Deutschland

Veröffentlicht November 15th, 2021 - von: Christian Jakob

Basisdaten und kurze Charakterisierung

Die Bundesrepublik Deutschland ist der größte Mitgliedsstaat der EU und des Schengen-Raums. Sie hat eine Fläche von rund 358.000 km² und grenzt mit Ausnahme der Schweiz ausschließlich an andere EU-Mitgliedstaaten. Diese sind Belgien (133 km Grenzlänge), Dänemark (140 km), Frankreich (418 km), Luxemburg (128 km), Niederlande (575 km), Österreich (801 km), Polen (467 km), die Tschechische Republik (704 km) sowie die Schweiz mit 348 km Grenzlänge

Rund ein Viertel (20,8 Millionen) der etwa 83 Millionen Einwohner*innen haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Dazu zählen Menschen, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen. Von den 20,8 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit sog. Migrationshintergrund wurden rund 13,5 Millionen Menschen nicht im Land geboren, sondern sind im Laufe ihres Lebens eingewandert. Etwa die Hälfte der 10,9 Millionen Deutschen mit sog. Migrationshintergrund besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit seit ihrer Geburt (5,5 Millionen). Etwa ein Achtel der Bevölkerung (10,9 Millionen) hat also keinen deutschen Pass und wird als ausländisch bezeichnet. Zu den größten Gruppen dieser Ausländer*innen gehören Menschen aus der Türkei (ca. 1,5 Millionen), Polen (ca. 783.000), Syrien (ca. 638.000) sowie Rumänien (ca. 534.000).

Rund 46,6 Millionen Menschen in Deutschland (über 57 Prozent der Bevölkerung) gehören einer christlichen Kirche an. Es wird geschätzt, dass in Deutschland rund 4,9 Millionen Muslime leben. Das entspräche einem Bevölkerungsanteil von 6,1 Prozent. Dabei handelt es sich aber um Näherungen aufgrund der Herkunft, viele dieser Menschen sind tatsächlich nicht gläubig („Kulturmuslime“). Mehr als ein Drittel ist konfessionslos.

Ökonomie und Regierung

Deutschland ist die größte Volkswirtschaft der EU (viertgrößte weltweit) und die drittgrößte Exportnation der Welt. Das Land wurde in 32 der vergangenen 40 Jahre von der konservativen Partei CDU/CSU regiert.

In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wuchs die westdeutsche Volkswirtschaft bis zur Ölkrise 1973 sehr schnell („Wirtschaftswunder“). Ein wichtiger Grund war der Erhalt wichtiger Teile der Maschinenparks nach dem NS, der im Krieg eingeübte Taylorismusschub und die Ersetzung der „Fremdarbeiter“ genannten ausländischen NS-Zwangsarbeiter durch italienische und später türkische Arbeitsmigration. Hinzu kam die Abwanderung von Betrieben aus den sowjetisch besetzten Gebieten und der späteren DDR in die westlichen Zonen und die spätere Bundesrepublik.

In der Bundesrepublik war die Zahl der Arbeitslosen bereits seit Mitte der 1970er Jahre drastisch angestiegen und lag in den 1980er Jahren fast durchgängig bei über 2,2 Millionen. Nach der Vereinigung mit der Ex-DDR ab 1990 lag die Zahl der Arbeitslosen wegen der vielen geschlossenen Ost-Betriebe zwischenzeitlich mit fast fünf Millionen Arbeitslosen bei rund 9 Prozent. Hinzu kam in dieser Phase eine wachsende Zahl von Standortschließungen auch im Westen – viele der in Deutschland seit der Industrialisierung um 1900 und nach 1950 entstandenen Betriebe verlegten die Produktion ins Ausland nach Ost- oder Südeuropa oder Ostasien. Die Gründung der EU und der Fall des „Eisernen Vorhangs“ machten es möglich. Dies war rentabel: 1995 lag das Median-Nettoeinkommen in der Bundesrepublik bei umgerechnet 18.154 Euro. In Polen lag der Durchschnittslohn in jenem Jahr bei umgerechnet 7.550 der so genannten KKP-Dollar, in Indonesien waren es 4.390. Die verbesserte Transport-Infrastruktur und niedrige Einfuhrzölle machten die Ausnutzung der niedrigen Löhne zusätzlich attraktiv. Das langsam einsetzende Wachstum des Dienstleistungssektors kompensierte den damit verbundenen Arbeitsplatzabbau zunächst nur teilweise.

Nach der Finanzkrise 2008 änderte sich dies: Zunächst hatte die damalige rot-grüne Regierung 2005 umfassende Kürzungen der Sozialleistungen („Hartz-Reformen“) beschlossen. So sollten die Lohnnebenkosten gedrückt werden, um Arbeit für Unternehmen billiger zu machen und die weitere Abwanderung von Betrieben einzudämmen. Die Bundesregierung setzte auf eine im europäischen Vergleich strikte Niedriglohnpolitik, vor allem durch die Ausweitung der Möglichkeiten prekärer Beschäftigung.

Zwischen 2000 und 2020 stiegen die sogenannten Reallöhne in Deutschland deshalb um insgesamt nur etwa zehn Prozent an. Die damit im EU-Vergleich immer billigere, aber weiterhin produktive Arbeitskraft setzte sich in der EU-Konkurrenz durch und ließ die Beschäftigungsrate ab etwa 2010 ansteigen. In den Jahren 2014 bis 2019 wurden neue Rekordüberschüsse bei der Handelsbilanz erzielt: Der Wert der exportierten Waren lag in allen sechs Jahren um mehr als 210 Milliarden Euro über dem Wert der importieren Waren.

In Kombination mit einer schrumpfenden Gesamtbevölkerung wuchs in diesem Zeitraum der Arbeitskräftemangel. Die anhaltend starke Exportnachfrage führte dazu, dass Ende 2019 mehr als 1,4 Millionen Arbeitskräfte in Deutschland gesucht wurden. 47 Prozent aller Arbeitgeber*innen hatten Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen.

„Der Arbeitsmarkt wird zunehmend zu einem Bewerbermarkt, auf dem sich die Fachkräfte ihren Arbeitgeber aussuchen können“, hieß es 2020 in einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). 2010 war jede vierte Stelle in „Engpassberufen“ – etwa Elektriker*in, Pflegekräfte, Monteur*in – ausgeschrieben. Dabei handelt es sich um Berufe, für die es wenig Bewerber*innen auf viele freie Stellen gibt. Mitte 2018 waren es 78 Prozent – immer mehr Berufe sind in der Zwischenzeit zu „Engpassberufen“ geworden. Betriebe müssen deshalb vielfach Aufträge ablehnen, der Arbeitskräftemangel gilt als wichtigste „Wachstumsbremse“. Selbst wenn heute mehr Frauen arbeiten, Teilzeitbeschäftigte Stunden aufstocken und viele Menschen später in Rente gehen, rechnet die Bundesregierung bis 2030 mit 1,7 Millionen Erwerbspersonen weniger als heute. Das Problem des Arbeitskräftemangels wird sich also verschärfen.

Lange trieben die Wirtschaftsverbände deshalb die regierende konservative Partei CDU mit Forderungen nach mehr Zuwanderung vor sich her. Als sich Ende 2015 abzeichnete, dass im Laufe des Jahres wohl eine Million Menschen nach Deutschland gekommen waren, sagte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts Landau, dies sei „das Beste, was 2015 passiert ist“. Kurz danach erneuert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ihre Forderung, noch mehr Zuwanderung zu ermöglichen.[1]

Vor diesem Hintergrund hat die seit 2005 regierende Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten 2019 das sogenanntes Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz beschlossen, das Menschen von außerhalb der EU den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Vor allem die Konservativen hatten sich lange gegen diese Reform gesperrt. 2020 trat das Gesetz schließlich in Kraft. Einen wirklichen „Spurwechsel“, wie die Möglichkeit für abgelehnte Asylbewerber*innen, sich auf eine Aufenthaltserlaubnis zum Arbeiten zu bewerben, enthielt es nicht. Das Gesetz wird vor allem von Wirtschaftsverbänden, etwa aus dem Bereich Pflege/Gesundheit, als unzureichend angesehen, weil die Hürden für eine Einreise von Arbeitssuchenden nach wie vor sehr hoch liegen. Insgesamt ist die Migrationspolitik in Deutschland auch weiterhin sehr restriktiv.

Dabei fußt die deutsche Wirtschaftsleistung ganz wesentlich auf der Ausbeutung der Arbeitskraft von Migrant*innen außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses, in prekärer, sogenannter atypischer Beschäftigung. Rund 35 Prozent der Ausländer*innen sind im Niedriglohnsektor beschäftigt – bei den Deutschen sind es nur 17 Prozent. Für Geduldete, also Menschen, deren Abschiebung vorübergehend ausgesetzt ist, sei „der Niedriglohnsektor der wichtigste Bereich zur Aufnahme einer Beschäftigung und somit zur Erlangung eines dauerhaften Aufenthalts in Deutschland“, stellt das BAMF fest.

Die mittleren Bruttomonatsverdienste von Arbeitnehmer*innen aus Asylherkunftsländern sind um ca. 43 Prozent niedriger als die aller abhängig Beschäftigten in Vollzeit, hat der DGB festgestellt. Sie betragen ca. 1.900 Euro brutto im Monat – bei einer 40-Woche ist das nur knapp über dem Mindestlohnniveau von derzeit (November 2021) 9,60 Euro/Stunde. Bei 67 Prozent dieser Beschäftigten liegen die Löhne sogar unter der Niedriglohnschwelle. 47 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Asylherkunftsländer arbeitet im „Helfer-Bereich“; in der Gesamtbevölkerung sind es nur 15 Prozent. Ein Großteil ist außerdem in Branchen mit geringer Tarifbindung und generell niedrigen Löhnen im Einsatz: in der Leiharbeit, im Gastgewerbe, im Handel bzw. der Reparatur und Instandhaltung von KfZ sowie in sonstigen Dienstleistungsberufen.

