Frontex (Dez 2020)

Veröffentlicht Dezember 15th, 2020 - von: Chris Jones, Jane Kilpatrick (Statewatch)

von Chris Jones und Jane Kilpatrick (Statewatch) / Dezember 2020

Diese Version ist veraltet. Die neue Version des Eintrags vom Oktober 2022 findet sich hier

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Brutal. Grausam. Unmenschlich. Dies sind nur einige der Adjektive, mit denen die Migrations- und Grenzkontrollpolitik der EU im Laufe der Jahre beschrieben wurde. Das hat dennoch wenig dazu beigetragen, die Gesetzgebenden davon abzuhalten, neue Formen der Überwachung, Kontrolle und Verweigerung des Zugangs zu europäischem Territorium für Menschen auf der Flucht einzuführen.

Mit der Gründung der EU-Grenzschutzagentur Frontex im Mai 2005 schafften sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten ein neues Instrument zur Durchsetzung dieser Politik. Fünfzehn Jahre später sind Aufgabenbereich, Befugnisse und das Budget von Frontex mehrfach ausgeweitet worden. In den kommenden Jahren wird Frontex eine immer wichtigere Rolle bei der Bewachung der „Festung Europa“ übernehmen, deren Mauern – sowohl physisch als auch digital – nicht nur entlang der Grenzen Europas verlaufen, sondern auch innerhalb ihres Territoriums und zugleich in Ländern, die Tausende von Kilometern entfernt sind.

Eine expandierende Agentur

Frontex ist an zahlreichen Aspekten des EU-Migrations- und Grenzkontrollregimes beteiligt, von der Risikoanalyse über die Grenzüberwachung bis hin zu Abschiebungen, und die Aktivitäten sind seit 2005 erheblich gewachsen. Als die Agentur ihre Arbeit aufnahm, hatte sie 43 Mitarbeiter*innen und ein Budget von 6 Millionen Euro. Im Jahr 2020 beschäftigte sie 700 Mitarbeiter*innen und verfügte über ein Budget von 420 Millionen Euro.

Ab 2021 hofft Frontex, sein Personal fast verdreifachen zu können.[1]Dazu werden erstmals eigene Grenzschutzbeamt*innen für den Einsatz an den EU-Grenzen zählen, was die Autonomie der Agentur deutlich erhöhen wird, da sie nicht mehr nur auf die von den Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellten Beamt*innen angewiesen ist. Auch eine deutliche Aufstockung des Budgets ist in Planung: 22,6 Milliarden Euro sind zwischen 2021 und 2027 für „Migration und Grenzmanagement“ vorgesehen,[2] wovon jährlich mehrere hundert Millionen Euro an Frontex fließen werden.[3] Die Rolle der Agentur im Grenzregime der EU wird in den kommenden Jahren weiter wachsen – und die Grenzen der EU mit ihr.

Externalisierung: Kontrollmaßnahmen in Nicht-EU-Staaten

Die EU-Mitgliedsstaaten sind seit langem bestrebt, mit sogenannten Drittstaaten zusammenzuarbeiten, um irreguläre oder unerwünschte Einreisen zu verhindern. Frontex ist an einer Reihe dieser Vereinbarungen beteiligt, führt aber auch eigene Aktivitäten durch.

Die Agentur hat mehr als zwei Dutzend Arbeitsvereinbarungen mit Nicht-EU-Staaten, regionalen Gremien und internationalen Organisationen unterzeichnet, die eine Zusammenarbeit bei Schulungen, Informationsaustausch, gemeinsamen Operationen und Unterstützung bei der Implementierung von Grenzkontrollstrategien und -technologien ermöglichen. Sie kooperiert auch mit Staaten, mit denen sie keine formellen Arbeitsvereinbarungen hat – zum Beispiel durch die Africa-Frontex Intelligence Community (AFIC) und das Projekt „EU4BorderSecurity“ in Nordafrika und der Levante.

Mit Albanien und Montenegro hat die EU Abkommen unterzeichnet, die es Frontex-Beamt*innen erlauben, bei Grenzkontroll- und Überwachungsaufgaben aktiv zu werden. Damit hat Frontex auf dem Balkan Fuß gefasst. Den Balkan sieht die EU als eine wichtige Pufferzone in ihren Bemühungen, Einreisen zu verhindern. Ähnliche Abkommen mit Serbien, Nordmazedonien und dem Kosovo sind in Arbeit. Informationen werden regelmäßig über das seit langem bestehende Risikoanalyse-Netzwerk von Frontex für den Westbalkan ausgetauscht. Weitere derartige Netzwerke decken die osteuropäischen Grenzen, die Türkei und die an AFIC beteiligten Staaten ab.

