Aethiopien

Veröffentlicht März 11th, 2020 - von: Simone Schlindwein

Europas Lieblingsland

Äthiopien ist sowohl Herkunfts-, als auch Transitland für Flüchtlinge und Migrant*innen. Entsprechend groß ist das Interesse der EU an guter Zusammenarbeit.

Im Oktober 2019 gab das Nobelpreiskomitee eine überraschende Nachricht bekannt: Es zeichnete den äthiopischen Regierungschef Abiy Ahmed Ali als Träger des Friedensnobelpreises für seine Friedenspolitik gegenüber dem bislang verfeindeten Nachbarland Eritrea aus.

Als der frisch gebackene Politiker Abiy im April 2018 an die Macht gekommen war, hatten viele mit einer Änderung der bislang autoritären Politik gerechnet. Doch das Ausmaß der Reformen, die der neue Premierminister in nur kurzer Zeit anstrebte, hatte kaum jemand vorhersehen können. Der Vielvölkerstaat war zuvor jahrzehntelang autoritär geführt worden, Presse- und Meinungsfreiheit waren eingeschränkt, seit 2016 der Notstand ausgerufen. Politisch und wirtschaftlich war quasi nur eine einzige ethnische Gruppe an der Macht – all dies änderte sich in den darauffolgenden eineinhalb Jahren rasant.

Abiy, abstammend von der Minderheit der Oromo und selbst einst Geheimdienstoffizier, ließ innerhalb weniger Monate nach seinem Amtsantritt den Notstand aufheben, den enormen Sicherheitsapparat und die Geheimdienste säubern, die bislang das Sagen hatten im Land, entließ tausende politische Gefangene aus den Haftanstalten, leitete einen Demokratisierungsprozess sowie einen wirtschaftlichen Liberalisierungsprozess ein. Der Meilenstein gelang ihm im Sommer 2018, als er mit Eritreas Präsident Isayas Afwerki einen Friedensvertrag abschloss. Nach fast zwei Jahrzehnten war Abiy der erste äthiopische Staatschef, der das Nachbarland Eritrea besuchte. Als sich die hochgerüstete Grenze zwischen den beiden Ländern im September 2018 öffnete, strömten abertausende Eritreer*innen zu Fuß über den Grenzstreifen. Es waren berührende Szenen, die an den Mauerfall in Berlin 1989 erinnerten. Fremde Menschen lagen sich in den Armen und weinten vor Freude. Rasch wurden die Telefon- und Flugverbindungen zwischen den beiden Ländern wieder aufgenommen. Expert*innen sind sich sicher: Dieser entscheidende Schritt in der Außenpolitik der beiden verfeindeten Staaten wird sich auf die ganze Region ausstrahlen. Doch in beiden Ländern stoßen diese Veränderungen auch auf Kritik. Im Juni 2018 wurde bei einer Unterstützungsveranstaltung in Adis Abeba eine Granate auf den Premierminister geworfen, zahlreiche weitere Attentatsversuche wurden vereitelt. Mit seiner Friedenspolitik hat sich der Premier auch Feinde gemacht.

Wichtiges Herkunfts- und Transitland

Die rasanten politischen Veränderungen führten zu starken Migrationsbewegungen innerhalb und jenseits der äthiopischen Grenzen. Laut Angaben des UN-Koordinierungsbüros (OCHA) waren im April 2019 rund 3,2 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben.

Aufgrund extremer Dürre in den wüstenartigen Gebieten des Südens sowie ethnischer Konflikte und Grenzstreitigkeiten gibt es in Äthiopien schon immer viele Binnenvertriebene (IDPs). Die meisten von ihnen leben in Lagern. Die Zahlen steigen jedoch zunehmend. Im Jahr 2016, also noch vor dem Regimewechsel und der Liberalisierung, waren es rund 800.000 Binnenvertriebene. Menschenrechtsorganisationen berichteten unter der alten Regierung von gewaltsamen Vertreibungen ethnischer Minderheiten, vor allem im Süden, wo gewaltige Flächen für die Landwirtschaft erschlossen oder Staudämme errichtet werden, um die Lebensmittelproduktion zu steigern, die für das von Hunger geplagte Land so wichtig ist.