Migrationsbewegungen

Migration nach Deutschland findet seit der Gründung der Bundesrepublik 1949 statt, wobei sich die Struktur der Zuzüge stark von jener der anderen großen EU-Industriestaaten Großbritannien, Frankreich und Spanien unterscheidet, die vor allem durch Zuzüge aus den jeweiligen ehemaligen Kolonien bestimmt sind. Weil Deutschland aus den meisten seiner Kolonien früher vertrieben wurde, gab es keine vergleichbaren Zuzüge.

Stattdessen ist die deutsche Gesellschaft heute stark von der ab den später 50er Jahren angelaufenen Anwerbung ausländischer Arbeitsmigrant*innen aus Südeuropa und der Türkei („Gastarbeiter*innen“) in einer längeren Phase wirtschaftlichen Aufschwungs geprägt („Wirtschaftswunder“). Die Anwerbung wurde in der 1970er Jahren während einer Phase abflachenden Wirtschaftswachstums („Ölkrise“ 1973) gestoppt. Die damals Angeworbenen und ihre Nachfahren sowie im Zuge des Familiennachzugs nachgereiste Angehörige machen einen wesentlichen Anteil der heutigen Bevölkerung aus. Ohne Einbürgerung werden ihnen allerdings bis heute bestimmte Rechte, vor allem Teile des Wahlrechts, vorenthalten.

Seit 2000 gibt es für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bei der Geburt die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie müssen sich aber bis zum 23. Lebensjahr entweder für den deutschen Pass oder die Staatsangehörigkeit von Vater oder Mutter entscheiden. Eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft gibt es nicht. Eine Einbürgerung nach 5 bis 7 Jahren legalem Aufenthalt ist möglich.

Zuletzt sind rund 1,5 Millionen Menschen pro Jahr nach Deutschland eingewandert. Dem gegenüber standen rund 1,2 Millionen Fortzüge. Der sogenannte Wanderungssaldo lag entsprechend bei etwa 300.000.

Die Fortzüge verteilen sich fast parallel zu den Zuzügen auf mehrheitlich europäische Herkunftsländer: 2018 zogen rund 177.000 Rumän*innen, 127.000 Pol*innen und 57.000 Bulgar*innen in ihr Herkunftsland zurück. Bei EU-Bürger*innen gibt es keine Abschiebungen und – außer bei schweren Straftaten – in der Regel keine Ausweisungen. Allerdings werden ihnen Sozialleistungen vorenthalten.

Anders ist es bei Drittstaatler*innen. Diese müssen in vielen Fällen mit einer Ausweisung oder Abschiebung rechnen. Zu möglichen Gründen hierfür zählen: Ende eines befristeten Arbeits- oder Studienvisums, abgelehnter Asylantrag, Scheidung vom deutschem Ehepartner*in oder keine ausreichenden Einkünfte, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Zwei Drittel aller Zuzüge kamen aus europäischen Ländern, über die Hälfte (50,3 Prozent) aus EU-Staaten.[2] Für diese Staatsbürger*innen gilt Freizügigkeit, sie können sich unbeschränkt in Deutschland niederlassen und arbeiten. Sozialleistungsansprüchen erwerben sie im Wesentlichen durch Erwerbstätigkeit, zu der sie unbeschränkt berechtigt sind.

Unter den sogenannten Drittstaaten, also Nicht-EU-Mitgliedsstaaten, lagen 2018 die Türkei (47.000), USA (32.000) und Indien (30.000) vorn.[3] Menschen aus diesen Staaten dürfen nur mit einem vorab erteilten Visum zur Arbeitsaufnahme einreisen. Voraussetzung dafür ist in der Regel der Nachweis eines bereits zugesicherten Arbeitsvertrags oder eine besondere Qualifikation. Ausnahme sind Eheschließungen mit Deutschen oder ein Studienplatz an einer deutschen Universität – in diesen Fällen können Drittstaatler*innen auch ohne Beschäftigungsnachweis einreisen.

Von den bestehenden Einreiseregelungen zur Arbeitsmigration für Drittstaatler*innen profitieren heute insgesamt nur wenige Menschen: Die sogenannte Blaue Karte EU für Hochqualifizierte wurde 2018 rund 27.000[33] mal ausgestellt. Auf Grundlage der 2015 eingeführten Westbalkan-Sonderregelung wurden 2018 rund 21.000 Arbeitsvisa erteilt. Dabei handelt es sich um ein vereinfachtes Visa-Antragsverfahren für gering Qualifizierte aus Südosteuropa, die in Deutschland arbeiten wollen, etwa im Baugewerbe. Die Regelung war eingeführt worden, um die hohe Zahl von Asylanträgen aus Ländern wie Bosnien oder Albanien zu begrenzen und Ausreisewilligen eine andere Einreisemöglichkeit zu gewähren. Die Regelung läuft zunächst bis 2023 weiter.

Deutschland hat im Vergleich zu Ländern des Globalen Südens lange Zeit sehr wenige Flüchtlinge aufgenommen. Nach einem Hoch der Asylzahlen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre brachte ein als „Asylkompromiss“ bekannt gewordenes Gesetzespaket – inklusive Grundgesetzänderung – 1993 eine Verschärfung der Aufnahmebedingungen. Vor allem die darin enthaltene sogenannte Drittstaatenklausel senkte die Zahl der Asylanträge. Sie besagt, dass Menschen, die über Länder nach Deutschland einreisen, in denen keine politische Verfolgung stattfindet, keine Möglichkeit mehr haben, als Asylberechtigte anerkannt zu werden. Diese hätten stattdessen in einem der Transitstaaten Schutz suchen sollen. Weil Deutschland ausschließlich von als „sicheren Drittstaaten“ geltenden Ländern umgeben ist, wurde die Asyl-Antragstellung in der Folge deutlich schwieriger. Personen, die trotzdem kamen, wurden zunehmend auch in andere EU-Staaten abgeschoben, durch die sie zuvor gereist waren.

Diese Praxis wurde alsbald durch die europäische Dublin-Regelung unterlegt. Sie sorgte dafür, dass die meisten Flüchtlinge in den EU-Staaten mit Außengrenzen wie Griechenland und Italien blieben. Bis 2007 sank die Zahl der Asylanträge in Deutschland deshalb auf ein Rekord-Tief von 19.164. Danach ging die Kurve nach oben.

Zunächst stiegen die Zahlen der Ankünfte von Menschen aus Südosteuropa, parallel förderten Außengrenzen-Staaten wie Griechenland, Italien oder Ungarn immer öfter die Weiterreise von Flüchtlingen – durch Repression, Unterversorgung oder auch das Ausstellen von Reisedokumenten.

Im „Sommer der Migration“ 2015 änderte sich die Situation ein weiteres Mal: Flüchtlinge aus der MENA-Region, aber auch Ost- und Westafrika sowie Südasien kamen über die Balkanroute nach Deutschland. Zwar wurde in der Folge das Asylrecht stark verschärft, ein großer Teil der Angekommenen aber blieb. 2021 lebten in Deutschland nach UNHCR-Angaben 1.235.160 Millionen aufgenommene Flüchtlinge. In dieser Zahl nicht enthalten sind Menschen mit laufendem Asylverfahren sowie Menschen, die nach einer Zeit als Flüchtlinge einen anderen Aufenthaltstitel bekommen haben oder etwa eine deutsche Person heirateten. Rund 235.000 Menschen lebten Ende 2020 mit einer Duldung in Deutschland. Die Schätzungen der Zahl der Sans Papier schwanken zwischen 200.000 und 600.000.

Seit 2015 ist die Zahl der Ankommenden durch die verschärfte Abschottung der EU-Außengrenze deutlich zurück gegangen. 2020 stellten nur noch rund 75.000 Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, einen ersten Asylantrag.

Deutschlands Projekte zur Vorverlagerung der Grenzen

Deutschland ist an einer ganzen Reihe von Projekten des externalisierten Grenzschutzes beteiligt. Teils handelt es sich um deutsche Initiativen für bilaterale Projekte, teils um die Beteiligung an EU- oder NATO-Maßnahmen. Die folgende Auflistung ist nicht notwendigerweise vollständig.

Sicherheitszusammenarbeit, „Grenzertüchtigung“

Die Sicherheitszusammenarbeit ist formal von der Entwicklungshilfe (EZ) getrennt. Hierbei geht es vor allem um die Kooperation ziviler Polizeibehörden, die normalerweise nicht aus EZ-Mitteln bezahlt werden darf. Teil der Sicherheitszusammenarbeit ist die Unterstützung beim Ausbau des Grenzschutzes.Deutschland entsendet derzeit Polizist*innen in rund zwei Dutzend Staaten, wobei nur wenige dieser Projekte im unmittelbaren Zusammenhang mit Grenzschutz oder Migrationsmanagement stehen. Zu diesen zählen vor allem folgende:

Ägypten

Nach jahrelangen Verhandlungen haben die deutsche und die ägyptische Regierung im Juli 2016 ein „Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich“ unterzeichnet.[4] Zu den Inhalten gehört auch die Bekämpfung unerwünschter Migration. Im August 2017 vereinbarten die Regierungen dann einen „Migrationsdialog“.[5] Darin geht es um die „Bekämpfung illegaler Migration, Bekämpfung krimineller Schmuggler, sowie mehr Bemühungen zur Verhinderung illegaler Abfahrten von ägyptischen Küsten, Verhinderung illegaler Transit-Migration, insbesondere über die Landgrenze nach Libyen, Rückkehr von in Ägypten festgestellten Migranten ohne ein Aufenthaltsrecht in Ägypten in ihre Herkunftsländer, Unterbringung von Personen, die nach ägyptischen Regelungen internationalen Schutz bedürfen und Rücknahme illegal in Deutschland aufhältiger ägyptischer Staatsangehöriger". Seit mindestens 2016 bildet die Bundespolizei u.a. im Bereich Grenzschutz ägyptisch Polizist*innen aus. 2017 hat die ägyptische Botschaft eine „Bedarfsliste“ übermittelt. Als Ägyptens Militärmachthaber as-Sisi im November 2018 zu einem Besuch nach Berlin kam, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer gemeinsamen Pressekonferenz: „Ägypten sichert seine Seegrenzen exzellent, de facto gibt es keine Migration aus Ägypten nach Europa, obwohl in Ägypten viele Flüchtlinge leben. Das ist uns hohe Anerkennung wert und so unterstützen wir Ägypten mit einem ungebundenen Kredit von 500 Millionen Euro.“

