Khartum-Prozess

Veröffentlicht Mai 15th, 2021 - von: Louise Sullivan

Louise Sullivan hat sieben Jahre lang als Pädagogin im Sudan und am Horn von Afrika gearbeitet und war als Beraterin für "Better Migration Management" Phase 2 Komponente 4 Awareness Raising 2017-2019 tätig.

Der Kontext, in dem der Khartum-Prozess konzipiert wurde

Im Oktober 2013 sank ein Boot mit Hunderten von Migrant*innen aus Libyen vor der Küste von Lampedusa, Italien, wobei 359 Menschen ihr Leben verloren. Der damalige EU-Kommissar für Inneres erklärte: "Lassen Sie uns sicherstellen, dass die Ereignisse von Lampedusa ein Weckruf sind, um die Solidarität und die gegenseitige Unterstützung zu stärken und ähnliche Tragödien in Zukunft zu verhindern". Von Januar 2014 bis Februar 2021 sind 21.548 Migrant*innen bei der Überfahrt über das Mittelmeer ums Leben gekommen. Im Jahr 2020 starben oder verschwanden durchschnittlich 10 Menschen pro Woche bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Wenn die Tragödien nicht verhindert werden konnten, wurden dann Solidarität und gegenseitige Unterstützung verstärkt?

Die Initiative der Europäischen Union für die Migrationsrouten am Horn von Afrika, besser bekannt als der Khartum-Prozess, wurde auf einer Ministerkonferenz im November 2014 in Rom ins Leben gerufen. Sie stützt sich auf den Gesamtansatz der EU für Migration und Mobilität (Global Approach to Migration and Mobility, GAMM). Der GAMM hat vier Säulen: (1) Organisation und Erleichterung der legalen Migration und Mobilität; (2) Verhinderung und Eindämmung der irregulären Migration und des Menschenhandels; (3) Maximierung der Auswirkungen von Migration und Mobilität auf die Entwicklung; (4) Förderung des internationalen Schutzes und der externen Dimension der Asylpolitik.

Der Khartum-Prozess basiert auf der Idee, dass die Last der Migrationsprävention und -steuerung bei der Herkunftsregion liegen sollte. Der Khartum-Prozess unterstützt diese Kontrolle der Migration durch afrikanische Staaten statt die Reform der staatlichen Akteure, deren Verhalten zur Migration beiträgt, voranzutreiben.

Durch den Khartum-Prozess werden die Grenzen der Europäischen Union auf afrikanische Staaten vorverlagert und die Verantwortung für die Verwaltung dieser Grenzen auf Afrika übertragen, was zu strengeren Kontrollen und einer Verringerung der Ankünfte  von Migrant*innen in die EU belohnt wird.

Im Jahr 2015 richtete die Europäische Union einen zwei Milliarden Euro schweren Fonds ein, um verschiedenen Aspekten der Migration im Mittelmeerraum zu begegnen: den Nothilfe-Treuhandfonds der Europäischen Union zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen irregulärer Migration und Vertreibung in Afrika (EUTF für Afrika). Der Khartum-Prozess wurde damit beauftragt, die Umsetzung der durch dieses neue Instrument finanzierten Initiativen zu überwachen. In diesem Bericht werden die aus dem EUTF finanzierten Maßnahmen des Khartum-Prozesses im Sudan analysiert, darunter Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Schleusung von Migrant*innen, zum Grenzmanagement, zur Sensibilisierung (awareness raising) und Entwicklungsprogramme. Der Sudan steht aufgrund seiner strategischen Bedeutung sowohl als Transit Knotenpunkt für irreguläre Migrant*innen als auch als Herkunftsland im Fokus. Die Autorin hat sieben Jahre im Sudan verbracht. Dieser Bericht ist geprägt von den Situationen, die sie erlebt hat, und den Menschen, die sie getroffen hat.

Die beteiligten Regierungen und ihre erklärten Ziele

Der Khartum-Prozess wurde von 49 Ländern unterzeichnet. Diese sind: Ägypten, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Dschibuti, Eritrea, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kenia, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Somalia, Südsudan, Spanien, Sudan, Tschechische Republik, Tunesien, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern. Seit dem ersten Treffen in Rom sind auch Libyen, Norwegen, die Schweiz und Uganda Teil des Prozesses geworden.