Nach einem versuchten Putsch in der Region Amhara im Juli 2019 und der dadurch ausgelösten Unsicherheit in den westlichen Regionen Gambella und im Südwesten der Oromia-Region entlang der Grenze zu Südsudan hat die Regierung ein verstärktes Rückkehrprogramm für IDPs eingeführt und zwischen Mai und Juli laut eigenen Angaben rund 1,8 Millionen Menschen geholfen, in ihre Heimatgebiete zurück zu kehren. Berichte häufen sich jedoch, dass es in diesen Regionen vermehrt zu Spannungen kommt, auch zu Landkonflikten aufgrund der zahlreichen Rückkehrer*innen.

Äthiopien beherbergte bislang neben Uganda die meisten Flüchtlinge des Kontinents, rund 900.000 (Stand 2018), die meisten aus den konfliktreichen Nachbarländern Eritrea, Somalia und Südsudan. Nach dem Friedensschluss mit dem lang verfeindeten Eritrea im Sommer 2018 und der kurz darauf erfolgten Grenzöffnung waren in kurzer Zeit zehntausende Eritreer*innen über die Grenzen gekommen. Die meisten konnten in so kurzer Zeit gar nicht von lokalen Behörden oder dem UNHCR registriert werden, viele suchten nach Verwandten und wurden privat beherbergt. Viele haben das Land auch direkt wieder verlassen. Im September 2019 wurden rund 146.000 Eritreer*innen in Äthiopien verzeichnet. Verglichen mit 2018, als sich 174.000 Eritreer*innen in Äthiopien aufhielten, ist das ein deutlicher Rückgang. Die eritreische Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisation Africa Monitors mit Sitz in Uganda schätzt, dass seit der Grenzöffnung Eritreas im September 2018 rund 250.000 Eritreer*innen via Äthiopien nach Uganda geflüchtet sind. Es gebe zwei Gründe, warum sie nach Uganda fliehen, so Zecarias Gerrima, Vizedirektor von Africa Monitors: Der eine sei, dass die Migrationsrouten via Sudan nach Europa geschlossen seien und sich die Geflüchteten nun gen Süden nach Uganda bewegen. Die andere: Die Lager in Äthiopien sind vom Ansturm überwältigt. Diejenigen, die derzeit in Uganda ankommen, bestünden aus zwei Gruppen, sagt Gerrima: „Die eine Gruppe ist frisch aus Eritrea geflohen und entscheidet sich, nicht in Äthiopien Zuflucht zu suchen, weil dort die Lager überfüllt sind und sie fürchten, bald wieder abgeschoben zu werden“, so Gerrima. „Die andere Gruppe lebte als Flüchtlinge bereits seit längerer Zeit in Äthiopien“, erklärt er. „Sie fliehen jetzt weiter, denn sie trauen dem Frieden nicht, der dort zwischen Äthiopien und Eritrea derzeit zelebriert wird“. Um den Exodus aus Eritrea zu stoppen, wurde im April 2019 die Grenze zu Äthiopien zeitweilig wieder geschlossen.

Laut Gesetz müssen die Flüchtlinge in einem der 24 Flüchtlingslager leben, die von der Flüchtlingsbehörde (ARRA) gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) unterhalten werden. Die beiden größten Lager liegen im Süden des Landes: das Nguenyyiel Lager in Gembella beherbergt rund 74.000 Flüchtlinge aus dem Südsudan, das Lager Dollo Ado mit rund 145.000 Flüchtlingen meist somalischer Herkunft liegt nahe der Grenze zu Somalia. Im Norden beherbergt das Lager Shire mehr als 100.000 Flüchtlinge an der Grenze zu Eritrea. Nur rund 7.000 Flüchtlinge erhielten 2015 eine Ausnahmegenehmigung aufgrund von Sicherheits- oder Gesundheitsproblemen, sich in Städten wie Adis Abeba niederzulassen.

