Dschibuti

Veröffentlicht Mai 20th, 2020 - von: Simone Schlindwein

Klein, aber strategisch wichtig

Das Land am Horn von Afrika ist traditionell ein Korridor zwischen Afrika und Asien. Heute ist es der wichtigste Militärstützpunkt des Kontinents – auch für Europa.

Dschibuti ist eines der kleinsten Länder Afrikas. Am äußersten Zipfel des Horns von Afrika gelegen ist seine strategische Bedeutung umso größer. Mit seinem gewaltigen Hafen, gelegen am Golf von Aden, gilt es als Transitland par excellence. Hier migrieren schon seit Jahrtausenden Menschen zwischen dem afrikanischen Kontinent über die Meeresenge auf die arabische Halbinsel und weiter nach Asien.

Laut Angaben der örtlichen Polizei erreichen täglich rund 300 afrikanische Migrant*innen Dschibutis Grenze, die meisten davon Äthiopier*innen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) beziffert die Zahl mit rund 20.000 im Monat und zählte zu Beginn 2019 rund 17.000 Migrant*innen in Dschibuti – für sie ist der Zipfel am Horn jedoch in der Regel ein Transitkorridor.

Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Migrationsstrom im Zuge des Bürgerkriegs in Jemen, der 2015 offen ausgebrochen ist, versiegte. Doch nach Angaben des regionalen Think Tanks Regional Mixed Migration Secretariat (RMMS), das gezielt für das Horn von Afrika Migrationsdaten erhebt und Quellen analysiert, war 2016 ein Rekordjahr für die Migration über den Golf von Aden: Mehr als 120.000 Menschen erreichten die jemenitische Küste. 85 Prozent der Ankommenden sind Äthiopier*innen. 98 Prozent von ihnen gehören der Ethnie der Oromo am, die übrigen sind Eritreer*innen und Somali, so RMMS-Migrationsspezialist Bram Frouws. Im Jahr 2018 schifften insgesamt 99.000 Afrikaner*innen nach Jemen ein. 2019 waren es bereits im Mai rund 75.000. Die Zahlen steigen jährlich an – trotz der Kriegswirren. Zum Vergleich: 2013 waren es nur 65.000.

Jüngste Schätzungen besagen, dass 2018 rund 3.000 Migrant*innen bei der Überfahrt gen Jemen ertrunken sind. Der Krieg in Jemen macht das Anlanden an der dortigen Küste zusätzlich riskant: Im Januar 2019 eröffneten Milizionäre vom Ufer aus das Feuer auf ein Boot mit Migrant*innen und töteten 30 Menschen, 2017 wurde ein Boot von einem Hubschrauber aus beschossen, 130 Menschen starben.

Auch Jemen ist für Migrierende nur ein Transitland: Sie suchen meist Arbeit in den reichen Ölstaaten Arabiens. Es wird geschätzt, dass ein Großteil der Arbeitsmigrant*innen Opfer von Menschenhändlern sind, die gezielt billige Arbeitskräfte für die Golfstaaten anheuern. Berichte von brutalen Misshandlungen der afrikanischen Arbeitsmigrant*innen auf Baustellen in Saudi Arabien oder von afrikanischen Kindermädchen sind durch internationale Menschenrechtsorganisationen bekannt geworden.

Ein Grund für die ungebremste Migrationsbewegung ist laut Frouws die im Krieg meist ungesicherte Küste. „Es ist nicht einfach zu erklären, warum die Zahlen steigen. Wir haben bislang definitiv keinen Rückgang im Zuge des Krieges beobachtet“, so Frouws. Lediglich im November 2016 rettete im Zuge einer freiwilligen Rückkehrinitiative die Internationale Organisation für Migration (IOM) über 600 Migrant*innen aus den Kriegswirren und brachte sie zurück nach Dschibuti. IOM hat in Obock ein Transitzentrum eingerichtet für diejenigen Migrant*innen, die lieber in ihre Heimat zurückkehren wollen anstatt die Überfahrt nach Jemen zu riskieren. UNHCR und IOM helfen bei der Rückreise, doch das Transitzentrum hat nur Kapazitäten für 250 Menschen.