Der Khartum-Prozess wird von einem Lenkungsausschuss geleitet, der sich aus fünf EU-Mitgliedstaaten (Italien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Schweden), fünf afrikanischen Ländern (Ägypten, Eritrea, Äthiopien, Südsudan, Sudan), der Europäischen Kommission, dem Europäischen Auswärtigen Dienst und der Kommission der Afrikanischen Union zusammensetzt.

Kooperierende Organisationen sind: Generaldirektion (GD) Migration und Inneres der Europäischen Kommission, GD Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, GD Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, Europäischer Auswärtiger Dienst, Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (FRONTEX), Internationale Organisation für Migration (IOM), Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) und Zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung (IGAD).

Die Programme im Rahmen des Khartum-Prozesses werden von Organisationen aus den EU-Mitgliedstaaten, darunter die GIZ, und den Innenministerien Italiens, Großbritanniens und Frankreichs verwaltet.

Den Vorsitz des Prozesses haben derzeit die Niederlande inne (2020-21). Zu den früheren Vorsitzenden gehören die Regierungen von Eritrea, Äthiopien und Ägypten. Die Regierung von Eritrea begeht nachweislich Menschenrechtsverletzungen; die Regierung von Äthiopien bombardiert derzeit ihre eigenen Bürger*innen in einem Bürgerkrieg, der mehr als 500.000 Menschen vertrieben hat, und die derzeitige Regierung von Ägypten kam durch einen Militärputsch an die Macht. Eine Partnerschaft mit Regierungen, deren Bürger*innen häufig als Flüchtlinge anerkannt werden, wenn sie es in die EU schaffen, ist eine Entscheidung, die einer Analyse bedarf. Die Ziele des Khartum-Prozesses sind die Verbesserung der Zusammenarbeit und des Dialogs über Migration und Mobilität sowie die Erleichterung praktischer Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels und des Schmuggels von Migrant*innen. Wie im Aktionsplan von Valletta von 2015 dargelegt, sind die fünf wichtigsten Bereiche, die angegangen werden sollen:

  • Verstärkte Bemühungen um Frieden, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung und Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Zwangsvertreibung;
  • Legale Migration und Mobilität;
  • Schutz und Asyl;
  • Verhinderung und Bekämpfung von irregulärer Migration, Schleuserkriminalität und Menschenhandel; und
  • Rückkehr, Rückübernahme und Wiedereingliederung.

Der Khartum-Prozess in der Praxis: Sudan

Der Sudan ist als Herkunfts-, Transit- und Zielland eine wichtige Drehscheibe für Migrant*innen. Er verbindet die Migrationsrouten aus Ost- und Westafrika mit der EU und dem Nahen Osten. Außerdem gibt es derzeit über 2.000.000 Binnenvertriebene. Der Sudan ist nicht nur Herkunfts- und Zielland für Migrant*innen, sondern verfügt auch über ein aktives grenzüberschreitendes Transportnetzwerk für Migrant*innen. Vor 2015 waren viele dieser Transportvermittler einfache sudanesische Fahrer, die von Menschen angesprochen wurden, die nach Libyen oder Ägypten gelangen wollten. Seit 2015 haben die erhöhten Kontrollen an den Grenzen die Anbieter auf diejenigen reduziert, die keine Angst vor Grenzpatrouillen haben, nämlich das Militär und die Sicherheitskräfte selbst, die auf beiden Seiten vom Migrations-Sicherheits-Nexus profitiert haben.

Berichte von Oxfam und Untersuchungen der SOAS, die dem britischen Parlament vorgelegt wurden, sowie Artikeln der UN-Organisation IRIN halten fest, dass die  mangelnde Transparenz und die fehlende Beteiligung von betroffenen Gemeinschaften zur fehlende Rechenschaftspflicht über die Verwendung der Mittel bedeutet. Trotz der im Gründungsdokument des Valletta-Plans genannten Bereiche hat Oxfam festgestellt, dass von den zugewiesenen 400 Millionen Euro nur 3% für die Entwicklung sicherer legaler Migrationswege ausgegeben wurden – der Rest für Migrationskontrolle.

Finanzierungsstrukturen und Aufsicht

Die Finanzierung des Khartum-Prozesses ist komplex und undurchsichtig, da eine Vielzahl von Geber*innen aus der Europäischen Union einen Beitrag leisten. Auf der Website des Khartum-Prozesses werden jedoch beispielhaft nur zwei Geber*innen aufgeführt: Das Instrument für Entwicklungszusammenarbeit (DCI) und der Treuhandfonds der Europäischen Union. 73 % der Mittel stammen aus dem EUTF, 20 % aus dem EU-Haushalt und 7 % aus Beiträgen der Mitgliedstaaten und anderer Geber*innen.

