Elfenbeinküste

Veröffentlicht März 3rd, 2020 - von: Katrin Gänsler

Die Jugend macht Druck

Basisdaten

Die ehemalige französische Kolonie wurde 1960 unabhängig und zählt 25 Millionen Einwohner*innen. Die Hauptstadt ist Yamoussoukro, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum jedoch Abidjan. Die Elfenbeinküste hat Grenzen zu Liberia, Guinea, Mali, Burkina Faso und Ghana. Weitere große Städte sind San Pedro, Korhogo und Bouaké. Die Akan bilden die größte ethnische Gruppe. Etwa 42 Prozent der Einwohner*innen bekennen sich zum Islam, der Rest zum Christentum sowie zu Naturreligionen. Neben der Amtssprache Französisch werden 86 weitere Sprachen gesprochen. Die Alphabetisierungsrate liegt bei 57 Prozent.

Regierung und Wirtschaft

Erster Präsident war Félix Houphouët-Boigny, der die Elfenbeinküste von 1960 bis zu seinem Tod 1993 regierte. In den Folgejahren wurde das Land immer instabiler bis im September 2002 mit dem Aufstand der Armee ein knapp fünf Jahre dauernder Bürgerkrieg begann. 2007 wurde in Ouagadougou ein Friedensabkommen unterzeichnet. Nur gut dreieinhalb Jahre später kam es nach den Präsidentschaftswahlen 2010 erneut zu einer schweren Regierungskrise, bei der zwischen 1.200 und 3.000 Menschen starben. Nach der Stichwahl beanspruchten sowohl Amtsinhaber Laurent Gbagbo als auch Alassane Ouattara das Präsidentenamt für sich. Letzterer wurde von der internationalen Gemeinschaft als Sieger angesehen. Nach Kämpfen wurde Gbagbo verhaftet, vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag angeklagt, jedoch im Januar 2019 wieder freigelassen. Bis heute sind in der Elfenbeinküste zahlreiche Personen politisch aktiv, die bereits während des Bürgerkriegs sowie 2010/2011 führende Positionen innehatten. Ouattara wurde 2015 wiedergewählt. Die Opposition boykottierte die Wahl. Reporter ohne Grenzen listet das Land im Index der Pressefreiheit auf Platz 71 von 180 und kritisiert unter anderem, dass Journalist*innen willkürlich verhaftet und vom Geheimdienst festgehalten werden.

Die Elfenbeinküste ist Kakaoanbauer Nummer eins und trägt mit 1,4 Millionen Tonnen jährlich zu knapp 30 Prozent des weltweiten Anbaus bei. Zwar nimmt die Verarbeitung im Land zu, dennoch bleiben die Bohnen Exportgut. Insgesamt macht die Landwirtschaft 20,1 Prozent des BIPs aus, die Industrie 26,6 Prozent und Dienstleistungen 53,3 Prozent. In den vergangenen Jahren galt das Land in zahlreichen afrikanischen Vergleichen als Top-Aufsteiger, etwa bei der Mo-Ibrahim-Foundation. Das Bruttoinlandsprodukt stieg 2018 um 7,4 Prozent und lag bei 43 Milliarden US-Dollar. Die Rücküberweisungen von Migrant*innen lagen 2018 bei 363 Millionen US-Dollar und machten 0,8 Prozent der BIP aus. Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen belegt die Elfenbeinküste Platz 170 (188). Transparency International listet das Land auf Platz 105 von 180 im Korruptionsindex.

Trotz aktuell guter wirtschaftlicher Prognosen ist eine erneute Krise im Land nicht ausgeschlossen, besonders während der nächsten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2020. Bereits seit 2018 sind die Wahlen Dauerthema und die politischen Lager extrem verfeindet. Schon im Wahlkampf 2015 galt außerdem die hohe Jugendarbeitslosigkeit als mögliches Pulverfass. Es wird geschätzt, dass mindestens jede*r Zweite*r unter 25 Jahren ohne feste Anstellung ist. In Teilen Abidjans ist zwar in den vergangenen Jahren viel in Infrastruktur investiert worden, in dicht besiedelten Vierteln wie Yopougon haben sich jedoch Jugendbanden, die „microbes“, gegründet. Auch ist nicht sicher, ob es zu erneuten Meutereien der Armee kommt. Soldat*innen meuterten 2017 mehrmals in Bouaké und Abidjan. Grund dafür waren erpresste Sonderzahlungen für einen Teil der Soldat*innen, die später aber nicht ausgezahlt wurden.