Tunesien

Schon im März 2012, direkt nach der Arabellion, entsandte die Bundespolizei einen „grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten“ in die Hauptstadt Tunis. Der sammelte „Lageerkenntnisse“ über irreguläre Migration. Bundesverteidigungsministerium und Auswärtiges Amt stellten 2016 erhebliche Summen für die „Ertüchtigung“ von Partnerstaaten bereit. Tunesien bekam daraus 20 Millionen Euro, unter anderem für elektronische Überwachung an der Grenze zu Libyen und die Ausbildung der Grenzpolizei. Im selben Jahr hat die Bundespolizei in 66 Missionen Trainer*innen und Ausrüstung nach Tunesien geschickt oder tunesische Grenzer*innen zur Ausbildung nach Deutschland geholt. „Die Tunesier haben gelernt, wie man patrouilliert, wie man gefälschte Pässe erkennt und verdächtige Personen befragt, wie man Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras bedient, wie man die Seegrenzen kontrolliert, wie man Bootsflüchtlinge rettet und Schleuser auf See verhaftet“, schrieb dazu die Zeit. 2017 gab es für Tunesien weitere 40 Millionen zur „Grenzertüchtigung“ aus Deutschland. Bundespolizist*innen bildeten tunesische Grenzschützer*innen aus, die Bundeswehr schickte Schnellboote und gepanzerte Lastwagen. Deutschland übergab ein Dokumentenprüflabor, teils militärische Ausrüstungsgeräte zur Grenzsicherung, (größtenteils produziert von Airbus), mobile Überwachungssysteme mit Bodenaufklärungssysteme, fünf Nachtüberwachungssysteme, 25 Wärmebildkameras, 25 optische Sensoren und fünf Radarsysteme. Das Land bekam eine Hightech-Grenze praktisch von Deutschland geschenkt.

2019 kam dann das „Unterstützungsprogramm für die Integrierte Grenzverwaltung“ (IBM Tunesien) der EU hinzu, an dem sich Deutschland beteiligte. Das Vorhaben umfasste das Einrichten und Ausstatten von Einsatzleitstellen der Grenzpolizei („Garde Nationale"), die Weiterentwicklung der Mobilanwendung „Smart Traveler“ zur vereinfachten Grenzabfertigung sowie den Aufbau eines Schulungszentrums für Grenzmanagement.

2020 stieg der Anteil von Tunesier*innen unter den in Südeuropa ankommenden Bootsflüchtlingen stark an. Im Rahmen seiner da laufenden EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland deshalb eine neue „operative Mittelmeer-Initiative“ zur Verhinderung von Überfahrten über das Mittelmeer gestartet. Wie in Libyen versorgt die EU darüber die tunesische Küstenwache mit Überwachungssystemen für das zentrale Mittelmeer. Tunesiens Innenministerium, die Grenzpolizei, die Nationalgarde und Küstenwache werden umfangreich unterstützt. Letztere erhält eine Erneuerung ihrer Überwachungssysteme im Wert von 24,5 Mio. Euro. Tunesische Grenztruppen bekommen weitere Unterkünfte und Kontrollräume ausgerüstet, Flughafenscanner, Lesegeräte für Fingerabdrücke sowie zusätzliche Unterstützung bei der Einführung biometrischer Ausweisdokumente.

Marokko

Bei einem Besuch des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière im Jahr 2016 sagte das Land zu, sich an einem neuen Verfahren zur Abschiebung von Marokkaner*innen zu beteiligen. In einem Pilotprogramm sollten Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland gekommen waren, ihre eigenen Pässe weggeworfen und sich als Syrer*innen ausgegeben hatten, als Marokkaner*innen identifiziert werden. Mit Hilfe der Fingerabdrücke, die in Marokko für biometrische Pässe gespeichert waren, sollte deren Rückführung erfolgen. „Marokko hat zugesagt, innerhalb von 45 Tagen entsprechende Anfragen zu beantworten,“ sagte de Maizière. Das Land verfüge über eine „hervorragende Datenbank über seine Staatsbürger“. Etwa zwei Wochen später gab Veridos (→ „Wer profitiert?“), ein Gemeinschaftsunternehmen der Bundesdruckerei und der deutschen IT-Firma Giesecke & Devrient, bekannt, von Marokko mit der „Entwicklung und Umsetzung eines nationalen Grenzkontrollsystems“ beauftragt worden zu sein. Geliefert werden unter anderem biometrische Scanner, Passlesegeräte, Kontrollschleusen und Server für 1.600 Kontrollposten.[6]

Niger

Deutschland hat gemeinsam mit den Niederlanden 2018 den Aufbau einer neuen Grenzpolizeitruppe in Niger initiiert: der Compagnie Mobile de Contrôle des Frontières (CMCF). Die CMCF besteht mittlerweile aus 245 Männern und sieben Frauen. Deutschland und die Niederlande haben dafür einen zweistelligen Millionenbetrag gegeben. Das Hauptquartier der Einheit in der Kleinstadt Birni'N'Konni an der Grenze zu Nigeria hätte im Oktober 2020 eingeweiht werden sollen. Die Feier wurde allerdings auf Januar vertagt – die Sicherheitslage war zu schlecht.

Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, verfügte über eine Nationalpolizei, eine Gendarmerie, eine Nationalgarde und eine Armee. Alle sind auch mit dem Grenzschutz befasst und seit 2016 mit dem Kampf gegen Schlepper betraut. Trotzdem hat die EU ab 2018 mit der CMCF noch eine weitere Grenzschutztruppe aufgebaut. Polizist*innen aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland haben die CMCF ausgebildet. Ein Schwerpunkt der Arbeit von den vier 2019 in das Land entsandten deutschen Polizisten war „die Planung eines zu großen Teilen von Deutschland finanzierten Projekts zum Aufbau mobiler Grenzkontrollkompanien“, teilte die Bundesregierung im Juni 2020 dazu dem Bundestag mit.

„Die Hauptaufgabe unserer Truppe ist die Sicherung der Grenzen“, sagt der Kommandant der CMCF, Haro Ammani. „Die Bekämpfung der illegalen Einwanderung ist dabei ein wesentlicher Bestandteil.“ Die Grenzen in den Wüsten Westafrikas sind bis heute meist unmarkiert. In der Vergangenheit konnte die lokale Bevölkerung sie überqueren, ohne Pässe vorzeigen zu müssen. Das soll anders werden. „Unsere Truppe besteht aus mobilen Einheiten, denn viele Phänomene entziehen sich der Kontrolle der Polizeistationen an den offiziellen Grenzübergängen“, sagt der Kommandant. „Unsere Patrouillen sollen die Menschenhändler und Schmuggler auch jenseits davon verfolgen und festnehmen.“

Von den „Partnern“, der EU „und vor allem Deutschland und die Niederlande“ sei „schon viel geliefert worden“, sagt Ammani. „Es wird ein modernes Gebäude für die Kompanie errichtet, mit einer modernen Küche, Kommunikationsausrüstung, aber auch viel persönliche Ausrüstung, Schuhwerk, Rettungsausrüstung für Kampfeinsätze, Ambulanzen.“

Bundespolizei Mandate der EU

Die Bundespolizei ist an insgesamt elf zivilen Missionen der EU und sechs Missionen der UN zur „Sicherheits“-Zusammenarbeit beteiligt. Diese dienen unter anderem dem Aufbau oder der Unterstützung der Polizeien in Regionen wie Palästina, Georgien, Ukraine, Moldau, Kosovo, Haiti, Darfur, Somalia, Sudan, Mali oder Irak. Bei zwei dieser Missionen geht es explizit um Grenzschutzertüchtigung. Das sind:

European Union Border Assistance Mission in Libya (EUBAM Libya)

Die EU Integrated Border Assistance Mission in Libya (EUBAM Libya) ist eine zivile Mission zur Unterstützung der Sicherung der libyschen Land-, See- und Luftgrenzen. Sie wurde Mai 2013 von der EU beschlossen und mehrfach verlängert. Das Mandat umfasst insbesondere die Unterstützung der libyschen Behörden im Bereich des Grenzschutzes und der Inneren Sicherheit. Dies geschieht durch Aus- und Fortbildung der libyschen Polizei, des Grenzschutzes und des Zolls sowie durch die Entwicklung eines sog. Integrated Border Management (IBM), einer integrierten Grenzschutzverwaltung. Die Zusammenarbeit findet auf operativer und strategischer Ebene statt. Ein exekutives Mandat besteht nicht.

European Union Capacity Building Mission in Niger (EUCAP Sahel Niger)

Die EU Capacity Building Mission in Niger (EUCAP Sahel Niger) wurde 2012 von der EU als zivile Aufbaumission gestartet. Sie soll durch die Beratung und Ausbildung der nigrischen Polizei, Nationalgarde und Gendarmerie zu deren Aufbau beitragen und diese zur „Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus“ befähigen. Dies geschieht sowohl durch Aus- und Fortbildung als auch beratende Tätigkeiten. So unterstützt die Mission die nigrischen Behörden auch beim Aufbau eigener technischer Kapazitäten und der regionalen und internationalen Kooperation. Exekutive Tätigkeiten sind hingegen nicht umfasst. Das Hauptquartier befindet sich in der Hauptstadt Niamey. 2016 wurde in der weiter nördlich gelegenen Stadt Agadez ein Büro eröffnet. De facto geht es sehr wesentlich um „Schlepperei“-Bekämpfung (siehe Abschnitt Niger“). EUCAP Sahel etwa ist für den Aufbau der CMCF zuständig.