Eine Aufschlüsselung der Mittelzuweisungen verdeutlicht den Schwerpunkt des Khartum-Prozesses.

400 Millionen Euro wurden für das Migrationsmanagement bereitgestellt, von denen 55 % für Programme zur Eindämmung und Kontrolle irregulärer Migration bestimmt sind. 4 % fließen in das Awarenessraising, 25 % in die Umsetzung politischer Reformen für Rückkehrprogramme, 13 % in die Verbesserung der Identifizierung von Migrant*innen und ihrer Staatsangehörigkeit und 3 % in die Entwicklung sicherer und regulärer Migrationsrouten. Etwa 248 Millionen Euro sind für Projekte zur Sicherheit und Schaffung von Frieden vorgesehen, wobei detailreichere Angaben begrenzt sind. Zwischen 121 Millionen Euro und 161 Millionen Euro (etwa 7 % des gesamten EUTF-Haushalts) sind für die direkte Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften vorgesehen. Die Projekte zur Sicherheit werden von Interpol, Civipol, den nationalen Kooperationsagenturen der Mitgliedstaaten sowie von privaten und öffentlichen Unternehmen durchgeführt. 63 % (1,1 Millionen Euro) des EUTF-Budgets sind für die Entwicklungszusammenarbeit bestimmt – 86 % für die Verbesserung des Zugangs zur Grundversorgung, für wirtschaftliche Chancen und die Stärkung der Resilienz, 9 % für good governance und 5 % für internationalen  Schutz.

Die Entwicklungsfinanzierung im Sudan wird über UN-Agenturen, Hilfsorganisationen der Europäischen Union und lokale NGOs abgewickelt. Alle lokalen NGOs müssen bei der sudanesischen Regierung registriert sein. Erfahrungen aus erster Hand haben gezeigt, dass sie oft dazu dient, Gelder in die Taschen staatlicher Akteure zu leiten. Die sudanesische Kommission für humanitäre Hilfe (Humanitarian Aid Commission HAC) muss konsultiert werden, wenn eine Partnerschaft mit einer lokalen NGO eingegangen wird, und sie kontrolliert, welche NGOs tätig sein dürfen und was ihre Aktivitäten sind. Die HAC ist ein politisches Gremium und war unter dem früheren Präsidenten Omar El Bashir ein Zweig des Nationalen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes (NISS). Dem NISS werden Folter, Vergewaltigung und Mord vorgeworfen, und seinem Leiter, Salah Gosh, wurde 2019 aufgrund seiner Menschenrechtsverletzungen die Einreise in die USA verweigert, obwohl er einen amerikanischen Pass besitzt. Die Autorin dieses Beitrags wurde von NISS-Agenten verhaftet, als sie Lehrer*innen für Geflüchtete in einem Lager in Khartum besuchen wollte, da Lager nur in Begleitung von Sicherheitsbeamten besucht werden dürfen. Jede Organisation, die im Feld unterwegs ist, wird von einem Sicherheitsbeamten begleitet. Bei den Gruppensitzungen zum Thema Awarenessraising war immer ein Sicherheitsbeamter anwesend, wodurch die Teilnahme von Migrant*innen ohne Papiere eingeschränkt wurde. Seit dem Sturz von Bashir ist unbekannt, ob das HAC noch immer von Sicherheitskräften kontrolliert wird, auch wenn dies nach wie vor die weit verbreitete Meinung der Sudanes*innen ist, die im Entwicklungsbereich tätig sind oder das HAC kennen.

Die EU erklärt kategorisch, dass sie die sudanesische Regierung nicht finanziell unterstützt. Angesichts des Aufbaus der Entwicklungsarbeit im Sudan, wo alles der Regierung gemeldet werden muss und jede Organisation von ihr akzeptiert werden muss, bleibt unklar, wie die EU diese Aussage kategorisch machen kann.

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der British Council beaufsichtigen die Arbeit ausgewählter zivilgesellschaftlicher Organisationen in den einzelnen Bundesstaaten vor Ort. Alle zivilgesellschaftlichen Organisationen werden vom HAC überprüft. Auf den hohen Ebenen aller beteiligten Organisationen herrscht wenig Überzeugung, dass die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen die irreguläre Migration eindämmen kann. Daher wird der Evaluierung der Arbeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Die Verfasserin hat die Erfahrung gemacht, dass lediglich abgehakt wurde, dass die Mittel an zivilgesellschaftliche Organisationen vergeben wurden, ohne dass die Ergebnisse ihrer Arbeit evaluiert wurden und bestätigt werden konnten.