Migrationsbewegungen

Die Elfenbeinküste gilt aktuell als „Top-Ziel“ für Migrant*innen, hat bereits eine lange Tradition als Einwanderungsland und ist vor allem für Arbeitsmigrant*inneen aus Burkina Faso attraktiv gewesen. Laut einem Zensus aus dem Jahr 1998 waren die 3,4 Millionen Burkinabé mit Abstand die größte Gruppe der Nicht-Ivorer*innen. Andere Schätzungen gehen derzeit von rund 1,3 Millionen aus. Viele leben seit Jahrzehnten im Land und sind oftmals im Kakaoanbau beschäftigt. Die Burkinabé gelten als günstige Arbeitskräfte, die oft schlechter als Einheimische ausgebildet sind. Die allermeisten arbeiten im informellen Sektor und haben somit kaum Rechte.

Unter Präsident Henri Konan Bédié und seinem Konzept der Ivorité entstand ab den 1990er Jahren ein zunehmender Rassismus. So wurde der heutige Präsident Alassane Ouattara 1995 von den Wahlen ausgeschlossen, da seine Eltern angeblich aus Burkina Faso eingewandert waren. Bis heute sei die Frage nach Nationalität in der Elfenbeinküste ein großes Problem, sagt Politikwissenschaftler Arsène Brice Bado, der am Zentrum für Forschung und Aktion für den Frieden in der Wirtschaftsmetropole Abidjan arbeitet.

Nach verschiedenen Statistiken im Zeitraum von 1998 bis 2006 könnten insgesamt bis zu 7,8 Millionen Einwander*innen in der Elfenbeinküste leben. Die Weltbank schätzte 2010 jedoch nur 2,4 Millionen Menschen, die EU spricht aktuell knapp 2,2 Millionen. Die Abteilung für Bevölkerung bei den Vereinten Nationen (UNPD, United Nations Population Division) geht allerdings davon aus, dass in Zeiten der Krisen zahlreiche Migrant*innen zurück in ihre Heimatländer gegangen sind. Das französische Konsulat in Abidjan bezifferte 2015 die Zahl der Französinnen und Franzosen im Land mit 19.500 (3.000 waren nicht registriert), von denen 59 Prozent Doppelstaatler*innen waren.

Nach Zählung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) leben aktuell 1.961 Flüchtlinge im Land, von denen 928 und somit 47,3 Prozent aus Liberia stammen.

Die Stadt Daloa im Zentrum des Landes gilt als Zentrum der Auswanderung. Verschiedenen Schätzungen zufolge leben zwischen 832.600 und 1,2 Millionen Ivorer*innen im Ausland. Silvère Yao Konan von der Universität Félix Houphouët-Boigny nannte die ehemalige Kolonialmacht Frankreich im Jahr 2009 mit 26 Prozent der Migrant*innen das wichtigste Zielland Europas. Auch wandert die Mehrzahl – mindestens 65 Prozent – dauerhaft aus. Das bedeutet: Die Mehrheit der Migrant*innen bleibt mindestens fünf Jahre im Ausland. Laut EU haben 80.000 Ivorer*innen eine Aufenthaltsgenehmigung in der EU. Pro Jahr werden 7.000 neue Aufenthaltsgenehmigungen ausgestellt. Innerhalb der Region geht die große Mehrheit nach Burkina Faso (544.030).

Das UNHCR schätzte, dass in den ersten acht Monaten des Jahres 2019 insgesamt 2.348 Ivorer*innen über das Mittelmeer nach Europa kamen (es fehlen die Ankunftszahlen von Spanien). Sie machen 4,7 Prozent aller über das Mittelmeer gekommenen Migrant*innen aus. Im afrikanischen Vergleich steht die Elfenbeinküste somit an dritter Stelle.