Die Entsendung von „Verbindungsbeamt*innen“ ist ein weiteres Instrument der Agentur. Über 500 solcher Beamt*innen werden derzeit von den Behörden der EU-Mitgliedsstaaten eingesetzt, um Informationen und Erkenntnisse über Migrationsbewegungen zu sammeln und in einigen Fällen sogar ein Profil von ausreisenden Reisenden zu erstellen, die als „riskant“ eingestuft werden. Eigene Verbindungsbeamt*innen der Agentur sollen zu dieser Arbeit beitragen, und Frontex scheut sich nicht, ihren Auftrag zu nennen – sie sollen "lokale und regionale Netzwerke von Verbindungsbeamte*innen bei der Verringerung der Migrationsströme in die EU unterstützen“.[4] Die Gesetzgebung von 2019 hat die Anforderung gestrichen, dass Verbindungsbeamt*innen nur in Ländern eingesetzt werden dürfen, in denen „die Praktiken des Grenzmanagements mit den Mindeststandards der Menschenrechte übereinstimmen“. Frontex hat seit kurzem eigene Beamt*innen in der Türkei, Serbien, Niger und dem Senegal eingesetzt. Weitere sollen in den kommenden Jahren folgen.

Diese und andere Nicht-EU-Staaten werden als Teil des „vorgelagerten Grenzgebiets“ betrachtet, welches alle Gebiete jenseits der EU-Grenzen umfasst, die für die Arbeit von Frontex relevant sind. Informationen über dieses „Vorfeld“ werden von den Mitgliedsstaaten, von Frontex und anderen EU-Agenturen wie der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs und dem Europäischen Satellitenzentrum gesammelt. Dazu nutzen sie Flugzeuge, Drohnen, Schiffe, Satellitenbilder, Wetterberichte, soziale Medien, Einsatzberichte und mehr. Die Daten werden in das Europäische Grenzüberwachungssystem (EUROSUR) eingespeist.

Ursprünglich als Mittel zur Rettung von Menschenleben auf See angepriesen, inzwischen aber vor allem als Mittel zur „Bekämpfung von illegaler Einwanderung und grenzüberschreitender Kriminalität“,[5]  werden die in EUROSUR eingespeisten Daten unter anderem zur Risikoanalyse verwendet. Die Risikoanalyse ist „Ausgangspunkt für alle Frontex-Aktivitäten“, so die Agentur, „von der strategischen Entscheidungsfindung auf hoher Ebene bis hin zur Planung und Durchführung operativer Maßnahmen“. Die Daten aus EUROSUR werden mit einer Reihe anderer Quellen kombiniert, um Lageberichte zu erstellen, die europäische und nationale Entscheidungsträger beeinflussen sollen. Auf diese Weise kultiviert die Agentur „politische Unterstützung für noch härtere Grenzen“, sowohl in Nicht-EU-Staaten wie auch an den Grenzen der EU selbst.

Maßnahmen zur Grenzkontrolle

Die Aufgaben, die im Rahmen der Grenzkontrollmaßnahmen von Frontex durchgeführt werden, reichen von der Grenzüberwachung über die Überprüfung von Dokumenten und die Befragung von Personen, die auf irregulärem Wege in das EU-Gebiet gelangt sind, bis hin zu Such- und Rettungsaktionen. Die Aktionen von Frontex an den EU-Außengrenzen haben sich oft als widersprüchlich erwiesen. Der Agentur wird seit langem vorgeworfen, in Pushbacks verwickelt zu sein, bei denen Schutzsuchenden der Zugang zum Hoheitsgebiet eines Staates gewaltsam – und illegal – verweigert wird.

Im November 2020 wurde der jüngste einer langen Reihe solcher Berichte in den Medien veröffentlicht und löste neben den üblichen Dementis eine weitere Maßnahme bei Frontex aus. Eine „Arbeitsgruppe für Grundrechte und rechtliche und operative Aspekte von Operationen“ wurde vom Vorstand der Agentur eingesetzt. Diese soll im Januar 2021 Bericht erstatten, aber sie ist weit entfernt von einer unabhängigen Untersuchung, wie sie von Menschenrechtsorganisationen und anderen Kritiker*innen gefordert wird. Die Arbeitsgruppe stellt das Grundrechtebüro von Frontex ins Abseits, das für solche Untersuchungen eigentlich zuständig wäre. Dieses Büro ist derzeit Gegenstand einer Untersuchung durch den Europäischen Ombudsmann aufgrund von Zweifeln über seine Unabhängigkeit und Effektivität.