Migrationsbewegungen aus und nach Dschibuti 

Seitdem Jemen im Bürgerkrieg versinkt, fliehen aber umgekehrt auch Menschen aus Jemen über das Meer vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Dschibuti. Laut UNHCR sind mehr als 40.000 Jemenit*innen seit 2015 nach Dschibuti geflohen, sie stellen mittlerweile die größte ankommende Gruppe dar. Laut UNHCR wurden 15.000 in den vergangenen Jahren weiter in den USA angesiedelt, 160 Somali sind freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt, so UNHCR.

Im Vergleich: Die Einwohner*innenzahl von Dschibuti beträgt gerade einmal 900.000, nach Weltbankdaten von 2013 leben nur rund 15.000 Menschen aus Dschibuti außerhalb ihres Landes, die meisten in Frankreich, der ehemaligen Kolonialmacht, andere befinden sich in Äthiopien und ein kleiner Teil in Algerien und Kanada. In den Migrationsstatistiken übers Mittelmeer gen Europa tauchen Migrant*innen aus Dschibuti in den vergangenen Jahren kaum auf: Gerade einmal 305 Asylbewerber*innen aus Dschibuti wurden 2015 EU-weit registriert. Die Hälfte wurde abgelehnt und abgeschoben.

Im Jahr 2018 bot der Mini-Staat rund 29.000 Flüchtlingen offiziellen Schutz, so die Angaben von UNHCR und der für Flüchtlinge zuständigen nationalen Behörde ONARS. Davon haben rund 10.000 Asyl beantragt, 21.000 leben in Flüchtlingslagern, die Größten  ̶  Ali-Adeh und Holl Holl  ̶  stehen nahe der somalischen Grenze im Süden des Landes. Somalier*innen und Jemenit*innen bekommen derzeit in Dschibuti automatisch Asyl. Anträge von Äthiopier*innen, Eritreer*innen und anderen werden individuell geprüft. Die meisten Arbeitsmigrant*innen auf Durchreise kommen meist in den Ballungszentren entlang der Küste unter, in den Hafenstädten Obok oder Dschibuti-Stadt. Auch viele Jemenit*innen leben dort. Sie wollen sich nicht in den Lagern als Flüchtlinge registrieren, sondern lassen sich in den Städten auf eigene Kosten nieder.

In Dschibuti ist 2017 ein neues Flüchtlingsgesetz in Kraft getreten, das sich an die von den Vereinten Nationen entwickelte Flüchtlings-Rahmenvereinbarungen anlehnt und die Integration der Flüchtlinge in Gesundheit- und Bildungssysteme vorsieht.

Dschibutis Küstenwache rettete in der Vergangenheit zunehmend mehr Menschen aus Seenot. Im Januar 2019 sanken jedoch erneut zwei Boote voller Migrant*innen vor der Küste, über 50 Menschen starben, so IOM, die sich in Dschibuti stark engagiert und die Küstenwache ausgebildet hat – vor allem im Umgang mit Migrant*innen. Im Oktober 2016 wurde feierlich die erste Zugverbindung für Personen- und Güterverkehr zwischen Äthiopien und Dschibuti eröffnet, die das Binnenland Äthiopien mit dem Küstenhafen in Dschibuti verbindet, wo sämtliche In- und Exporte umgeschlagen werden. Auch für Migration wird diese 12-stündige Zugverbindung in Zukunft eine Rolle spielen.