Beteiligung Frontex-Einsätze

Deutschland stellt das größte Kontingent bei Frontex-Einsätzen. 2019 waren im Durchschnitt täglich 114 deutsche Polizist*innen in Italien, Spanien, Bulgarien oder Griechenland im Einsatz. Die meisten von ihnen wurden von der Bundespolizei entsendet. Deutschland stellte zudem Boote und Streifenfahrzeuge für die europäische Grenzschutzagentur bereit. 2020 waren 1.277 deutsche Polizist*innen als „ständige Reserve" für Frontex abkommandiert. Für die Zeit ab 2021 rechnet das Bundesinnenministerium mit einer Erhöhung dieser Zahl. Dann sollen 61 Langzeitexpert*innen für je zwei Jahre an Frontex abgeordnet werden, dazu 540 „Kurzzeitverwendungen“ und 225 „Soforteinsatzkräfte“.

Beteiligung an der Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache

Über die Mission → „Irini“ ist die Bundeswehr an der Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache beteiligt, die wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen immer wieder in der Kritik steht.

Polizeiprogramm Afrika

Seit 2009 führt die GiZ, damals noch GTZ, im Auftrag des Auswärtigen Amtes das „Polizeiprogramm Afrika“ durch. Eines der Ziele des bis 2022 verlängerten Programms, das mittlerweile über 90 Millionen Euro gekostet hat, ist der „Aufbau bzw. [die] Stärkung von Polizeistrukturen“. Ein wichtiger Punkt: „menschenrechtskonforme Grenz- und Zollkontrollen zu etablieren“.[7] Das Programm läuft mit rund einem Dutzend Staaten, darunter die Herkunfts- oder Transitstaaten Côte d’Ivoire, Gambia, Ghana, Kamerun, Mauretanien, Nigeria und Senegal.

Fluchtrouten/Aufnahme

Entleihe/Entsendung von Beamt*innen des BAMF

Deutschland stellt dem Europäischen Asyl-Unterstützungsbüro EASO seit Jahren Beamt*innen leihweise zur Verfügung, die in den „Hotspots“ genannten Registrierungslagern an den EU-Außengrenzen Erstinterviews durchführen.2019 waren es insgesamt 80, 2018 schickte Deutschland 124 und 2017 insgesamt 130 Beamt*innen für EASO nach Griechenland. Weiterhin entsandte Deutschland seit 2018 mehrfach Beamt*innen des BAMF nach Niger. Diese sollten die Aufnahme von insgesamt rund 600 Geflüchteten vorbereiten, die vom UNHCR aus Internierungslagern in Libyen evakuiert worden und über den „Emergency Transfer Mechanism“ zunächst in den Niger gebracht worden waren.

Umverteilung Mittelmeer („Malta-Plan“)

Im Spätsommer 2019 einigte Deutschland sich mit Frankreich, Italien und Malta auf ein Verfahren für die Aufnahme von Schiffbrüchigen im Mittelmeer. Alle von den privat betriebenen Rettungsschiffen vor Libyen geretteten Menschen sollten demnach innerhalb von vier Wochen für ihr Asylverfahren auf die teilnehmenden Länder verteilt werden. Deutschland sollte ein Viertel der Geretteten aufnehmen – und hoffte darauf, schon bald ein Dutzend weiterer EU-Staaten für die Beteiligung zu gewinnen. „Ich glaube, das war heute ein wichtiger Schritt der europäischen Zusammenarbeit in der Migrationsfrage“, sagte der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) damals. Die politische Tragweite dieser Einigung ist kaum zu überschätzen. Denn viele Jahre standen die Regierungen in Rom und Valletta allein mit der Aufnahme der Bootsflüchtlinge aus Libyen dar – auch wenn ein Großteil der Geflüchteten und Migrant*innen Italien bald wieder Richtung Norden verließ. Die fehlende zwischenstaatliche Lösung aus Brüssel verhalf 2018 dem Rechtsextremisten Matteo Salvini an die Macht, der die italienischen Häfen für Rettungsschiffe einfach schließen ließ. Um das sogenannte „Malta-Protokoll“, das diesen Zustand beenden sollte, in Gang zu bringen, hatte Deutschland sich laut Bundesinnenministerium bereits seit Mitte 2018 verpflichtet, bis zu 1.314 Boatpeople aus Italien und Malta aufzunehmen. Doch Deutschland verschleppt die Aufnahme: Bis Mitte Dezember 2020 kamen nur 845 Boatpeople nach Deutschland – 452 aus Malta, 393 aus Italien.

Entwicklungszusammenarbeit

Die deutsche Entwicklungsagentur GiZ (→ „Wer profitiert?“) konnte ihren Jahresumsatz seit der „Flüchtlingskrise“ 2015 um fast eine Milliarde Euro bzw. insgesamt rund 50 Prozent steigern, während er in den fünf Jahren zuvor lediglich um 18 Prozent gestiegen war. Dass Migration und die politisch gewünschte Bekämpfung der „Root Causes“ der Migration dabei eine wichtige Rolle spielten, schreibt die GiZ selbst. Im Jahresbericht 2019 heißt es unter „Strategie“: „Flucht und Migration beeinflussen die internationale Agenda. Menschen verlassen ihr Zuhause aus vielfältigen Gründen: Krieg, Naturkatastrophen, Klimawandel oder wirtschaftlichen Krisen. Insgesamt waren Ende 2018 weltweit rund 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele suchten Zuflucht in anderen Ländern, doch der weitaus größte Teil war innerhalb des eigenen Heimatlandes auf der Suche nach Schutz. Für die Auftraggeber der GiZ nimmt das Thema nach wie vor einen hohen Stellenwert ein.“[8] Das schlägt sich etwa in den Milliardenaufwendungen etwa für den European Union Emergency Trust Fund for stability and addressing root causes of irregular migration and displaced persons in Africa (EUTF) nieder, auf dessen Implementation sich die GiZ vielfach mit Erfolg bewarb. So konnte sie fast 26 der insgesamt bis Januar 2021 insgesamt 254 EUTF-Projekte mit einem Gesamtvolumen von fast 778 Millionen Euro implementieren – knapp jeder siebte bislang ausgegebene Euro des Mammut-Etats ging damit durch die Hände der GiZ. Schon vor Schaffung des EUTF war die GiZ im Bereich Sicherheitszusammenarbeit aktiv, unter anderem mit dem → Polizeiprogramm Afrika.

„Better Migration Management“

Die GiZ ist Koordinatorin für ein besonders umstrittenes Projekt der europäischen Migrationspolitik: das „Better Migration Management“ am Horn von Afrika. Auftraggeber ist das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das 11 Millionen Euro gibt, weitere 70 Millionen kommen aus dem Nothilfe-Treuhandfond der Europäischen Union für Afrika (EUTF). Das auf Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan, Süd-Sudan und Uganda zielende Projekt wird vom British Council, CIVIPOL, der IOM und dem United Nations Office on Drugs and Crime umgesetzt und läuft von 2016 bis 2022. Das BMM umfasst vor allem die Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitskräften in elf afrikanischen Ländern, die Teil des „Khartum-Prozesses“ sind.

Kritik zog seit Beginn des Projekts die Kooperation mit dem bis dahin international geächteten Regime im Sudan – der Schlüsselstaat bei der Transitmigration vom Horn von Afrika nach Libyen – auf sich. Deutschland nahm dabei eine besondere Rolle ein: Die Bundespolizei und die sudanesische Polizei arbeiten zusammen. Im Oktober 2016 besuchte eine Delegation aus Khartum Berlin, die Reisekosten übernahm die Bundespolizei. Es wurde „eine Dokumenten- und Urkundenschulung durchgeführt“, teilt das BMZ mit, das Ziel: „technische wie logistische Unterstützung sowie Weiterbildungsmöglichkeiten“, berichtete der Spiegel. Das BMZ bestätigte demnach auch, dass die Bundespolizei und die sudanesische Grenzpolizei Informationen über Urkundendelikte austauschen. Offenbar ging es um die Eindämmung von Migration, denn Migrierende versuchen teils mit falschen Pässen den Sudan zu verlassen, weil sie selbst keine Dokumente bekommen. Auch für das GiZ-Projekt „Better Migration Management“ (BMM) wurden Grenzbeamt*innen geschult. Im März 2019 wurden die BMM-Projekte im Sudan allerdings aufgrund der politischen Situation vorläufig ausgesetzt. Die BMM-Pläne für das Regional Operational Centre Khartoum (ROCK), ein von der EU finanziertes Zentrum zum Austausch von Daten und zur Ausbildung von Sicherheitskräften aus neun afrikanischen Ländern in Khartum, wurden vorerst nicht weiterverfolgt.

Seit Jahren sind deutsche Polizisten an den UN-Missionen United Nations-African Union Hybrid Operation in Darfur (UNAMID) und United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan (UNITAMS) beteiligt. Für den Einsatz in UNAMID, einer gemischten, von der Afrikanischen Union und den UN gestellten Friedenstruppe für Darfur, reiste zuletzt im November 2020 ein deutscher Beamter aus und unterstützte den Leiter Polizeikomponente der Abwicklung der Mission. Mit der Mitte 2021 erfolgten Beendigung der Mission des hessischen Polizisten hat somit die Beteiligung Deutschlands an UNAMID geendet. Im Zeitraum von 2008 bis 2021 waren insgesamt 57 Polizistinnen und Polizisten in UNAMID eingesetzt. Darüber hinaus waren im Zeitraum 2005 bis 2007 insgesamt 9 Polizistinnen und Polizisten als Teil des EU Support Package für die durch die Afrikanische Union geführte Mission African Union Mission in Sudan (AMIS) tätig. Im November 2020 hat die Bundesregierung beschlossen, sich zukünftig mit bis zu 10 Polizistinnen und Polizisten an der United Nations Transitional Assistance Mission zu beteiligen.