Die Zahl der Asylanträge von Ivorer*innen steigt: Waren es im Jahr 2015 noch 7.712 Anträge weltweit, stiegen die Anträge 2018 auf 9.792. Die Aufnahmequote lag bei 13,3 Prozent. 677 der Anträge wurden in Deutschland gestellt (Aufnahmequote 5,5 Prozent). 2017 wurden 6.795 Ivorer*innen ohne Papiere aufgefordert, die EU zu verlassen. Die Rückführungsquote lag jedoch nur bei drei Prozent.

Zahlreiche Visa-Anträge werden abgelehnt. Laut Frontex-Bericht wurden 2014 rund 25.000 Visa für den Schengen-Raum ausgestellt. Die Ablehnungsquote lag indes bei 28 Prozent. 2017 gab es laut EU 56.465 Anträge. Während 38.481 genehmigt wurden, lag die Ablehnungsquote bei 30,5 Prozent.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat nach eigenen Angaben in den vergangenen drei Jahren 5.250 Ivorer*innen bei der freiwilligen Rückkehr aus den Ländern Libyen, Niger und Marokko geholfen. 2.000 haben für den Neustart eine finanzielle Unterstützung erhalten. Zudem hat die IOM Jobtrainings organisiert.

Seit 2015 wird Migration in Richtung Europa im Land zu einem immer stärker diskutierten Thema. Dass gerade Europa zum Ziel wird, liegt daran, dass die Nachbarländer wie Burkina Faso, Mali und Guinea für junge Ivorer*innen kaum attraktiv sind. Dort sind die Perspektiven aufgrund der wirtschaftlichen Lage häufig noch schlechter als in der Elfenbeinküste selbst. Auch gelten junge Ivorer*innen oft als besser ausgebildet. Somit stellen die Nachbarländer kein Ziel für Arbeitsmigration dar. Mehrere Veranstaltungen, unter anderem organisiert von der Generaldirektion der Ivorer*innen im Ausland (DGIE, Direction Générale des Ivoiriens De L'Extérieur), die zum Ministerium für afrikanische Integration und Ivorer*innen im Ausland gehört, sollten junge Ivorer*innen auf die Gefahr der Migration über den Landweg aufmerksam machen.

EU-Engagement und Kooperationen

In Abidjan fand im November 2017 das fünfte Treffen zwischen Afrikanischer und Europäischer Union statt, bei dem Flucht und Migration zentrale Themen waren.

Das war bereits während des Valletta-Gipfels im November 2015 auf Malta so. Fünf Monate später gab es in Abidjan ein Treffen zwischen Außenminister Abdallah Albert Toikeusse Mabri und seinem niederländischen Amtskollegen Bert Koenders. Die Niederlande hatten zu diesem Zeitpunkt die EU-Ratspräsidentschaft inne. Nach Einschätzung der EU fehlt der Elfenbeinküste weiterhin eine verabschiedete nationale Strategie zur Migrationspolitik. Die nationale Strategie soll jedoch die Grundlage für die weitere Zusammenarbeit der EU mit der Elfenbeinküste sowie die Umsetzung der Valletta-Ziele bilden.

Für die EU hatte Koenders außerdem mit der Elfenbeinküste ein Abkommen zur Bekämpfung illegaler Migration ausgehandelt. Das Ziel ist die Entwicklung einer effektiven Strategie für eine systematische Rückkehr von Migrant*innen zurück in die Elfenbeinküste, die außerdem „entmutigt werden sollen, ihre Leben in Gefahr zu bringen“.

Im elften Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) sind für die Jahre 2014 bis 2020 insgesamt 273 Millionen Euro für die Elfenbeinküste vorgesehen, die sich auf drei Bereiche aufteilen: Stärkung des Staates und Sicherung des Friedens, Landwirtschaft und der Energiesektor gehören dazu. Mit 139 Millionen Euro nimmt letzterer finanziell den größten Teil ein. Im Europäischen Treuhandfonds (EUTF) ist die Elfenbeinküste kein Schwerpunktland.