Militär und Handel

So klein Dschibuti auch ist – es ist eine wichtige Militärbasis für Streitkräfte aus aller Welt auf dem afrikanischen Kontinent: Das US-Kommando für Afrika (AFRICOM) betreibt dort die einzige Militärbasis auf dem Kontinent. Frankreich ist mit 1.500 Soldat*innen vor Ort, ebenso Japan, China, Italien und Deutschland. Start- und Landevorgänge sind auf dem geschäftigen Militärflughafen am Horn strikt getaktet. Die USA fliegen von dort aus einen Großteil ihrer Drohneneinsätze und unterhalten Verhörzentralen im Kampf gegen den Terror.

Durch den Golf von Aden verläuft die Haupthandelsroute zwischen Europa, der Arabischen Halbinsel und Asien – gleichzeitig gehört sie zu den weltweit am stärksten von Piraterie gefährdeten Seewegen. Mehr als 20.000 Frachttanker passieren jährlich den Golf. Sie befördern etwa 95 Prozent des Handelsvolumens zwischen Afrika, Asien und Europa. Nachdem Piraten aus Somalia diese Schiffe als Kapitalausbeute entdeckten, kam es immer wieder zu Entführungen und Lösegelderpressungen.

Dagegen wurde 2008 die EU-Mission Operation Atalanta als erster maritimer Einsatzverband der Europäischen Union (EU) gestartet. Die europäischen Schiffe und Flugzeuge schützen seitdem die Transporte des Welternährungsprogramms (WFP), die Lebensmittellieferungen für Flüchtlinge und Vertriebene nach Somalia liefern. Auch die Waffentransporte der Friedensmission der Afrikanischen Union (AU) in Somalia (AMISOM) mussten vor Piraterie gesichert werden. Seit 2015 gab es keinen Piratenüberfall mehr im Golf.

„Die EU-Mitgliedsstaaten haben 2015 auch auf Anregung der Bundesregierung eine umfassende strategische Überprüfung der EU-Missionen unternommen“, erklärt die Bundeswehr 2016 auf die Anfrage, wie es in Zukunft mit Atalanta weitergehe. Der Europäische Auswärtige Dienst habe den Mitgliedsstaaten seinen Bericht vorgelegt. In den anschließenden Beratungen einigte man sich darauf, die Kräfte am Horn von Afrika an die saisonal witterungsbedingten Schwankungen (Sommer- und Wintermonsun) der Piraterie-Bedrohung „anzupassen“. Für die Deutsche Marine bedeute dies, dass im Anschluss an die Fregatte „Bayern“ und den Betriebsstofftransporter „Spessart“ kein weiteres Schiff am Horn von Afrika eingesetzt wird. „Damit tragen wir auch dem gestiegenen Bedarf an maritimen Fähigkeiten für andere Einsätze (EUNAVFOR MED) oder einsatzgleiche Verpflichtungen (NATO-Unterstützung in der Ägäis) Rechnung“, erklärt die Bundeswehr. Der Bundestag hat zuletzt am 9. Mai 2019 die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an Atalanta bis zum 31. Mai 2020 bei einer Mandatsobergrenze von 400 Soldat*innen beschlossen.

Koordination der Migrationspolitik

Aufgrund der internationalen Militärpräsenz gilt Dschibuti in Afrika als wichtiger Treffpunkt von Geheimdienstler*innen. 2015 wurde eine Institution aus der Taufe gehoben: die Jährlicher Konferenz der Chefs aller Geheimdienste Afrikas, HISS. Im Zuge der Partnerschaft zwischen der EU-Agentur Frontex und afrikanischen Geheimdiensten ist von der Etablierung eines afrikanischen Hauptquartiers die Rede, auch hier ist Dschibuti als Standort im Gespräch.

Dschibuti ist daneben auch als Hauptquartier afrikanischer Organisationen wichtig: Es ist Hauptsitz der Intergovernmental Authority on Development (IGAD), in welchem die Staaten im Horn von Afrika wie Somalia und Äthiopien aber auch Kenia und Uganda vertreten sind. Der Verbund wurde in den 1980er Jahren gegründet, um den Konflikten und Migrationsbewegungen im Zuge der Dürre im Horn von Afrika zu begegnen. Bis heute ist IGAD engagiert in den Friedensverhandlungen in Südsudan und Somalia.