Äthiopien ist ein Transitland für Flüchtlinge aus Südsudan, Somalia und Eritrea, aber auch für afrikanische Arbeitsmigrant*innen auf dem Weg zur arabischen Halbinsel. Gleichzeitig generierte das bislang repressive Regime selbst immer mehr Flüchtlinge: Über eine Million der rund 90 Millionen Äthiopier*innen suchten bislang im Exil Schutz. Viele reisten gen Süden, vor allem nach Kenia. Einige ziehen nach Tansania und sogar bis nach Südafrika. Doch dort droht ihnen neuerdings die Verhaftung, da sie keine Arbeitserlaubnis besitzen.

Die meisten Arbeitsmigrant*innen, rund 80%, zog es bislang gen Osten auf die arabische Halbinsel, vor allem nach Jemen und Saudi-Arabien, wo afrikanische Männer auf Baustellen schuften und Frauen als Kindermädchen angeheuert werden. Äthiopiens Regierung hat erst 2013 alle Arbeitsrekrutierungsversuche aus dem arabischen Raum in Äthiopien selbst verboten. Wie enorm die Arbeitsmigration von Äthiopier*innen auf die arabische Halbinsel ist, ließ sich bislang nur vermuten. Nachdem Saudi-Arabien 2014 angekündigt hatte, Äthiopier*innen deportieren zu wollen, rechneten regionale Analyst*innen mit rund 20.000 Rückkehrer*innen, erinnert sich Bram Frouws vom regionalen Think Tank RMMS, das systematisch Migrationsdaten am Golf von Aden erhebt. Abgeschoben wurden zwischen Mai 2017 und August 2019 rund 300.000 Äthiopier*innen. Davon berichteten rund 37%, dass sie in Saudi-Arabien arbeitslos waren. Die meisten Rückkehrer*innen berichten von Misshandlungen in Saudi-Arabien. Laut Angaben von NGOs benötigen 95% dieser Rückgekehrten psychologische Unterstützung.

Ähnlich geht es äthiopischen Rückkehrer*innen aus dem Jemen, einem Transit- und Zielland für viele Äthiopier*innen. Nachdem 2015 in Jemen der Krieg ausgebrochen war, stiegen die Zahlen der Geflüchteten von dort stetig an, rund 85% von ihnen sind Äthiopier*innen. Signifikant war bislang der Anstieg des Anteils der Oromo unter den äthiopischem Migrant*innen nach der brutalen Niederschlagung der Proteste im Oktober 2016 in der Oromo-Region. Im November 2016 gehörten sogar 98% der in Jemen ankommenden Äthiopier*innen der Ethnie der Oromo an. Die Route, die sie nach Jemen mit dem Boot via Dschibuti über den Golf von Aden nahmen, ist riskant: Im Juli 2019 sank erneut ein Flüchtlingsboot im Golf von Aden auf dem Weg nach Jemen, mindestens 15 Äthiopier*innen waren unter den Toten.

Im Zuge einer freiwilligen Rückkehrinitiative rettet die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Jemen gestrandete Migrant*innen, die meisten Äthiopier*innen, aus den Kriegswirren. 2016 brachte IOM über 600 zurück nach Dschibuti, die meisten Äthiopier*innen. Allein von April bis Juli 2019 organisierte die IOM für über 2.100 Äthiopier*innen aus Jemen sichere Heimflüge nach Adis Abeba. Die meisten dieser Heimkehrer*innen waren zuvor in Jemen in Haft gewesen. Im Frühjahr 2019 war das Stadion in Jemens Hauptstadt Aden voll von Migrant*innen, die meisten Äthiopier*innen, selbst nach der Rückkehraktion vermutete die IOM im Stadion weitere 2.000 Flüchtlinge. Im Oktober 2016 konnten über tausend Äthiopier*innen mit Hilfe eines Gefängniswächters aus einer Haftanstalt in Südjemen entkommen.