Projekte, die durchgeführt werden, und Kontroversen

Der Khartum-Prozess zielt darauf ab, Menschenhandel und Schmuggel (Überfahrten von Menschen nach Europa) durch eine verstärkte Sicherung der Grenzen, die Sensibilisierung für legale Migrationswege und die Gefahren der irregulären Migration sowie die Bekämpfung der eigentlichen Ursachen (root causes) durch Entwicklungsprojekte einzudämmen. Entwicklungsprojekte, die mit EUTF-Mitteln durchgeführt werden, zielen darauf ab, "auf die verschiedenen Ursachen von Instabilität, irregulärer Migration und Zwangsvertreibung zu reagieren". Laut der Website des EUTF werden derzeit 28 Entwicklungsprojekte im Sudan durchgeführt, die hier zu finden sind. Die meisten zielen auf die "Stärkung der Resilienz" (strengthening resilience) ab und umfassen insgesamt 432.610.000 Euro. Auf der Website wird eine hohe Zahl von mit den Projekten Erreichten genannt. Da Geflüchtete, die Asyl beantragen, in Lagern leben müssen und Migrant*innen ohne Papiere nicht legal arbeiten können, ist jedoch unklar, wie die aus dem EUTF finanzierten Entwicklungsprojekte ihnen zugute kommen sollen.

Es gibt nur wenige legale Migrationswege für diejenigen, die einen Grenzübertritt in Erwägung ziehen, und alle potenziellen Migrant*innen, mit denen die Autorin zusammentraf, hatten Kenntnis von und Videos aus Libyen auf ihren Handys, in denen Migrant*nnen gegen Lösegeld, meistens von Verwandten, gefoltert wurden. Die Vorstellung, dass die "Ursachen" der Migration durch "Entwicklung" gelöst werden können, ist wissenschaftlich nicht fundiert. So liegt der Schwerpunkt des Khartum-Prozesses auf Grenzkontrollen und der Einhegung der irregulären Migration.

Better Migration Management

Das Programm Better Migration Management (BMM) ist ein mehrjähriges, von mehreren Partner*innen getragenes Programm, das von der EUTF und dem deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kofinanziert wird. Koordiniert wird es von der GIZ. Die Internationale Organisation für Migration (IOM), das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), Expertise France, die italienische Staatspolizei, CIVIPOL und der British Council sind die seltsam gruppierten Durchführungspartner*innen.

Zu den Zielen des Programms für ein besseres Migrationsmanagement gehören:

(II) Stärkung der Kapazitäten aller für Migration und Grenzverwaltung zuständigen Institutionen und Stellen (wie etwa Beamt*innen an vorderster Front, Strafverfolgungsbeamt*innen oder Justizbehörden), insbesondere durch Ausbildung und technische Hilfe, durch Verbesserung der Verfahren zur Ermittlung und Verfolgung von Fällen von Menschenhandel und Schleusung von Migrant*innen, durch Verbesserung der Datenerfassung und Förderung des Informationsaustauschs, durch Ausstattung von Regierungsstellen und Grenzverwaltungsstellen mit grundlegenden Instrumenten und Ausrüstungen und möglicherweise durch Ausbau der Infrastruktur, durch Förderung einer besseren Koordinierung zwischen den verschiedenen beteiligten Institutionen und Stellen.

Im Sudan hat die genaue Bedeutung dieser fettgedruckten Formulierung zu vielen Kontroversen und wiederholten Dementis seitens der EU geführt, dass sie Ausrüstung für den Grenzschutz bereitstellt und die umbenannten Janjiweed (Rapid Support Forces - RSF) finanziert, eine Miliz, die angeblich für die Durchführung des Völkermords in Darfur verantwortlich ist. Mohammad Dagalo (bekannt als Hemmeti), der Anführer der RSF, hat jedoch wiederholt zu Protokoll gegeben, dass er "die Arbeit der EU macht", und nennt regelmäßig Zahlen über die Zahl der "illegalen Migrant*innen", die seine Truppen festgenommen und abgeschoben haben.