In Dschibuti wurde 2011 auch das regionale Sekretariat für „Mixed Migration“ (Regional Mixed Migration Secretariat, RMMS), das als Recherche-und Koordinierungsstelle für die starken regionalen Migrationsbewegungen etabliert wurde und bis heute von deutschen und europäischen Geber*innen finanziert wird, gegründet. Im November 2016 hielt IGAD in Ugandas Hauptstadt Kampala einen „Dialog für Migrationspolitik“ ab, bei welchem sich die Mitgliedsstaaten auf einer raschere Implementierung des sogenannten „Migration-Aktionsplans“ geeinigt hatten. Auch das „Regionalkomitee für Mixed Migration“ trifft sich regelmäßig in Dschibuti, um die Zusammenarbeit der Länderregierungen in Sachen Migration zu koordinieren: Beim Jahrestreffen 2015 standen die Bekämpfung von Menschenhandel und die Internierung von Migrant*innen im Fokus. Die Staaten bemühen sich um grenzübergreifende Maßnahmen zur Schleuserbekämpfung. Die Gipfel werden von der EU finanziert.

Zusammenarbeit mit NGOs und internationalen Organisationen

Für die EU ist IGAD die entscheidende Partnerorganisation im Horn von Afrika, besonders in ihren vom EU-Afrika-Nothilfe-Treuhandfond finanzierten Projekten im Bereich Wasser- und Ernährungssicherheit. Aus dem EU-Entwicklungsfond EDF investiert die EU 105 Millionen Euro in das Land für den Zeitraum 2014 bis 2020, um die Regierung darin zu unterstützen, ihren nationalen Plan „Vision 2035“ voranzutreiben, der Dschibuti zu einem Mittelstandsland voranbringen soll.

Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat im Rahmen des Better Migration Management Projektes der EU (BMM) in Dschibuti über 40 zivilgesellschaftliche NGOs trainiert. Es wird in enger Abstimmung mit der Kommission der AU und IGAD koordiniert. Zentrale Aspekte sind der Schutz und die Unterstützung von Migrant*innen, besonders von Frauen und Minderjährigen, die auf den langen Migrationsrouten oft Opfer von gewaltsamen Übergriffen und Vergewaltigungen werden. Der Aufbau von migrationspolitischem, juristischem und polizeilichem Know-How im Rahmen des BMM soll Menschenhandel und -schmuggel in der Region eindämmen. Mit den Mitteln von BMM wurde ein elektronisches Visasystem eingeführt und eine entsprechende Software am Internationalen Flughafen von Dschibuti installiert. Im April 2019 wurde eine Onlineplattform gestartet, über welche Ausländer*innen und Tourist*innen E-Visa beantragen können. Mit Unterstützung durch BMM ist im Mai 2019 der erste Postgraduierten-Diplomkurs Migration in der Region gestartet. Der Kurs zielt darauf ab, wichtige Akteur*innen in den IGAD-Mitgliedsländern zu Expert*innen für Migration und Grenzmanagement zu machen.

Mit Hilfe internationaler Geber*innen, darunter die Bundesregierung, gelang es 2019, das zweitgrößte Flüchtlingslager Holl Holl zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie auszustatten. Kostenloser Strom aus Solarenergie soll den Flüchtlingen helfen, Kleingewerbe zu gründen, Telefone aufzuladen und zu kochen. Bislang wurde das Lager aus Dieselgeneratoren mit Strom versorgt.

Dschibuti ist eines von 26 Projektländern der EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration, durch welche seit 2016 freiwillige Rückkehrer*innen mit Geldern aus dem EU Trust Fond für Afrika unterstützt werden.

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