Die Fluchtwege jenseits der äthiopischen Grenze werden immer gefährlicher. Herumgesprochen hat sich das Massaker des Islamischen Staates IS an 30 äthiopischen Migrant*innen 2015 in Libyen. Sie hatten ihre Heimat über den nördlichen Grenzposten Metema verlassen, einem Sammelpunkt für Schleuser. Die Regierung in Addis schloss daraufhin den Grenzübergang, rund 200 mutmaßliche Menschenschmuggler wurden verhaftet. Umfragen des RMMS-Think Tanks auf den Migrationsstrecken zeigen, wie „schnell die Schleuser und Schlepper auf Änderungen in den Migrationsrouten reagieren und wie gut sie ausgestattet sind, meist mit Satellitentelefonen“. Seitdem die Grenzbehörden im Transitland Sudan aufgrund der Zusammenarbeit mit der EU verstärkt gegen Migrant*innen vorgehen, haben sich die Routen deutlich verschoben und auch die Schlepper- und Schleusernetzwerke haben sich der Situation angepasst. Zahlreiche Schlepper, die zuvor in Khartum und Libyen stationiert waren, haben sich nach Äthiopien und Uganda verlagert, um die eritreischen Flüchtlinge bis nach Uganda zu lotsen, von wo aus sie mit dem Flugzeug gen Südamerika und Asien geschleust werden.

Im Jahr 2018 flohen rund 23.000 Äthiopier*innen aus ihrem Land, die meisten in die Nachbarländer. Der Anteil, der in Europa ankommt, ist relativ gering. Im Jahr 2015 waren nach Angaben der EU über 3.500 Äthiopier*innen irregulär nach Europa eingereist. Dies bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 175%. Rund 6.000 beantragten 2015 in den EU-Mitgliedsstaaten Asyl, rund der Hälfte wurde stattgegeben. UNHCR schätzt, dass rund die Hälfte der Somalier*innen und Eritreer*innen, die in Europa Asyl erhalten, in Wahrheit Äthiopier*innen seien, die falsche Identitäten angeben, um nicht abgeschoben zu werden. In Deutschland beantragten 2018 genau 1.116 Äthiopier*innen Asyl, die Anerkennungsquote liegt bei rund 16%.

Nach dem Regierungswechsel und den Reformen in Äthiopien forderte die EU die Mitgliedstaaten auf, die politischen Veränderungen innerhalb Äthiopiens in ihrer jeweiligen Asylpolitik zu berücksichtigen. Konkret ging es darum, dass die neue äthiopische Regierung unter Premierminister Abiye tausende politische Gefangenen entlassen und drei Oppositionsgruppen von der Terrorliste hat streichen lassen, damit sie sich am demokratischen Prozess beteiligen. Gleichzeitig ließ er Armee und Geheimdienst säubern, was ihm viele Feinde eingebracht hat. Expert*innen und NGOs gehen davon aus, dass diese Sicherheitsorgane nun die freigelassenen Oppositionellen vermehrt verfolgen und die Oppositionellen auch im Ausland Schutz suchen werden. Die EU-Mitgliedstaaten solle dies bei der Bearbeitung der Asylanträge berücksichtigen.

Äthiopien hatte sich bislang in Hinsicht der Rückführung abgelehnter Asylbewerber*innen nicht besonders kooperativ gezeigt. Das EU-Strategiepapier zur Verhandlung eines Rückführungsabkommens von 2016 spricht von einer Rate von nur 16%. Bei anderen Ländern sind es 40%. Im Dezember 2017 unterzeichneten die EU und Äthiopien eine Vereinbarung zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber*innen. Daraufhin schickte die Regierung in Adis Geheimdienstleute und Mitarbeiter*innen der Immigrationsbehörden nach Europa, um an den Botschaften die Identitäten derjenigen zu prüfen, die abgeschoben werden sollen. „Es ist vorgesehen, dass Mitgliedstaaten zuerst die Namen der Äthiopier, die es zu identifizieren gibt, übermitteln und dann wir die Reisedokumente ausstellen und der Rückkehrprozess dann eingeleitet werden kann“, erklärte Teshome Toga, Äthiopiens Botschafter zur EU. In der Vereinbarung ist auch festgelegt, dass die EU für die Kosten der Rückführung sowie für Reintegrationsprogramme aufkommen wird.

Charmeoffensive aus der EU

Äthiopien ist für die EU bei der Migrationsregulierung in Afrika neben Nigeria das wichtigste Partnerland. Bereits im November 2015 haben die EU und Äthiopien eine gemeinsame Erklärung zur Umsetzung der Gemeinsamen Agenda für Migration und Mobilität (CAMM) beim EU-Afrika-Migrationsgipfel in Valletta auf Malta unterzeichnet. Als Ziel wird darin erklärt: Die EU werde helfen, Menschenhandel und illegale Migration zu unterbinden, zudem sollen Hilfsgelder in die Fluchtursachenbekämpfung investiert werden.