Die Elfenbeinküste hat bereits 2009 einen biometrischen Reisepass eingeführt. Für die Ausstellung verantwortlich ist das nationale Unternehmen SNEDAI zur Ausstellung von Ausweispapieren gemeinsam mit dem 1984 gegründeten Unternehmen Zetes. Beide sind auch für das 2013 eingeführte biometrische Visum zuständig, das online beantragt und bezahlt wird. Bei der Einreise wird es ausgestellt und in den Reisepass geklebt, was aber nur bei der Ankunft am Flughafen Félix Houphouet Boigny in Abidjan möglich ist.

Auf dem Landweg bleibt die Grenzkontrolle – zumindest zu den Nachbarländern Liberia und Guinea –schwierig bis unmöglich. Während und nach der Wahlkrise Ende November 2010 konnten sich beispielsweise Anhänger*innen von Ex-Präsident Gbagbo immer wieder auf die liberianische Seite flüchteten. Dichte Wälder, durch die keine befestigten Straßen führen, machen die Region nur schwer kontrollierbar. Vor allem in der Regenzeit lassen sich die Pisten an einigen Stellen so gut wie nicht passieren. Bewohner*innen, so sagte ein Grenzer auf ivorischer Seite im Oktober 2011, würden nur selten offizielle Übergänge nutzen, sondern sich stattdessen über die grüne Grenze bewegen.

Die Elfenbeinküste hat folgende Abkommen unterzeichnet: Refugee Convention (1961), Refugee Protocol (1970), Convention on the Rights of the Child (1991), Human Trafficking Protocol (2012)

Im Rahmen der African Intelligence Community gibt es eine Frontex-Kooperation.

NGOs und Zivilgesellschaft

In der Elfenbeinküste arbeiten verschiedene nichtstaatliche Organisationen zu Migration. Mitunter sprechen auch Mütter von Migrant*innen über die Risiken der Auswanderung „ohne Papiere“, wie Migration über den Landweg oft genannt wird. Einige sind seit mehr als einem Jahrzehnt vor Ort. Neben Gesprächen mit Familien und jungen – oft migrationswilligen – Menschen finden in Abidjan auch Konferenzen dazu statt, die auch von Jugendorganisationen veranstaltet werden.

Wirtschaftliche Interessen und Rüstung

Aufgrund der Stabilität der vergangenen Jahre, dem Wirtschaftswachstum und Infrastrukturmaßnahmen – v.a. in Abidjan – gilt die Elfenbeinküste zunehmend als interessanter Wirtschaftsstandort. Nach Nigeria ist die Elfenbeinküste die zweitgrößte Wirtschaft Westafrikas. 40 Prozent der Warenausfuhren gehen in die EU, mit der es seit 2008 ein Handelsabkommen gibt (APE, Accord de partenariat économique). Seit 2016 ist China Importeur Nummer eins. Deutschland hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes im Jahr 2018 Waren im Wert von 211 Millionen Euro exportiert. Importiert wurden Güter in Höhe von 981 Millionen Euro. Hauptsächlich war das Rohkakao.

In den vergangenen 20 Jahren gab es verhältnismäßig wenige Rüstungsexporte von Deutschland in die Elfenbeinküste. 2016 wurden Rüstungsexporte in Höhe von 341.896 Euro genehmigt.

Migration in Zahlen

2018: 9.792 Asylanträge (weltweit), Aufnahmequote 13,3 Prozent

2018: 677 Asylanträge (Deutschland), Aufnahmequote 5,5 Prozent

2019: 1.961 Flüchtlinge in der Elfenbeinküste

2019: zwischen 2,4 und 7,8 Millionen Migranten in der Elfenbeinküste

2019: Elfenbeinküste ist das Migrationsland in Westafrika

2018: Rücküberweisungen in Höhe von 363 Millionen US-Dollar, 0,8 Prozent des BIP

Formale Rücknahmeabkommen mit Italien

Frontex-Kooperation via African Intelligence Community

Materialien und Quellen

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