Nicht eingestellt hat die GiZ den in Äthiopien geplanten Aufbau eines E-Immigration-Systems nach kenianischem Vorbild als Teil des BMM. Das System soll personenbezogene Daten von Flüchtlingen und Migrant*innen erfassen und speichern. Amnesty International hält dies für problematisch, wenn die gelieferte Software und die damit gesammelten Daten für die Überwachung und Ausspähung von Aktivist*innen im Land missbraucht werden kann.

„Return“

Eine zunehmend wichtige Säule des deutschen transnationalen Migrationsmanagements sind Maßnahmen zur „freiwilligen“ oder „geförderten“ Rückkehr sowie zur Erleichterung von Abschiebungen.

REAG/GARP

Statt abgelehnte Flüchtlinge oder andere Ausländer*innen direkt abzuschieben, versuchen die Ausländerbehörden diese in der Regel zur „freiwilligen Ausreise“ zu bewegen – was für die Behörden erheblich billiger ist als eine Abschiebung. In diesem Fall gibt es Zahlungen aus dem REAG/GARP-Projekt der Bundesregierung. Diese umfassen Flug- oder Busticket ins Herkunftsland, 200 Euro Reisegeld, medizinische Unterstützung von maximal 2.000 Euro für bis zu drei Monate nach Ankunft im Zielland sowie eine einmalige Förderung von 1.000 Euro pro Person, pro Familie maximal 3.500 Euro. Letztere soll eine Existenzgründung im Herkunftsland erleichtern. Auch wer gar nicht abgelehnt wurde, sondern seinen Asylantrag bewusst zurückzieht, kann die Förderung unter Umständen erhalten. 2019 reisten rund 13.000 Personen mit staatlicher Förderung „freiwillig“ aus. Dabei gehe es jedoch „weder um Hilfe noch um Freiwilligkeit“, schreibt der Rechtsanwalt Matthias Lehnert in einem Beitrag für das Portal „Rückkehr-Watch“. Es sei keine Hilfe, weil nicht die ernsthafte Unterstützung und Absicherung einer gewollten Remigration der Zweck sei, sondern die Erhöhung der Ausreisezahlen und die Entlastung der staatlichen Abschiebemaschinerie. Und es habe nichts mit Freiwilligkeit zu tun, wenn Menschen vor die Wahl gestellt werden, eine staatlich gestützte Rückkehr in Anspruch zu nehmen oder von einer gewaltvollen Abschiebung bedroht zu sein, so Lehnert.

„Perspektive Heimat“

Flankiert werden die Rückkehrhilfen vom „Perspektive Heimat“-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in den Herkunftsländern Afghanistan, Ägypten, Albanien, Gambia, Ghana, Irak, Kosovo, Marokko, Nigeria, Pakistan, Senegal, Serbien und Tunesien. Das Programm umfasst drei Säulen: Erstens sollen Migrationswilligen vor Ort „Alternativen zu irregulärer Migration aufgezeigt“ und „konkrete Jobangebote“ gemacht werden. Zweitens sollen Rückkehrer*innen aus Deutschland Jobangebot im Herkunftsland gemacht werden und diese „beim Wiedereinstieg begleitet“ werden. Drittens soll über „die Gefahren irregulärer Migration“ aufgeklärt und die „begrenzten Perspektiven irregulärer Migranten in Deutschland realistisch dargestellt werden“.

Seit 2016 baut das BMZ dafür „Migrationsberatungszentren“ in Herkunftsländern auf. Anders als der Name suggeriert, sollen sie vor allem Ansprechpartner*innen für Abgeschobene oder anderweitig Zurückgekehrte sein. Diese sollen dort über Möglichkeiten informiert werden, im Herkunftsland wieder Fuß zu fassen. Für die Umsetzung zuständig ist das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM), eine Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GiZ) und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV/BA). Im Auftrag des BMZ betreibt das CIM, jeweils in Kooperation mit den nationalen Arbeitsverwaltungen, die spezialisierten Beratungszentren. Eröffnet sind die Zentren im Kosovo (Pristina), Albanien (Tirana), Serbien (Belgrad), Tunesien (Tunis), Marokko (Casablanca), Ghana (Accra), Senegal (Dakar), Nigeria (Lagos), Irak (Erbil), Gambia (Banjul) und Afghanistan. Zentren in Pakistan und Ägypten sind in Planung (Stand Mai 2020).[9]

Formale Rücknahmeabkommen

Deutschland hat mit verschiedenen Ländern bilaterale Rückführungsabkommen geschlossen, die die Abschiebungen von Menschen erleichtern sollen. Dazu zählen Marokko (seit 01.06.1998), Algerien (seit 12.05.2006), Guinea, Syrien (seit 03.01.2009),[10] Albanien (seit 01.08.2003), Armenien (seit 01.01.2008), Bosnien und Herzegowina (seit 14.01.1997), Georgien (seit 01.01.2008), Hongkong (seit 17.02.2001), Kosovo (seit 01.09.2010), Mazedonien (01.05.2004), Schweiz (seit 01.02.1994), Serbien (seit 01.04.2003), Südkorea (seit 22.03.2005) sowie Vietnam (seit 21.09.1995).[11] 2018 schloss Deutschland ein Rückführungsabkommen mit Spanien und Mitte August 2018 mit Griechenland. Es ist allerdings strittig, ob solche Abkommen innerhalb der EU wirksam sind. Hintergrund war, dass Deutschland die innereuropäischen Dublin-Abschiebungen beschleunigen wollte.

Militär, Bundeswehr (Stand März 2021)

Die Bundeswehr ist an drei Auslandseinsätzen beteiligt, die im Kontext der „Schlepperbekämpfung“ von Bedeutung sind.

Mittelmeer – Libyen

Im Mai 2020 beschloss der Bundestag, bis zu 300 bewaffnete deutsche Soldat*innen für die neue europäische Militärmission „Irini“ im Mittelmeer bereit zu stellen. Sie werden als Stabspersonal sowie als Besatzung des Marinefliegers und Seefernaufklärers „P-3C Orion“ eingesetzt. Zu den Aufgaben gehört auch die Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache. Das Mandat soll zunächst bis zum 30. April 2021 gelten. Neben der Überwachung des Waffenembargos soll „Irini“ einen „Beitrag zur Störung des Geschäftsmodells des Menschenschmuggels und Menschenhandels durch das Sammeln von Informationen und deren Weitergabe an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten“ leisten, heißt es bei der Bundeswehr. Das Einsatzgebiet erstreckt sich auf die Hohe See außerhalb der Küstenmeere Libyens und Tunesiens, südlich Siziliens. Seenotrettung taucht in derMissionsbeschreibung der Bundeswehr nicht als Einsatzzweck auf.

Mittelmeer – Ägäis

Die NATO-Verteidigungsminister*innen haben auf Initiative Griechenlands, der Türkei und Deutschlands am 10. Februar 2016 beschlossen, in der Ägäis einen Beitrag zu den europäischen Maßnahmen gegen die „Schleuserkriminalität“ zu leisten. Seitdem beteiligt sich die NATO am Informationsaustausch zwischen der griechischen und der türkischen Küstenwache sowie der „Poseidon“-Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex in der Ägäis. Der Einsatz soll „das Vorgehen der nationalen Behörden gegen Schlepper und ihre Netzwerke optimieren“. Hierfür hat die NATO eine Einsatzgruppe („Standing NATO Maritime Group 2“) in die Ägäis entsandt. Derzeit besteht sie aus vier bis sieben Schiffen. Die Mitgliedsländer entsenden Schiffe für sechs bis zwölf Monate, die Führung rotiert zwischen den beteiligten Staaten. Die Bundeswehr beteiligt sich mit einem Kriegsschiff und der Verband 2021 wird von einem deutschen Kapitän geführt. Die Schiffe operieren sowohl auf hoher See als auch in den Hoheitsgewässern beider Staaten.

Die NGO Mare Liberum hat eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen die Bundeswehr an Pushbacks zumindest passiv beteiligt war. Am 15. August 2020 etwa war ein Schlauchboot mit ca. 32 Flüchtenden acht Stunden lang auf dem Meer von diversen Schiffen vor- und zurück gepusht worden, dann wurde es von der türkischen Küstenwache zurück in die Türkei gebracht. Anwesend waren drei Helikopter und neun Schiffe der griechischen und türkischen Küstenwache, der NATO und von Frontex. Darunter befand sich ein weiteres Mal die A1411 Berlin, der deutschen Marine, unter NATO-Kommando. Es sei „unklar, ob die Crew aktiv beteiligt war oder nur über Stunden zusah, während die Menschen im Schlauchboot sich in akuter Seenot befanden und alle anwesenden Autoritäten die Rettung verweigerten oder zumindest hinauszögerten“, so Mare Liberum. Die A1411 war damals Flaggschiff der Standing NATO Maritime Group 2. Dies bedeutet, dass Verbindungsoffiziere von sowohl der griechischen als auch der türkischen Küstenwache und Frontex immer an Bord sind. Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass das deutsche Schiff als Augenzeugin bei brutalen und illegalen Pushbacks anwesend war. Am 8. Juni 2020 blockierte Frontex so lange ein Boot mit Flüchtenden, bis die griechische Küstenwache eintraf. Diese zerstörte dann den Motor und drängte das Boot zurück in türkische Gewässer. Im Hintergrund eines Videos der ebenfalls anwesenden türkischen Küstenwache war gut erkennbar die A1411 Berlin zu sehen. Auch am 17. Juni 2020 war das Schiff bei einem Pushback von 67 Menschen, darunter 20 Frauen und 27 Kinder, vor Lesbos am Ort des Geschehens. Obwohl das Boot von der griechischen Küstenwache durch Zerstörung des Motors manövrierunfähig gemacht worden war und stundenlang hilflos in griechischen Gewässern trieb, während gleichzeitig Wasser ins Boot trat, griff die Besatzung der Berlin A1411 nicht ins Geschehen ein.