Die EU sagt darin zu, äthiopische Grenzeinheiten in regionalen Ausbildungsprogrammen zu unterstützen, die Strafverfolgungsbehörden für die Bekämpfung von Menschenhandel und Schleusertum fortzubilden, den Ausbau der biometrischen Datenspeicherung von Reisepässen sowie Geräte zum Aufspüren gefälschter Reisedokumente zu liefern. Die Zusammenarbeit sei besonders in diesem Bereich wichtig, um diejenigen Asylbewerber*innen zu identifizieren, die sich fälschlicherweise als Somalier*innen oder Eritreer*innen ausgeben, um Asyl in der EU zu erlangen, heißt es im Strategiepapier der EU-Kommission zu den Verhandlungen der Rückführungsabkommen. Dazu sei die Zusammenarbeit mit äthiopischen Behörden unumgänglich, nur sie könnten die Identität eindeutig feststellen. Drei Monate später wurden 57 Fälle an Addis Abeba übergeben.

In Zukunft soll es ein jährliches Treffen in Brüssel oder Addis geben, um die Fortschritte im „Dialog über Migration und Mobilität“ zu evaluieren, so das Abkommen. Äthiopien verpflichtet sich, den Rückführungsprozess zu beschleunigen. Als helfende EU-Institutionen werden darin explizit Frontex, Europol sowie das europäische Asyl-Unterstützungsbüro (EASO) genannt.

Wirtschaftskraft der Diaspora

Umgekehrt will die EU Äthiopien entgegenkommen  ̶  mit Visaerleichterungen und dem Ausbau wirtschaftlicher Partnerschaft, auch um das gute Wirtschaftswachstum beizubehalten. Dazu soll ein Business-Event in Brüssel abgehalten werden, um Investitionen zu fördern. Äthiopiens Außenminister habe zudem bei seinem Brüsselbesuch explizit darum gebeten, die Rücküberweisungen von Exil-Äthiopier*innen aus dem europäischen Ausland kostengünstiger zu gestalten. Äthiopiens Bruttosozialprodukt und Devisenreserven sind enorm von diesen Geldtransfers an die Familien in der Heimat abhängig. Um diese maximal auszunutzen, hat die Regierung in Addis 2013 die sogenannte Diaspora-Politik ausgerufen, die Äthiopier*innen im Exil ermuntert, mit harter Auslandswährung in der Heimat zu investieren.

2015 unterzeichnete Äthiopien den Dialog mit der EU über Migrationsentwicklung, das sogenannte Coutonou-Abkommen. Mit diesem sollen Maßnahmen umgesetzt werden, um Menschenhandel und Schleusertum zu unterbinden. Äthiopien profitiert als eines der Hauptempfängerländer aus dem EU-Nothilfe-Treuhandfond für Afrika (EUTF). Bereits 2015 waren beim Gipfel in Valletta für Äthiopien gezielte Maßnahmen gegen das Schleusertum bestimmt worden. 253 Millionen Euro wurden dafür angesetzt. Im April 2016 wurden erneut 117 Millionen Euro zugesagt, um Flüchtlinge, Binnenvertriebene und deren Gastgemeinden zu unterstützen. Davon profitiert Äthiopien anteilig mit 30 Millionen Euro.