Andere Methoden, Menschen an der Einreise in die EU zu hindern, beruhen auf der Auslagerung von physischer Gewalt. Im Jahr 2016 begann Frontex damit, die sogenannte libysche Küstenwache in Zusammenarbeit mit der EU-Militärmission im Mittelmeer gegen Schleuser auszubilden und zu trainieren. Die Tatsache, dass „einige Mitglieder der lokalen libyschen Behörden in Schmuggelaktivitäten verwickelt sind“, hat die EU und ihre Mitgliedsstaaten – insbesondere Italien – nicht davon abgehalten, die „Kompetenzen“ der Küstenwache zu stärken, Menschen, die aus dem vom Krieg zerrütteten Land fliehen wollen, „zurückzuholen“ oder sie von vornherein an der Ausreise zu hindern. Dieser Ansatz folgt ähnlichen Taktiken, wie sie vor den Küsten Senegals und Mauretaniens in der Operation Hera eingesetzt wurden.

Neben der Ausbildung wird auch der Informationsaustausch zur Unterstützung der libyschen Behörden genutzt. Die Überwachung des Mittelmeers durch Flugzeuge, Boote, Drohnen und andere Mittel – Information, die über EUROSUR verarbeitet werden – ermöglicht es, die libysche Küstenwache über den Standort von Booten in Seenot zu informieren. Kritiker*innen argumentieren, dass diese Form der Unterstützung gegen internationales Recht verstößt; die EU beharrt auf dem Gegenteil. Ein vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängiges Verfahren soll Klarheit schaffen, wird aber erst in einiger Zeit verhandelt werden.

Die Vorwürfe der Komplizenschaft bei illegalen Handlungen sind mit dem Ausmaß und der Reichweite der Operationen der Agentur gewachsen. Die erste dieser Operationen war die Operation Hera, die 2006 im Atlantik als Reaktion auf einen starken Anstieg der Zahl von Menschen, die auf dem Seeweg aus Westafrika auf den Kanarischen Inseln ankamen, ins Leben gerufen wurde. Seitdem wurden gemeinsame Operationen, die von der Agentur koordiniert wurden, von Italien, Griechenland, Ungarn und Kroatien durchgeführt. Die Agentur ist auch an den griechischen Landgrenzen zu Albanien und Mazedonien aktiv, aber eine zunehmende Intransparenz macht es schwer, eine umfassende Liste der Einsätze zu erstellen.

In den letzten Jahren mit neuen Befugnissen ausgestattet wird Frontex eine zunehmend proaktive Rolle bei der Einleitung und Koordinierung von Einsätzen übernehmen. Um die Abhängigkeit von Beamt*innen zu verringern, die von den Mitgliedsstaaten an die Agentur „ausgeliehen“ werden, wurde die Agentur ermächtigt, ein 10.000 Personen starkes ständiges Grenzschutzkorps aufzustellen. Die Beamt*innen des Korps werden in verschiedenen Teams eingesetzt, um die nationalen Behörden beim Grenzmanagement, bei Abschiebungen und beim Migrationsmanagement unterstützen.

In den meisten Fällen werden die Einsätze auf Anfrage eines Mitgliedsstaates gestartet, aber Frontex kann den Mitgliedsstaaten auf der Grundlage seiner Risikoanalysen nun auch Einsätze vorschlagen. Lehnen die nationalen Behörden das Angebot ab, müssen sie dies begründen; wenn „dringende Maßnahmen“ allerdings für notwendig erachtet werden, kann der Rat der EU einen Beschluss fassen, der einen Mitgliedstaat dazu verpflichtet, einen Einsatz der Agentur zu akzeptieren.[6]

Im Zuge der sogenannten „Migrationskrise“, die 2015 begann, wurde Frontex eine Schlüsselrolle in den berüchtigten „Hotspots“ in Griechenland und Italien zugesprochen, um bei der Überprüfung, Registrierung und Identifizierung von Menschen, die auf EU-Territorium ankommen, zu helfen. Wenn das ständige Korps seine Arbeit aufnimmt, wird eine größere Rolle in bestehenden und zukünftigen Hotspots erhalten, verbunden mit einer weiteren Wendung.