Sahel

Die Einsätze der Bundeswehr in Mali dienen offiziell nicht dem Kampf gegen Schlepper, sondern gegen Islamisten. Beide Zwecke vermischen sich jedoch in der Praxis. Angesichts anhaltender Angriffe islamistischer Milizen haben die Sahel-Staaten Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad die Eingreiftruppe G5 Sahel Joint Force (FC-G5S) gegründet – eine multinationale Truppe gegen Terrorismus, Drogen- und Menschenschmuggel im Sahel. Auch wenn dies nicht ihr Gründungszweck war, kommt derTruppe faktisch eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung irregulärer Migration zu. Die EU hatte zur Unterstützung der Truppe 2017 rund 100 Millionen Euro und 2019 weitere 139 Millionen Euro zugesagt. Unterstützt wird FC-G5S unter anderen von MINUSMA („Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der UN in Mali“), die der FC-G5S Unterstützung in den Bereichen Logistik, Verbrauchsgüter wie Nahrung, Wasser, Treibstoff und medizinische Versorgung zur Verfügung stellt. Deutschland beteiligt sich seit 2013 an MINUSMA, derzeit mit bis zu 1.100 Soldat*innen, die Waffen einsetzen dürfen. Die meisten sind in Camp Castor in Gao stationiert. Die Kosten über den Mandatszeitraum sollen bei rund 322,5 Millionen Euro liegen.[12] Parallel sind bis zu 450 Soldat*innen an der EU-Ausbildungsmission EUTM Mali beteiligt. EUTM bildet die G5 Sahel Joint Force Truppen aus. Beide Bundeswehreinsätze sind zunächst bis Mai 2021 befristet. Auch die Opération Barkhane, ein von Frankreich geführte Militäroperation zur Bekämpfung Terrorismus, die seit 2014 in der Sahelzone aktiv ist, unterstützt die G5.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit

Vor allem im Kontext der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 erdachte die Bundesregierung diverse Konzepte, um das Wirtschaftswachstum in Afrika zu fördern. So sollten dort Arbeitsplätze entstehen, die wiederum potentielle Migrant*innen von der Migration nach Europa abhalten sollen. Gleichzeitig soll Afrika als letzter verbleibender Kontinent mit starken Wirtschaftswachstumspotenzialen nicht länger Frankreich und China überlassen, sondern deutschen Unternehmen zugänglich gemacht werden.

„Marshallplan mit Afrika“

Zu diesen Initiativen gehört der „Marshallplan mit Afrika“ aus dem BMZ. Er soll dazu dienen, die „Agenda 2063“ der Afrikanischen Union zu unterstützen, damit Afrika bis 2063 „ein wohlhabender Kontinent mit den Mitteln und Ressourcen sein soll, seine eigene Entwicklung voranzutreiben“. Der Marshallplan wurden Anfang 2017 im Rahmen eines Online-Dialogs mit Wirtschaft, Wissenschaft, Kirchen, Gesellschaft und Politik zur Diskussion gestellt und bildet seither den „konzeptionellen Schirm und strategischen Rahmen“ für die Afrikapolitik des BMZ. Als Schwerpunkte definierte das BMZ drei Bereiche: Wirtschaft, Handel und Beschäftigung. Der Marshallplan an sich ist mit keinen eigenen Mitteln ausgestattet. Er zielt im Wesentlichen darauf ab, dass deutsche Unternehmen verstärkt in Afrika ausbilden und dadurch neue Jobs schaffen. Auch Rückkehrer*innen und abgelehnte Asylbewerber*innen aus Deutschland sollen bei den deutschen Firmen unterkommen. Am Vorabend des G20-Afrika-Partnerschaftsgipfels im Juni 2017 benannte das BMZ Ghana, Côte d‘Ivoire und Tunesien als erste, auserwählte „Reformpartnerländer“ – also diejenigen, die in Hinsicht auf Korruptionsbekämpfung und Rechtssicherheit den deutschen Anforderungen für direkte Investitionen entsprechen würden.

„Pro! Afrika“

In ganz ähnliche Richtung zielt das 2017 aufgelegte „Pro! Afrika“-Strategiepapier des Bundeswirtschaftsministeriums. Das hatte festgestellt, dass die deutsch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen zwar „gut, aber ausbaufähig“ seien. Tatsächlich lag das bilaterale Handelsvolumen mit Subsahara-Afrika 2015 gerade einmal bei 26 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr dem deutschen Handel mit der Slowakischen Republik. Das mit 100 Millionen Euro ausgestattete „Pro! Afrika“-Programm soll vor allem den Eintritt deutscher Unternehmen in die alternativen Energiemärkte Afrikas fördern, mehr Afrika-Reisen der deutschen Außenhandelskammer anbieten, neue Stellen in der Außenhandelskammer und in den deutschen Botschaften für Wirtschaftspartnerschaften schaffen. Duale Ausbildungsprogramme sollen afrikanische Jugendliche an deutschen Maschinen trainieren, um sie als Arbeitskräfte für deutsche Unternehmen fit zu machen. Selbst im afrikanischen Gesundheitssektor, der bislang im Rahmen der Entwicklungshilfe gefördert wurde, sollen afrikanische Mediziner*innen „an deutsche Produkte und Dienstleistungen herangeführt werden“.

Welche Rolle spielen (welche) NGOs?

Die meisten internationalen Hilfsorganisationen, die im Kontext der Instrumentalisierung von Entwicklungszusammenarbeit für das Migrationsmanagement eine Rolle spielen, haben ihren Sitz außerhalb Deutschlands, etwa in Großbritannien, der Schweiz, Frankreich oder Italien.

Die großen deutschen Entwicklungs-NGOs haben teils einen recht kritischen Blick auf diese Entwicklungen und haben sich schon sehr früh entsprechend geäußert. Zu nennen sind hierbei vor allem Brot für die Welt und medico international, das katholische Misereor sowie EIRENE und Focus Sahel sowie die deutsche Sektion von Ärzte ohne Grenzen. 2018 haben wichtige deutsche Entwicklungs-NGOs einen offenen Brief verfasst und die „sofortige Rückkehr zu den eigentlichen Zielen der Entwicklungszusammenarbeit“ gefordert.

Als deutsche Implementierungspartner bei der Umsetzung von Projekten des EU Trust Funds for Africa sind neben der GiZ (Teil 6) die Caritas Deutschland, (Summe nicht gelistet), das Deutsche Rote Kreuz (60 Millionen Euro), die Welthungerhilfe (18 Millionen Euro) sowie das evangelikale Kinderhilfswerk World Vision (Summe nicht genannt) gelistet.

Wirtschaftliche Interessen – Wer profitiert?

Ein Charakteristikum der Externalisierung ist die zunehmende Instrumentalisierung der Entwicklungszusammenarbeit für die Migrationskontrolle. Die steigenden Entwicklungsausgaben der Bundesregierung – 2010: 10,7 Mrd., 2018: 21,6 Mrd. – sind in diesem Zusammenhang zu sehen.

Zu den Gewinnern dieser Dynamik zählt eindeutig die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ). Sie ist am 1. Januar 2011 aus der Verschmelzung der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Internationalen Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (InWEnt) und dem Deutschen Entwicklungsdienst (DED) hervorgegangen.

Die GiZ ist als Unternehmen in Bonn und in Frankfurt am Main im Handelsregister als GmbH eingetragen und hat ihren Sitz sowohl in Bonn als auch in Eschborn. Die wichtigsten Auftraggeber der GiZ sind in erster Linie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie weitere Ministerien wie das Auswärtige Amt, das Bundesumweltministerium und das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Hinzu kommen Bundesländer, Kommunen und weitere öffentliche sowie private Auftraggeber*innen wie etwa Regierungen anderer Länder, die Europäische Kommission, die Vereinten Nationen und die Weltbank.

Die GiZ ist eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, die aufgrund ihres Gesellschafts-/Satzungszwecks als gemeinnützig anerkannt ist. Zwar ist es nicht das Ziel, einen möglichst großen finanziellen Gewinn zu erwirtschaften, überschüssige Gewinne werden wieder für Projekte der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen des Gesellschaftszwecks verwendet. Sehr wohl aber hat die GiZ ein Interesse an steigenden Umsätzen und verhält sich entsprechend wie ein Marktteilnehmer, der Dienstleistungen im EZ-Bereich anbietet. In diesem Sektor steigt die Nachfrage – vor allem was migrationsbezogene Projekte angeht. Entsprechend steigt auch der Jahresumsatz der GiZ: Um fast eine Milliarde Euro oder insgesamt rund 50 Prozent in den fünf Jahren ab der „Flüchtlingskrise“ 2015, während er in den fünf Jahren zuvor um lediglich um 18 Prozent gestiegen war:

Entwicklung des Umsatzes der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit

Jahr Geschäftsvolumen in Mio. Euro

2010 - - 1721

2011 - - 2031

2012 - - 2104

2013 - - 1931

2014 - - 2032

2015 - - 2142

2016 - - 2402

2017 - - 2588

2018 - - 2623

2019 - - 3025

„Umsatz“ ist in diesem Fall ein etwas irreführender Begriff. Denn wie beschrieben handelt es sich nicht um verkaufte Güter, sondern um die bezahlte Umsetzung staatlich ausgeschriebener Programme – nicht Marktmechanismen spielen hier eine Rolle, sondern allein politische Entscheidungen.

