für die Welt einen guten Länderbericht Ägypten veröffentlicht.
Kommentar von Anna Schwarz / Böll-Stiftung zum MoU.
Wiki Ägypten, März 2022
BpB Länderbericht Migrationsstaat Ägypten aus 2020.