Im Juli 2016 unterzeichnete die EU mit Äthiopien zwei weitere Abkommen, die vom EU-Treuhandfond finanziert werden sollen. Für die Umsetzung ist Italiens Entwicklungsagentur zuständig. Rund 20 Millionen Euro sollen in Berufsschulen und Ausbildungsprogramme für Jugendliche und Frauen investiert werden, besonders in den Regionen des Landes, die von irregulärer Migration besonders betroffen sind. Ziel sei es, die Abwanderung Jugendlicher zu reduzieren. Weitere 47 Millionen Euro sollen die Fluchtursachen in fünf Regionen mit vernachlässigten ethnischen Minderheiten bekämpfen. Auch hier geht es vor allem um Berufsausbildung und bessere Schul- und Gesundheitsversorgung sowie Ernährungssicherheit. Die EU-Maßnahmenbeschreibung geht davon aus, dass junge Leute weniger migrierten oder auswanderten, wenn sie lokal bessere Lebensbedingungen vorfänden. In den Abkommen wurde allerdings unterschlagen, dass die ehemalige Zentralregierung durch ihre repressive Politik gegenüber Minderheiten und enorme Landvergabe an ausländische Investor*innen wie zum Beispiel Saudi-Arabien selber Fluchtgründe schafft.

Ein wesentlicher Fokus des humanitären Engagements der EU liegt auf der Problematik der Lebensmittelsicherheit. Äthiopien wird immer wieder von Dürre heimgesucht, bereits in den 1980er Jahren nahm die EU hunderttausende Äthiopier*innen auf, die dem Hungertod nahe waren. Die für die kommenden Jahre angekündigten Dürreperioden am Horn von Afrika können weitere Vertreibungen und Migrationsbewegungen hervorrufen, nicht nur unter Äthiopier*innen, sondern auch bei den Flüchtlingen in den Lagern, die von internationalen Hilfsorganisationen durchgefüttert werden. Die EU investiert 51 Millionen Euro in Lebensmittel und Maßnahmen zur Vorbeugung von Hungerkatastrophen.

Bekämpfung des Schleusertums

Im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses stehen Äthiopien unter dem Stichwort „Besseres Migrationsmanagement“ (BMM) anteilig Gelder in Höhe von 45 Millionen Euro aus dem Treuhandfond für Afrika zu. Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat in Addis weitere Büros angemietet und baut ihre Arbeit weiter aus. Äthiopiens Strafverfolgungsbehörden sollen befähigt werden, gegen Menschenhändler vorzugehen. Regionale Ausbildungsprogramme für Grenzbehörden werden durchgeführt, um gemeinsame Grenzpatrouillen zwischen den Nachbarländern einzurichten und die Zusammenarbeit zu stärken.

Äthiopien hat als eines der ersten Länder 2012 eine Behörde zur Bekämpfung von Menschenhandel eingesetzt, den Nationalen Rat gegen Menschenhandel (NCHF). Dieser ging aus einer Taskforce hervor, die bereits 1993 gegründet worden war, um nach dem Verlust Eritreas im Unabhängigkeitskrieg den Massenexodus nach Südafrika zu unterbinden. Der heutige Premierminister Desalegn war einst Vorsitzender des NCHF, heute wird sie geleitet vom Vize-Premierminister Demeke Mekonnen. Im Leitungsgremium der Behörde sitzen Vertreter*innen der Zentral- aber auch der Lokalregierungen und des Geheimdienstes sowie Vertreter*innen verschiedener Ministerien und auch Jugendorganisationen.

Im Jahr 2015 wurde ein Gesetz zur Prävention und Unterdrückung von Menschenhandel und Schleusertum verabschiedet, das Strafen von bis zu 25 Jahren Gefängnis und Geldstrafen vorsieht, auch für Helfershelfer von Schleusern und Dokumentenfälschern. Bei gravierenden Vergehen, bei welchem der Tod von Migrant*innen durch Schleuser mutwillig in Kauf genommen wurde, kann auch die Todesstrafe verhängt werden.

Die NCHF-Behörde engagiert sich an Orten, wo viele Migrant*innen leben unter anderem mit Aufklärungskampagnen. Sie erhält zunehmend mehr Informationen aus der Bevölkerung und von Flüchtlingen selbst und konnte in den vergangenen Jahren einige Ermittlungserfolge verbuchen. Über 200 Verhaftungen meldete die NCHF im Jahr 2015, so ein Bericht des regionalen Sanah-Rechercheinstituts mit Sitz in Kenia. Äthiopische NCHF-Agenten hätten in Kollaboration mit sudanesischen und kenianischen Grenzbehörden grenzübergreifende Ermittlungen durchgeführt über Schleusernetzwerke, die Migrant*innen nach Südafrika zu schleppen.

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