Dass Migration und die politisch gewünschte Bekämpfung der „Root Causes“ der Migration dabei eine wichtige Rolle spielen, schreibt die GiZ selbst. Im jüngsten Jahresbericht 2019 heißt es unter „Strategie“: „Die Ausrichtung der GiZ ist geprägt von den Trends und Entwicklungen im Umfeld des Unternehmens. Für die GiZ sind gegenwärtig insgesamt acht Haupttrends von zentraler Bedeutung, aus denen sich Chancen und Risiken für das Unternehmen ableiten lassen.“ Zum zweiten dieser acht Trends, direkt nach Kriegen und Konflikten und noch vor dem Klimawandel, heißt es: „Trend 2: Flucht und Migration beeinflussen die internationale Agenda. Menschen verlassen ihr Zuhause aus vielfältigen Gründen: Krieg, Naturkatastrophen, Klimawandel oder wirtschaftlichen Krisen. Insgesamt waren Ende 2018 weltweit rund 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele suchten Zuflucht in anderen Ländern, doch der weitaus größte Teil war innerhalb des eigenen Heimatlandes auf der Suche nach Schutz. Für die Auftraggeber der GiZ nimmt das Thema nach wie vor einen hohen Stellenwert ein.“[13] Das schlägt sich etwa in den Milliardenaufwendungen etwa für den EUTF nieder, auf dessen Implementation sich mit Erfolg vielfach die GiZ bewarb. So konnte sie fast 30 der EUTF-Projekte mit einem Gesamtvolumen von fast 778 Millionen Euro implementieren – knapp jeder fünfte bislang ausgegebene Euro des Mammut-Etats ging damit durch die Hände der GiZ.

Auch der private Sektor hat früh erkannt, dass mit der Grenzschutztechnologie künftig Kasse gemacht werden kann.

Der zweitwichtigste Europäische Rüstungskonzern (nach BAE Systems) Airbus SE ist zu einem Viertel in deutscher Hand. Airbus SE hat einen Geschäftsbereich „Security Solutions“ aufgebaut, um ein „weltweit führender Systemintegrator“, unter anderem für Grenzsicherung, zu werden. Die Tochtergesellschaft Airbus Defence and Space wiederum gründete 2016 eine weitere Tochtergesellschaft namens Airbus DS Electronics and Border Security (EBS). Diese stellt vor allem Sensoren und Radartechnik, etwa für die Grenzüberwachung, her. Schon im ersten Jahr machte das Unternehmen mit rund 4.000 Mitarbeiter*innen etwa eine Milliarde Euro Umsatz. Nur ein Jahr später ging aus EBS die in Taufkirchen nahe München ansässige Hensoldt AG hervor, an der auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist[14]. Noch im selben Jahr erhielt Hensoldt etwa den Auftrag des deutschen Verteidigungsministeriums für eine „Ertüchtigungsinitiative“ zur Grenzüberwachung in Tunesien. Hensoldt war auch einer der Konzerne, die an geheimen Treffen mit Frontex teilnahmen. Die Hensoldt AG machte 2019 einen Umsatz von 1,1 Milliarden[15] und einen bereinigten Gewinn von über 160 Millionen – eine Umsatzrendite von fast 15 Prozent. Hensoldt lag 2019 auf Platz 4 der größten deutschen Rüstungskonzerne.

Auch der zweitgrößte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall setzt vielfach auf das Grenzschutz-Business, wie die Informationsstelle Militarisierung und das Transnational Institute dokumentiert haben. Demnach gründete Rheinmetall in Algerien mit dem dortigen Verteidigungsministerium und einem Investmentfond aus den Vereinigten Arabischen Emiraten die „Rheinmetall Algerié“. Diese hat bis 2021 rund 1.000 Fuchs-Radpanzer montiert, die nach Angaben der Bundesregierung „unter anderem zur Bekämpfung von Terrorismus und zur Sicherung von Grenzen eingesetzt“ werden. Auch in Jordanien kommen demnach seit 2016 Panzer von Rheinmetall an den Grenzen zum Einsatz. Schon 2013 verkündete Rheinmetalls Unterdivision Electro-Optics Nachtsichtgeräte entwickelt zu haben, die „besonders gut zur Grenzkontrolle und für Sicherheitsoperationen geeignet“[16] seien.

Im Bereich Biometrie und Ausweisdokumente ist etwa das in Privatbesitz liegende Münchner Unternehmen Giesecke+Devrient zu nennen. Dieses hat mit der Bundesdruckerei zusammen 2015 das Joint Venture Veridos gegründet. Veridos mit Hauptsitz in Berlin ist für das internationale Geschäft im Bereich sichere Identifikationsprodukte und -lösungen für Regierungen, wie ID-Dokumente und Pass- und Grenzkontrollsysteme, zuständig. G+D hält 60 Prozent der Anteile von Veridos und ist damit Mehrheitseigentümer. Veridos erzielte 2018 einen Umsatz von 180 Millionen Euro. Veridos lieferte Produkte wie e-Passports oder Biometrie-Wahlkartenunter anderem an Uganda, Kamerun, Irak, Kosovo, Bangladesch, Bosnien oder Venezuela. Teils vermittelt die Bundesregierung die Geschäfte, teils bezuschusst sie diese auch. Migrationspolitischer Hintergrund ist dabei ein starkes europäisches Interesse an einer möglichst umfassenden biometrischen Erfassung der Bevölkerung von Herkunftsländern. Auch wenn zunächst nur die jeweilige Regierung Zugriff auf die biometrischen Daten hat, ermöglicht deren Existenz mittelfristig jedoch eine erheblich vereinfachte Identitätsklärung per Biometrie-Datenabgleich, etwa wenn Menschen ohne Pass in der EU ankommen.

Schließlich profitieren Herkunftsstaaten von den gesteigerten Zuwendungen im Kontext von „Migrationspartnerschaften“ und ähnlichen Programmen. Hier sind sicherlich Niger, Sudan, Ägypten, Tunesien, Libyen, Griechenland und die Türkei zu nennen, ebenso erhalten osteuropäische Staaten wie Bosnien und Kosovo erhebliche Hilfen aus Deutschland, die politisch im Zusammenhang mit Migrationsmanagement stehen.

Wer verliert?

Zu den Verlierer*innen der von Deutschland betriebenen Migrationspolitik zählen folgende Gruppen

Welchen Widerstand gibt es?

In Deutschland gibt es eine überaus aktive Zivilgesellschaft, die die Themenbereiche Flucht/Asyl, Abschottung, globale Bewegungsfreiheit, Migrant*innenrechte und gerechte Entwicklung aufeinander beziehen und zum Gegenstand politischer Kämpfe und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen machen. Eine vollständige Übersicht ist unmöglich, im Folgenden seien lediglich einige besonders wichtige Akteur*innen vorgestellt. Eine gute aktuelle Übersicht zu aktuellen Aktionen bietet stets der Antira-Kompass.

Zu wichtigen Akteur*innen in Deutschland zählen etwa private Seenotrettungs-NGOs, die ab 2015 gegründet wurden und von Beginn ihrer Arbeit an die praktische Arbeit im Mittelmeer mit politischer Lobbyarbeit für sichere Fluchtrouten verbunden haben. „Die zivile Seenotrettung durch Organisationen wie Sea-Watch rettet Menschenleben, ist aber nur eine kurzfristige Symptombekämpfung angesichts eines grundsätzlichen europäischen Problems – der Abschottung Europas. Mit unserer Aktion setzen wir uns für die Schaffung von legalen und sicheren Fluchtwegen ein“, heißt es dazu etwa bei Sea Watch, der ersten deutschen zivilen Rettungsorganisation im Mittelmeer. Nach deren Gründung 2015 kamen die Seenotrettungs-NGOs Sea Eye, Mission Lifeline, Jugend Rettet, SOS Mediterannee und der Verein Mare Liberum hinzu.

Einer ihrer politischen Vorläufer war die seit 2012 auch von deutschen Aktivist*innen getragene Initiative Boats4People, die im Kontext des Arabischen Frühlings eine transnationale Organisierung für Bewegungsfreiheit in Europa und Nordafrika anstrebte.

Boats4People wiederum hat Wurzeln im antirassistischen Netzwerk Welcome2Europe, das 2009 gegründet wurde und bis heute existiert. Auch W2EU ist ursprünglich ein Projekt antirassistischer Gruppen aus Deutschland, aber vor allem in Griechenland, Italien und Spanien aktiv, etwa bei der Bereitstellung von Informationen für Ankommende durch eigene mehrsprachige Info-Guides für Italien, Spanien und Griechenland.

Aus dem Kontext des Projekts Boats4People wiederum entstand ab 2013 die Initiative Watch the Med (etwa: „Augen auf's Mittelmeer“), die die Situation von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer verfolgen wollte. Daraus wiederum entstand 2014 das Alarm Phone, das sich für die Seenotrettung von Flüchtlingen einsetzt.

Aus dem Umfeld von Welcome2Europe entsprang 2011 auch das Netzwerk Afrique-Europe-Interact (AEI), welches die Themen globale Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung zu verknüpfen versucht. In dem Netzwerk sind antirassistische und entwicklungspolitische Gruppen aus Deutschland und den Niederlanden mit Aktivist*innen und Gruppen aus Mali, Marokko, Niger, Burkina Faso und Togo ein Bündnis eingegangen. AEI arbeitet seit ca. 2018 mit Nachdruck am Aufbau eines Notrufsystems für Flüchtlinge und Migrant*innen in der Sahara – dem Alarme Phone Sahara.

Im Sommer 2018 kamen in Wien die FPÖ und in Rom die Lega an die Macht – extrem rechte Parteien, deren Politik vor allem auf Angriffe auf Migrant*innen zielte. Sie gesellten sich zur politischen Linie des rechten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbáns. Weil auch die deutsche CSU, die den Innenminister Horst Seehofer stellt, auf diese Rhetorik einstieg und in dieser Zeit den Schulterschluss vor allem mit Österreich suchte, entstand ein informelles politisches Bündnis von Rom über Wien, Budapest und Berlin, die für neue Härte, vor allem an den EU-Außengrenzen stand. Seehofer bezeichnete Migration als die „Mutter aller Probleme“ und Italiens Justiz überzog die Seenotretter*innen mit Klagen. Die deutsche CSU und CDU bezogen sich positiv auf diesen Kurs. Das blieb nicht ohne Widerspruch.