Martin Weiss, der BMM-Projektleiter in Deutschland, betont, dass das Programm auf den Schutz von Migrant*innen abzielt. "Bei BMM geht es nicht um Grenzüberwachung, sondern um den Schutz von Flüchtlingen, die Erleichterung der Migration und die Verbesserung der Bedingungen für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen", schrieb er in einer E-Mail. "Derzeit sind viele Flüchtlinge von Gewalt, Sklaverei oder Vergewaltigung bedroht. Wir wollen eine wirksame Antwort auf dieses Problem geben."

Es ist schwer zu erkennen, wie die erklärten Ziele des BMM und die durchgeführten Programme die Situation von Geflüchteten verbessern. Die strafrechtliche Verfolgung von Menschenhändlern würde Geflüchteten nur dann helfen, wenn es einfache Wege zu Asyl, legalen Arbeitsmöglichkeiten und Möglichkeiten zur Migration gäbe - aber das ist nicht der Fall.

Der Kampf gegen Schmuggel und Menschenhandel

Im Rahmen des Khartum-Prozesses werden Menschenhandel (trafficking) und Menschenschmuggel (smuggling) miteinander vermengt und beide kriminalisiert. Viele derjenigen, die Migrant*innen durch Länder und über Grenzen hinweg helfen, sind der Meinung, dass sie eine notwendige Dienstleistung erbringen. Die zunehmende Absicherung hat sowohl die Risiken für die Migrant*innen als auch die Gewinnspannen für die Schmuggler erhöht. Dies hat dazu geführt, dass kriminelle Banden und Milizen mit Kontakten zur Regierung ein Monopol auf die Schleusung haben und nicht Einzelpersonen, die glauben, dass sie helfen und gleichzeitig etwas Geld verdienen können. Die Autorin weiß von Menschen, die vor 2016 an den Taxiständen im Staat am Roten Meer (Ostsudan) regelmäßig von Migrant*innen angesprochen wurden, die hofften, nach Ägypten zu gelangen und bereit waren, für eine Fahrt zu bezahlen. Jetzt sagen diese Fahrer, dass sie sich das nicht mehr trauen würden, aus Angst, von "Regierungsbanden", die die Kontrolle übernommen haben, geschädigt zu werden.

Capacity Building

Der Ausbau der Kapazitäten der Sicherheitskräfte im Sudan stärkt die Macht von Institutionen, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Bürger*innen zu unterdrücken. Im Sudan sind Asylbewerber*innen gesetzlich verpflichtet, in Lagern zu bleiben, so dass Entwicklungsprogramme kaum dazu beitragen, ihre Situation zu verbessern. Berichte von Migrant*innen über Folter und Vergewaltigung durch Sicherheitskräfte, Zahlungen an Milizionäre für die Beförderung oder Bestechungsgelder für die Freilassung wurden in Berichten von Oxfam und Human Rights Watch ausführlich beschrieben. In der sudanesischen Öffentlichkeit wird allgemein angenommen, dass die EU die RSF finanziert, um die Grenzen zu kontrollieren, und dass diese Finanzierung die hochentwickelten Waffen liefert, die sie auf den Straßen tragen. Die Tatsache, dass auf der Website des BMM angegeben wird, dass die EUTF-Mittel für technische Hilfe und wichtige Werkzeuge und Ausrüstungen für die Grenzverwaltung verwendet werden, stützt Dagalos Behauptungen konträr zu den Behauptungen der EU. Tausende von Eritreer*innen wurden unter Verletzung des Völkerrechts abgeschoben. Zwangsrückführungen auf dem Luftweg von Libyen in den Sudan im Jahr 2020 sind in den sozialen Medien und anekdotisch dokumentiert.

Quellen geben an, dass der UNHCR der Grenzpolizei im Bundesstaat Kassala im Ostsudan Motorräder zur Verfügung gestellt hat.Im Protokoll einer BMM-Sitzung (Mai 2019) heißt es: Ohne vorherige Genehmigung der EU-Delegation ist keine Ausbildung der sudanesischen Polizei erlaubt, was darauf hindeutet, dass eine Genehmigung für die Polizeiausbildung erteilt worden sein könnte. Einzelheiten über die Art der mit den sudanesischen Sicherheitskräften durchgeführten Projekte stammen direkt vom Anführer der umbenannten Janjiweed, der RSF, Hemmeti. Er berichtet regelmäßig über die Zahl der Migrant*innen, die an der eritreischen und libyschen Grenze "verhaftet" und abgeschoben wurden.