Im September 2020 schlug die Europäische Kommission einen neuen „Pakt zu Migration und Asyl“ vor. Zu den Vorschlägen gehören neue Regeln für das „Screening“ von Personen, die irregulär in der EU ankommen, was Identitäts-, Sicherheits- und Gesundheitskontrollen beinhaltet. Nach diesen Regeln wird der Ort, an dem das Screening stattfindet, nicht als EU-Territorium betrachtet, was ernste Fragen über die Verfügbarkeit von rechtlichen Garantien und Schutzmaßnahmen aufwirft. Die Beteiligung von Frontex dürfte angesichts der kontroversen Vorgehensweise bei Befragungen von Personen in der Vergangenheit und der mangelnden Transparenz bei den operativen Plänen sowie den Anweisungen, die den Beamt*innen erteilt werden, für weitere Bedenken sorgen.

Nicht nur Menschen, die auf irregulärem Weg in die EU kommen, sind mit strengeren Kontrollmaßnahmen konfrontiert. Auch reguläre Reisende werden strengeren Kontrollen unterzogen, und Frontex wird einen wichtigen Teil dieses Prozesses verwalten. Ab 2023 wird das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) für die Vorabprüfung von Reisenden genutzt, die kein Visum für die Einreise in den Schengen-Raum benötigen; Einzelpersonen müssen einen Online-Fragebogen ausfüllen, nach dem ihnen die Erlaubnis zur Reise entweder erteilt oder verweigert wird. Diejenigen, die mit dem Bus oder dem Flugzeug reisen, werden von der Transportgesellschaft auf ihre Berechtigung überprüft und ihnen kann das Recht verweigert werden, an Bord zu gehen, geschweige denn in die EU einzureisen. Frontex wird für die Verwaltung der zentralen Datenbank verantwortlich sein und einige der „Risikoindikatoren“ definieren, die für die automatische Erstellung von Profilen von Reisenden verwendet werden.

Die Agentur ist nun auch in der Lage, selbst Ausrüstung zu kaufen oder zu leasen, was ihre Abhängigkeit von den Mitgliedsstaaten verringert und ein Grund für das aufgeblähte Budget von Frontex ist. Der erste Punkt auf der Einkaufsliste war eine Reihe von Autos, wie in einem Werbevideo gezeigt wird. „Das ist erst der Anfang“, sagt Fabrice Leggeri, der Direktor der Agentur. „Wir werden Transporter haben, die als mobile Büros für die Registrierung von irregulären Migranten eingesetzt werden“, so Leggeri weiter. „Und wissen Sie, was als nächstes kommt? Wir werden Schiffe, Flugzeuge, Drohnen und viele andere Arten von technischer Ausrüstung haben, die an den Außengrenzen eingesetzt werden.“ Das alles zum „Schutz des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, sagt der Direktor. Was er in dem Video nicht erwähnt, sind einige der weniger hochtechnischen Anschaffungen, die Frontex tätigt – eine Reihe von Verträgen wurde kürzlich für Tränengas, Schlagstöcke und kugelsichere Westen unterzeichnet.

Innerhalb des Schengen-Raums

Während Frontex sich auf die Gewalt an den Außengrenzen vorbereitet, verschafft sich die Agentur zugleich neue Befugnisse bezüglich der Maßnahmen innerhalb des Schengen-Raums. Die Rolle der Agentur war zunächst strikt auf Aktivitäten an den Außengrenzen und mit bzw. in Nicht-EU-Staaten beschränkt. In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber den Aufgabenbereich auf bestimmte Aktivitäten auch innerhalb des Schengen-Raums ausgeweitet. Frontex war in diesem Bereich auch vorher schon aktiv – seit mindestens 2014 ist die Agentur an der Analyse von internen Migrationsbewegungen beteiligt.

Die neuen Regeln, auf die sich die EU-Gesetzgebenden 2019 geeinigt haben, besagen, dass die Agentur EUROSUR mit Daten füttern soll, die in den Hotspots und über „unerlaubte Sekundärbewegungen“ gesammelt werden. Im politischen Jargon der EU bezieht sich „Sekundärbewegungen“ auf Reisen, die ohne Erlaubnis unternommen werden, insbesondere von Antragsteller*innen auf internen Schutz, die in einem EU-Mitgliedstaat registriert sind, aber in einen anderen ziehen. Sie sind seit langem ein Problem für die Behörden, die eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen vorgeschlagen haben, wie mit ihnen umzugehen sei.