In hunderten Städten entstanden im Sommer 2018 Gruppen der Seebrücke-Kampagne. Sie forderten lokale Entscheidungsträger*innen dazu auf, Aufnahmekontingente für Flüchtlinge anzubieten. Immer mehr Städte schlossen sich dem „Solidarity Cities“-Netzwerk[18] an. Der Impuls, Kontingente anzubieten, während das Bundesinnenministerium auf die Bremse drückte, wurde von diesen Kommunen in einige Landesregierungen hineingetragen. Einige Bundesländern fordern seitdem das Recht, Aufnahmeprogramme auch ohne Zustimmung der Bundesregierung umsetzen zu dürfen. Für die nationalen Regierungen sind solche Ideen ein Affront. Die Kontrolle über die Einwanderung wird als Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität gedacht – und ist ein wichtiges Instrument, um rechte Wählergruppen zu befrieden.

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Seebrücke Demonstration in Berlin am 25.07.2020. Photo Credit: Leonhard Lenz, CC0, via Wikimedia Commons

Bislang ist es in Deutschland rechtlich nicht möglich, dass die Bundesländer und die Kommunen eigenständig über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheiden. Jede Aufnahme muss von der Bundesregierung genehmigt werden. 2019 hat die Stadt Potsdam mit der Gründung des Bündnisses Städte Sicherer Häfen eine bundesweite Vorreiterrolle in diesem Kontext übernommen. Dem Netzwerk haben sich bis März 2021 insgesamt 236 Städte angeschlossen. Das Netzwerk formuliert derzeit einen konkreten Reformvorschlag für eine Änderung des § 23.1 des Aufenthaltsgesetzes, damit die Kommunen leichter eigenverantwortlich entscheiden können. Seit Oktober 2021 sind fünf der deutschen Städte mit ihrer lokalen Aufnahme Politik auf der Webseite Moving Cities Mapvorgestellt.

Das Sterben an den Außengrenzen und die Kriminalisierung der humanitären Hilfe beobachtet seit 2005 das Projekt Borderline Europe sowie die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration.

Die Gewalt an den Außengrenzen dokumentiert seit 2011 das in München gegründete Projekt Bordermonitoring.eu, mittlerweile in enger Zusammenarbeit mit dem Projekt Border Violence Monitoring Network, das aktivistisch vor allem die Gewalt durch Milizen und Grenzpolizeien v.a. auf dem Balkan dokumentiert.

Zwei wichtige Selbstorganisationen von Geflüchteten, die sich seit den 1990er Jahren mit den Verbindungen von Flucht, Abschottung und Neokolonialismus befassen, sind die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen sowie das The Voice Refugee Forum. Aktivist*innen aus deren Umfeld bauten später unter anderem die lokalen Gruppen Bremen Solidarity Center und Refugees4Refugees (Baden-Württemberg) auf.

Praktische Hilfe für Papierlose und politische Arbeit zur Gesundheitsversorgung für Illegalisierte leisten die bundesweiten Medibüros.

Zwischen praktischem antirassistischem Widerstand und flüchtlingspolitischer Lobbyarbeit sind die Flüchtlingsräte angesiedelt, die es in jedem Bundesland sowie einer Reihe größerer Städte gibt. Ihre bundesweite Dachorganisation ist die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl.

Zum Thema Antirassismus arbeitet seit ca. 2008 auch das Netzwerk Interventionistische Linke, die größte Sammlungsbewegung der radikalen, „postautonomen“ Linken in Deutschland.

Seit 2020 betreibt ein Zusammenschluss antirassistischer Initiativen mit der Webseite Migration Control eine Übersicht der Abschottungsmaßnahmen der EU und ihrer Mitgliedsländer.

Migrationsstatistik

Nachdem die Zuwanderung 2015 insbesondere aufgrund des hohen Zuzugs von Asylsuchenden mit rund 2,1 Millionen Zuzügen und einer Nettomigration von 1,1 Millionen Personen einen neuen Höchststand erreichte, ging die Gesamtmigration nach Deutschland in den vier Folgejahren wieder zurück. 2019 wurden rund 1,6 Millionen Zuzüge und 1,2 Millionen Fortzüge erfasst. Entsprechend wurde ein Wanderungssaldo von +327.060 verzeichnet.

EU

Das Gros des Migrationsgeschehens entfällt auf Zuwanderung aus bzw. Abwanderung in andere europäische Staaten. 2019 kamen 66,4 Prozent aller zugewanderten Personen aus einem anderen europäischen Land, davon 51,1 Prozent aus Staaten der EU und 15,3 Prozent aus sonstigen europäischen Staaten. Auch bei den Fortzügen war Europa die Hauptzielregion. Etwa zwei Drittel aller abwandernden Personen zogen im Jahr 2019 aus Deutschland in ein anderes europäisches Land. Rumänien stellte, wie bereits im Vorjahr, das Hauptherkunftsland von Zugewanderten (14,8 Prozent aller Zuzüge), gefolgt von Polen (8,4 Prozent) und Bulgarien (5,3 Prozent).

Flüchtlinge

Die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge ist in den vergangenen Jahren durch die bereits beschriebenen Maßnahmen immer weiter gesunken. 2020 stellten rund 102.000 Menschen einen ersten Asylantrag. Bei 26.520 von ihnen handelt es sich jedoch um Anträge für in Deutschland geborene Kinder, die nach der Ankunft der Eltern zur Welt kamen. Über Resettlement, also die „Umsiedlung“ von Geflüchteten, und Humanitäre Aufnahmen kamen im Jahr 2020 insgesamt 1.685 Menschen nach Deutschland. Über den Weg des Familiennachzugs zu bereits in Deutschland lebenden anerkannten Flüchtlingen kamen aus den sieben Haupt-Herkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Iran, Irak, Syrien, Somalia und Jemen weitere 12.986.

Im selben Zeitraum gab es rund 13.680 Abschiebungen – darunter 2.953 Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich auch die Zahl der Abschiebungen mehr als halbiert.

2020 haben etwa 5.700 teils ausreisepflichtige Personen Deutschland mit einer finanziellen Förderung (REAG/GARP) „freiwillig“ verlassen. Weitere rund 3.800 Menschen reisten „freiwillig“ ohne Förderung aus. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der geförderten Ausreisen mehr als halbiert. Das liegt in erster Linie an den Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie. Mitte 2020 galten in Deutschland etwa 202.000 Menschen als „vollziehbar ausreisepflichtig“.Viele können aber nicht abgeschoben werden, etwa wegen Krankheit, fehlender Papiere, ungeklärter Identität oder Krisen in den Herkunftsregionen.

Netto – ohne die in Deutschland geborenen Kinder – nahm die Bundesrepublik im Jahr 2020 also insgesamt etwa 67.000 Menschen als Flüchtlinge vorerst neu auf. Das ist nur etwa ein Drittel der sogenannten „atmenden Obergrenze“ von 180.000 bis 220.000 pro Jahr. Auf diesen Wert für die Netto-Neuaufnahme hatten sich CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag von 2018 geeinigt, obwohl das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, keine Obergrenze für den Flüchtlingsschutz vorsieht.

Arbeitsmigration

2019 sind rund 64.000 Menschen, die einen Aufenthaltstitel für eine Erwerbstätigkeit erhielten, von außerhalb der EU nach Deutschland eingereist. Rund zwei Drittel von ihnen kamen für eine sogenannte qualifizierte oder hochqualifizierte Tätigkeit, sie hatten also eine abgeschlossene berufliche oder akademische Ausbildung. Hauptherkunftsländer von Erwerbsmigrant*innen sind die Westbalkanstaaten (Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien und Albanien), die USA, die Türkei und Indien.

Bildung

Die Zahl der Ausländer*innen, die ihr Studium in Deutschland neu aufgenommen haben, lag 2019 bei rund 111.000. Insgesamt waren rund 410.000 Ausländer*innen an deutschen Universitäten immatrikuliert.

Footnotes

  1. Deutscher Arbeitgebertag 2015: Rede von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, 24.11.2015.

  2. Migrationsbericht BMI 2018.

  3. Migrationsbericht BMI 2018.

  4. Drucksache 18/13688.

  5. Bundestagsdrucksache Nr. 19-2159.

  6. Veridos Supplies Innovative Border Control Solution to the King-dom of Morocco, Veridos-Pressemitteilung, Berlin, 21. März 2016, http://bit.ly/2vkzWaU.

  7. Bundestag, Drucksache 18/11307.

  8. GiZ Jahresbericht 2019, https://www.giz.de/de/mediathek/412.html.

  9. BT-Drucksache 19/10485.

  10. BT-Drucksache 19/4165.

  11. https://www.migrationsrecht.net/nachrichten-auslaenderrecht-europa-und-eu/1843-rueckuebernahmeabkommen-eu-assoziierungsabkommen.html.

  12. MINUSMA 2020 - Zentrum für Internationale Friedenseinsätze.

  13. GiZ Jahresbericht 2019, https://www.giz.de/de/mediathek/412.html.

  14. Hensoldt AG Konzernlagebericht 2019.

  15. Hensoldt AG Konzernlagebericht 2019.

  16. Rheinmetall: Optimum effectiveness and comprehensive protection, Pressemitteilung, rheinmetall-defence.com, 10.4.2012.

  17. https://www.unhcr.org/protection/operations/5f2129fb4/journey-cares-live-die-abuse-protection-justice-along-routes-east-west.html sowie https://www.borderviolence.eu/.

  18. https://solidaritycities.eu/ sowie https://solidarity-city.eu/de/.

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