Sensibilisierung (Awareness Raising)

Im Rahmen des Khartum-Prozesses wurden und werden in den Ländern am Horn von Afrika Sensibilisierungsmaßnahmen als zentraler Bestandteil der EU-Strategien des Migrationsmanagements durchgeführt.Sensibilisierungsmaßnahmen, die darauf abzielen, potenzielle Migrant*innen über legale Migrationswege aufzuklären, wurden von den sudanesischen Projektmitarbeiter*innen als lächerlich empfunden. Von ihnen wurde erwartet, dass sie in Fokusgruppen über Beschäftigungsmöglichkeiten, die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen und legale Migrationswege informieren.

Zivilgesellschaftliche Organisationen werden finanziert, um in Gebieten mit einer großen Zahl von Migrant*innen Fokusgruppen abzuhalten und sie über die Gefahren der irregulären Migration und die ihnen zur Verfügung stehenden Alternativen zu informieren. Die sudanesische Gesetzgebung verbietet die Beschäftigung von Ausländer*innen ohne gültige Arbeitserlaubnis und verfolgt eine Lagerpolitik für Personen, die Asyl beantragen.

Die Förderung von “Fiktionen” (es ist nicht möglich, ohne die Unterstützung eines*r Arbeitgebers*in legal zu arbeiten; es gibt keine legalen Migrationswege für “den*die durchschnittliche*n Sudanesen*in”; und um Asyl zu beantragen, muss man in einem Lager leben und nicht arbeiten) macht die Absichten dieser Strategie unklar. Die Sinnlosigkeit dieser Fokusgruppen hat nicht verhindert, dass eine zweite Runde finanziert wurde, obwohl die Hauptaktivität während dieser Gruppen in der Ausgabe von Erfrischungen bestand.

Sammeln und Austauschen von Informationen

2017 wurde das Regionale Operationszentrum in Khartum (ROCK) mit einer Finanzierung von 5 Millionen Euro eingerichtet. Sein Zweck ist der "Austausch und die Analyse von Informationen" zur besseren Steuerung der Migration. Es wurde zwischen Juni und September 2019 geschlossen, nachdem Vorwürfe laut wurden, dass auch Kräfte der RSF geschult wurden. EU-Vertreter*innen erklärten, das ROCK-Zentrum sei geschlossen worden, um "die Sicherheit seiner Mitarbeiter*innen zu schützen". Auf der Civipol-Website ist zu lesen, dass das ROCK im Auftrag eines Konsortiums von EU-Mitgliedstaaten, bestehend aus Frankreich, der UK, Italien, Spanien als assoziiertem Partner und Deutschland als Beobachter, und in Partnerschaft mit INTERPOL und der Afrikanischen Union eingerichtet wurde. Im Dezember letzten Jahres wurde ein neues, von der Afrikanischen Union eingerichtetes kontinentales Operationszentrum eröffnet, dessen Ziel es ist, Informationen auszutauschen, um das Migrationsmanagement zu verbessern und die Schleusung von Migrant*innen und den Menschenhandel zu unterbinden. Es ist unklar, inwiefern sich das Zentrum der Afrikanischen Union von dem von Civipol unterscheidet. Die EU erklärte, dass es keinen Datenaustausch zwischen den beiden Zentren geben werde, aber das neue Zentrum werde die von ROCK “gelernten Lektionen umsetzen”.

Wie Projekte evaluiert werden

Es gab keine externen Bewertungen der im Rahmen des Khartum-Prozesses durchgeführten Programme. Monitoring- und Evaluierungsspezialist*innen werden von den durchführenden Organisationen angestellt. Die Autorin hat jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Evaluierung eine "Ankreuz"-Übung ist und eher die Anzahl der Teilnehmer*innen zählt als wirkliche Verhaltensänderungen oder Verbesserungen der Möglichkeiten.

Mangelndes Engagement in den lokalen Gemeinschaften führt zu verpassten Chancen. So sind beispielsweise die Rashaida, ein arabischer Nomadenstamm im Ostsudan, berüchtigte Menschenhändler, die Migrant*innen nach Libyen bringen und sie dann verkaufen oder für Lösegeld freigeben. Die Einheimischen wissen, wer diese Rashaida sind, und können sie allen nennen, die danach fragen. Dennoch nehmen die Rashaida weiterhin Menschen aus Lagern im Ostsudan gegen Geld mit. Die Einheimischen geben an, dass sie nicht glauben, dass sich die Beamt*innen, einschließlich der Mitarbeiter*innen des UNHCR, darum kümmern.