Das Hinzufügen neuer Datensätze zu EUROSUR scheint die jüngste dieser Maßnahmen zu sein. Ziel ist es, Frontex bei der Überwachung der Migration „in die und innerhalb der Union zum Zweck der Risikoanalyse und des Situationsbewusstseins“ zu unterstützen. Dies wiederum soll als Grundlage für operative Maßnahmen der nationalen Behörden dienen, zum Beispiel durch Identitätskontrollen an den Binnengrenzen oder an anderen Stellen innerhalb des Territoriums, was das Risiko des Racial Profilings gegenüber EU-Bürger*innen und Nicht-EU-Bürger*innen gleichermaßen erhöht. Die Daten können auch dazu beitragen, dass die Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen immer weiter ausgedehnt werden. Einige dieser Kontrollen waren bereits vor den Notfallbestimmungen, die zur Eindämmung der Coronapandemie eingeführt wurden, illegal weit länger in Kraft als es die Obergrenze von zwei Jahren dem Gesetz nach zulässt.

Abschiebungen

Die Rolle von Frontex bei der Organisation von Abschiebungen – von Politiker*innen und Beamt*innen euphemistisch als „Rückführungen“ bezeichnet – im Auftrag von EU-Staaten hat seit 2005 erheblich zugenommen. Die Vorschläge für die Verordnung von 2019 beinhalteten sogar die Befugnis, Rückführungen von einem Nicht-EU-Staat in einen anderen zu koordinieren – zum Beispiel von Serbien nach Afghanistan. Die Streichung dieser Befugnis aus dem endgültigen Text enttäuschte Staaten wie Ungarn und Polen, die in der Regel sehr an gemeinsamen EU-Maßnahmen interessiert sind, wenn diese gegen Migrant*innen gerichtet sind.

Im Jahr 2006 war Frontex an der Abschiebung von acht Personen aus der EU beteiligt. Fast eineinhalb Jahrzehnte später spielt sie eine Rolle bei der Zwangsabschiebung von Tausenden von Menschen jährlich und übernimmt eine zunehmend zentrale Rolle bei der Organisation, Koordination und Überwachung von Abschiebeaktionen. Zu den jüngsten Erweiterungen ihrer Befugnisse gehört es, die Informationen zu sammeln, die ein Staat für die Ausstellung von Rückführungsentscheidungen verwendet, bei der Identifizierung von Personen zu helfen, die diesen Entscheidungen unterliegen, und mit dem Zielstaat in Verbindung zu treten, um Reisedokumente zu beschaffen. Das übergeordnete Ziel ist es, ein „integriertes System des Rückführungsmanagements“ zu entwickeln,[7] unter anderem durch die Schließung dessen, was die Agentur als „Lücke zwischen Asyl- und Rückführungsverfahren“[8] bezeichnet – womit gemeint ist, dass die meisten Asylsuchenden abgelehnt, aber dann nicht schnell genug abgeschoben werden.

Ein Ziel der Agentur ist die Abschiebung von jährlich 50.000 Menschen, sowohl mit Charter- als auch mit Linienflügen. Im Laufe des Jahres 2020 hat Frontex zudem seine Rolle bei der Koordinierung sogenannter „freiwilliger Rückführungen“ verstärkt und damit seine Rolle in der Abschiebemaschine der EU weiter ausgebaut. In diesem Bereich spielt die Internationale Organisation für Migration (IOM) eine wichtige Rolle, ihr Verhältnis zu den Frontex-Plänen ist noch nicht klar. Jedoch sind diese Pläne bezeichnend für die Absicht, Frontex eine größere Rolle in jedem Teil des Abschiebeprozesses zu geben, auch in der Zeit nach der Abschiebung. Die Fähigkeit, Abgeschobenen in allen Phasen der Abschiebung Unterstützung zu bieten, ist in der Verordnung von 2019 vorgesehen, obwohl dies nicht die erste Priorität der Agentur war. Ein Aktionsplan zur Unterstützung nach der Abschiebung wurde für diesen Herbst erwartet,[9] ist aber noch nicht zustande gekommen.