Unabhängige Evaluierungen von Oxfam und SOAS sowie Berichte in lokalen sudanesischen Medien belegen, dass die Aktivitäten im Rahmen des Khartum-Prozesses im Sudan Menschenleben gefährdet und Menschenhändlern Auftrieb gegeben haben. Dies hat zu Dementis seitens der EU geführt, an der Programmdurchführung hat sich außer einer Aufstockung der Mittel nichts geändert.

Fragwürdiger Nutzen und problematische Ergebnisse

Es ist unklar, wie die Entwicklungs-, Kapazitätsaufbau- und Sensibilisierungsprogramme Migrant*innen und potenziellen Migrant*innen zugute gekommen sind. Durch die verstärkten Grenzkontrollen und die Stärkung der Sicherheitskräfte sind Migrant*innen größeren Gefahren ausgesetzt, was wiederum zu höheren Gewinnen für Schmuggler und Menschenhändler führt. Berichte von Migrant*innen über Folter, Erpressung und Abschiebungen haben seit der Einführung des Khartum-Prozesses zugenommen. Tausende von eritreischen Staatsangehörigen wurden aus dem Sudan abgeschoben oder an der Einreise gehindert, ohne Zugang zu einem Asylverfahren zu erhalten. Sudanes*innen wurden aus Libyen und dem Tschad zurückgeschickt, ebenfalls ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren. Die leisen Proteste des UNHCR gegen die Abschiebungen von Eritreer*innn im Jahr 2016 sind verstummt, da das UNHCR im Sudan selbst mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist.

Zu den Gesetzen, die seit dem Sturz von Bashir aktualisiert wurden, gehört die Abschaffung der Ausreisegenehmigung für sudanesische Staatsbürger*innen, die ins Ausland fliegen. Allerdings benötigen sudanesische Staatsbürger*innen, die das Land auf dem Luftweg verlassen, ein Visum für europäische Länder, sodass die EU keine weitere Prüfung durchführt, da sie bereits “überprüft” wurden. Die Gesetze über Arbeitserlaubnisse, die Lagerpolitik und die Arbeitsrechte für ausländische Bürger*innen zur Verhinderung von Ausbeutung sind seit dem Sudan Passports and Immigration Act 1994 unverändert.

Angesichts dieser Politik ist es schwierig zu erkennen, wie Entwicklungsprogramme im Rahmen des Khartum-Prozesses potenziellen irregulären Migrant*innen zugute kommen könnten. Obwohl sich die Säulen 1, 3 und 4 des GAMM-Prozesses auf die Verbesserung der legalen Migrationswege und die Auswirkungen der Migration auf die Entwicklung konzentrieren, schränken die Regierungsführung und die rechtliche Situation im Sudan und in der EU die möglichen Ergebnisse von Programmen in diesen Bereichen ein. Daher konzentrieren sich die Initiativen des Khartum-Prozesses auf die Grenzsicherheit und die Eindämmung von (potenziellen) Migrant*innen.

Die Ziele der Migrationskontrolle des Khartum-Prozesses stehen auch im Widerspruch zu den erklärten Wünschen der sudanesischen Regierung. Bei einem Treffen in der britischen Botschaft in Khartum im Jahr 2018, bei dem der Kontext der Sensibilisierungsmaßnahmen im Rahmen des Khartum-Prozesses erörtert wurde, bat der damalige Leiter des Nationalen Bevölkerungsrats (National Population Council) direkt um Unterstützung beim Umgang mit den Hunderttausenden vertriebenen Südsudanes*innen in Khartum. Die sudanesische Vertreterin äußerte sich besorgt über ihr Wohlergehen, die fehlenden Integrationsmöglichkeiten, den Mangel an angemessenen Arbeitsplätzen und die hohe Kriminalitätsrate in den südsudanesischen Lagern. Sie wurde von den europäischen Vertreter*innen völlig ignoriert. Die Tatsache, dass Südsudanes*innen nicht auf Boote nach Europa steigen und daher für die Geldgeber*innen, deren "kooperativer Dialog" sich nur auf Gespräche über von der EU festgelegte Themen erstreckt, nicht von Interesse sind, wurde nicht erwähnt.

Die Verringerung der Zahl der Migrant*innen, die vom Horn von Afrika nach Europa kommen, könnte jedoch der eigentliche Maßstab für den Erfolg der EU sein. Die irreguläre Migration zu “lösen”, indem man sie erschwert, und zwar in Zusammenarbeit mit den Staaten und Institutionen, die für die große Zahl irregulärer Migrant*innen verantwortlich sind, scheint die Leitidee des Khartum-Prozesses zu sein. Die Bedingungen der "Partnerschaft" selbst werden von der EU festgelegt.

Die Zukunft

Die Zahl der irregulären Migrant*innen, die in der EU ankommen, ging von 119.369 im Jahr 2017 auf 11.471 im Jahr 2019 zurück, steigt aber mit 34.154 Ankünften im Jahr 2020 wieder an. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres hatten die Ankünfte aus Nordafrika in Italien und Spanien um 176 % gegenüber dem gleichen Zeitraum 2019 zugenommen. Sudanes*innen machten 28 % der Ankünfte auf Malta aus. Die Aufgriffe durch die sogenannte libysche Küstenwache sind im Jahr 2020 um 25% gestiegen. 23 % (oder 1.319) der bisherigen Ankünfte in Europa im Jahr 2021 waren Sudanes*innen. Die RSF ist jetzt der mächtigste Teil des sudanesischen Militärs, und es ist eine weit verbreitete Meinung, dass der Janjiweed-Anführer Hemmeti das mächtigste Mitglied des Militärischen Übergangsrats ist und auf dem besten Weg ist, 2022 Präsident zu werden.

Die Situation in Tigray, die Äthiopier*innen dazu veranlasst, im Jahr 2020 über die Grenze in den Ostsudan zu migrieren, hat zu einem Anstieg der registrierten Asylbewerber*innen um 343 % geführt. Viele dieser Äthiopier*innen haben bereits Familienangehörige im Sudan und in Europa und werden ihren Weg von Kassala nach Khartum und darüber hinaus fortsetzen. Es gibt Berichte, dass Tigrayer*innen aus Khartum zurück nach Um Rakuba, dem Lager in Kassala, abgeschoben wurden. Die große Aufmerksamkeit, die die Tigray-Krise genießt, könnte jedoch dazu führen, dass diese Neuankömmlinge besser geschützt werden.

Da die legalen Migrationsmöglichkeiten nicht zunehmen, die sudanesische Wirtschaft mit einer Inflationsrate von über 300 % zusammengebrochen ist und die Konflikte in allen Teilen des Sudan zunehmen, ist es zweifelhaft, wie eines der im Rahmen des Khartum-Prozesses durchgeführten Programme das Leben von (potenziellen) Migrant*innen im Sudan verbessern kann. Die verstärkte Datenerfassung, die Überwachung potenzieller Migrant*innen und die Grenzkontrollen führen zu größeren Gefahren für die Migrant*innen selbst und zu größeren Gewinnen für die immer ausgeklügelteren Netze von Menschenhändlern.

Die staatliche Verhinderung irregulärer Migration bildet die Grundlage für die Kriminalisierung irregulärer Grenzübertritte. Die Tatsache, dass der Begriff "illegaler Migrant" alltäglich geworden ist, obwohl er im internationalen Recht nicht existiert, ist ein Ergebnis der Grenzschutzstrategien der EU. Die Reise von Migrant*innen auf einem Boot ist zu einer kriminellen Handlung geworden, die von Kriminellen begangen wird. Diejenigen, die diese Reise erleichtern, sind kriminelle Drahtzieher. Dies unterstützt und spiegelt die repressive Haltung der Regierungen wider. So benötigen beispielsweise Eritreer*innen und bis zu diesem Jahr auch Sudanes*innen spezielle "Ausreisegenehmigungen", um ihre Länder legal zu verlassen. Die Gründe, aus denen Menschen migrieren, sind komplex, historisch bedingt und lassen sich nicht in linearen Diskussionen über "Push-Pull"-Faktoren erklären. Es ist viel zu komplex und unangenehm, sich mit den Gründen zu befassen, die in den trüben Gewässern globaler Ungleichheiten, Lohnunterschiede und fortgesetzter Kolonialisierung von Ressourcen wurzeln könnten. Afrikanische Menschenschmuggler, die für ihren Profit das Leben von Menschen riskieren, sind ein leichtes Ziel, und vielleicht ist die Schaffung dieses Narrativs wichtiger als das Stoppen der Boote. Die Wählerschaft im eigenen Land kann durch die Dämonisierung der "Anderen" über wachsende Ungleichheiten und einen schrumpfenden Arbeitsmarkt beruhigt werden.

Anhang: “Main actors in irregular migration in Sudan

Transparenzhinweis: Die vorherige Version des Textes zum Khartum-Prozess von Wasil Schauseil ist hier zu finden.

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