Mechanismen der Rechenschaftspflicht

Seit der Gründung von Frontex wurden Bedenken geäußert hinsichtlich der begrenzten Möglichkeiten, die Einzelpersonen oder Organisationen zur Verfügung stehen, um die Agentur für ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehen. Wiederholte Vorwürfe, in Menschenrechtsverletzungen verwickelt zu sein, und ein Mangel an Transparenz haben zu Veränderungen geführt: eine wachsende Anzahl von Menschenrechtsbestimmungen in der Rechtsgrundlage der Agentur, die Einführung eines individuellen Beschwerdemechanismus und die Einrichtung von Überwachungsgremien wie dem Beratenden Forum für Grundrechte und dem Frontex-Grundrechtebüro.

Schutzmaßnahmen auf dem Papier sind jedoch nur dann sinnvoll, wenn sie in der Praxis auch durchgesetzt werden. Sowohl die Arbeit des Beratenden Forums als auch des Grundrechtebüros werden immer wieder durch einen Mangel an Ressourcen und eine unkooperative Haltung der Agentur behindert. Der Beschwerdemechanismus wurde seit seiner Einführung verbessert, kann aber immer noch nicht als wirklich unabhängig angesehen werden – der Direktor der Agentur und die Mitgliedsstaaten behalten die Schlüsselgewalt über die Bearbeitung von Beschwerden. Außerdem ist es für eine Einzelperson praktisch unmöglich, die Agentur selbst vor Gericht zu bringen, da das Verfahren vor dem EU-Gerichtshof sehr komplex ist. Dies sind entscheidende Fragen, aber sie sollten nicht von der wichtigeren Frage ablenken, ob das derzeitige Migrations- und Grenzregime der EU – zu dessen Umsetzung Frontex beitragen soll – jemals mit Menschenrechtsstandards vereinbar sein kann.

Fazit

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Zum Ende des Jahres 2020 steht Frontex im Rampenlicht von Menschenrechts-organisationen und EU-Institutionen, nachdem die jüngsten Vorwürfe der Beteiligung an Pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze bekannt wurden. Eine beschädigte Reputation hat jedoch in der Vergangenheit wenig dazu beigetragen, die Expansion der Agentur zu stoppen. Mit einem umfangreichen neuen gesetzlichen Mandat und einer signifikanten Budgeterhöhung ist die EU-Grenzagentur in vielerlei Hinsicht in einer stärkeren Position als je zuvor. Bei der Umsetzung dieses Mandats werden neue Formen der Prüfung, Kritik und Anfechtung erforderlich sein, um sicherzustellen, dass die Grenz- und Migrationspolitik der EU und die mit ihrer Umsetzung beauftragte Agentur die Menschenrechte wahren.

Footnotes

  1. Laut https://frontex.europa.eu/faq/key-facts/ beschäftigt Frontex ab dem 15. Dezember 2020 direkt 700 Mitarbeiter. Gemäß der Verordnung 1896/2019 werden 1.000 neue Mitarbeiter der "Kategorie 1" in das ständige Korps eingestellt, und weitere 400 werden als "Kategorie 2" langfristig von den Mitgliedstaaten in das ständige Korps abgeordnet (insgesamt: 2.100): https://www.statewatch.org/analyses/2020/frontex-launches-game-changing-recruitment-drive-for-standing-corps-of-border-guards/.

  2. Siehe die Rubrik "Mirgation and Border Management" in Anhang 1, https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13891-2020-ADD-2/en/pdf.

  3. Gemäß den Überschriften für "dezentrale Agenturen" im Abschnitt "Migration and Border Management, S.7-8, https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13891-2020-ADD-2/en/pdf.

  4. Single Programming Document 2016-19, p. 37.

  5. Regulation 2019/ preamble paragraph 28.

  6. REGULATION 1896/2019, Article 37-42 and ‘Situations requiring urgent action – right to intervene?’, https://eulawanalysis.blogspot.com/2016/10/establishing-european-border-and-coast.html.

  7. In der Verordnung von 2016 wird dieser Satz einmal erwähnt, im Text von 2019 erscheint er viermal.

  8. ‘Frontex Programming Document 2020-2022’, enthalten im Council document 5117/20, 9 January 2020.

  9. ‘'Roadmap' for implementing new Frontex Regulation: full steam ahead’, Statewatch News, 25 November 2019, http://www.statewatch.org/news/2019/nov/eu-frontex-roadmap.htm.

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