G5 Sahel

Veröffentlicht März 3rd, 2020

G5-Sahel

G5-Sahel wurde 2014 von den Regierungen Mauretaniens, Malis, Burkina Fasos, Nigerias, des Niger und des Tschad gegründet, um gemeinsame Entwicklungsprojekte zu fördern. Die Steuerung erfolgt über ein Sekretariat in Nouakchott, Mauretanien.

Aus der Selbstbeschreibung:

Die G5-Sahelzone trägt zur Durchführung von Sicherheits- und Entwicklungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten bei, insbesondere durch:

  • Stärkung von Frieden und Sicherheit in der G5-Sahelzone;
  • Die Entwicklung von Verkehrs-, Wasser-, Energie- und Telekommunikationsinfrastrukturen;
  • Die Schaffung von Bedingungen für eine bessere Regierungsführung in den Mitgliedsländern;
  • Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung durch die Gewährleistung einer nachhaltigen Ernährungssicherheit, der menschlichen Entwicklung und des Pastoralismus.“[1]

Die G5-Sahel Joint Force

Seit 2017 ist eine gemeinsame Grenztruppe das wichtigste Projekt der G5.

"In der gesamten Sahelzone gedeiht ein komplexes Netz aus transnationalen kriminellen Netzwerken und militanten Gruppen in einem Umfeld schwacher Staaten, poröser Grenzen und humanitärer Krisen”, war nach dem ersten Einsatz der Truppe auf der Seite des US-Thinktanks CSIS zu lesen,[2] und nun komme es zu einem “Regional Security Traffic Jam”:

Neben der Operation Berkhane (Truppenstärke 4.500 mit Hauptquartier in N'Djamena, Tschad), MINUSMA (10.000 Soldaten und 2.000 Polizisten mit Hauptquartier in Bamako, Mali), den EU-Ausbildungsprogrammen in Mali und Niger (EUTM, EUCAP) und den US-amerikanischen, hauptsächlich mit Drohnen bestückten Militärbasen, wurde 2017 eine 5.000 Mann starke Truppe gebildet mit einem Hauptquartier in Sevaré, Mali und drei Regionalkommandos (West, Central und East).

“Die geplanten 5.000 Soldaten und Polizisten aus den G5-Staaten Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad verteilen sich auf sieben Bataillone. Geführt werden sie von einem gemeinsamen Hauptquartier in Mali und drei Regionalkommandos (West, Central und East), deren Fokus die drei zwischenstaatlichen Grenzen auf den Nord-Süd-Linien zwischen Mauretanien und Mali, zwischen Mali, Niger und Burkina Faso sowie zwischen Niger und Tschad sind”,[3] so berichtete das deutsche Verteidigungsministerium anlässlich der Gründung.

Inzwischen haben die Joint-Forces in Zusammenarbeit mit Barkhane und MINUSMA eine Reihe von Einsätzen durchgeführt.[4] Seit dem Sommer 2020 ist auch die europäische Spezialtruppe Takuba einbezogen.[5] Allerdings bemängelte der UN-Sicherheitsrat im Oktober 2020 nicht nur die lückenhafte Einsatzbereitschaft der G5-Truppen und isnbesondere die fehlenden polizeilichen Einsatzkräfte, sondern auch das Fehlen einer Bindung der Einsätze an menschenrechtliche Verpflichtungen.[6]

Finanzierung

Die G5-Sahel-Staaten werden für den Aufbau der Truppe je 10 Millionen US-Dollar bereitstellen, die Europäische Union 50 Millionen für Infrastruktur, Ausrüstung und Ausbildung (jedoch keine Finanzierung von Waffen durch die EU). 8 Millionen US-Dollar, 70 Fahrzeuge und Kommunikationsausrüstung werden von Frankreich zur Entlastung der Opération Barkhane beigesteuert. Die geschätzten Gesamtkosten der G5 Sahel Joint Force sollen 432 Millionen US-Dollar betragen. Auf der Sahel-Konferenz in Paris im Dezember 2017 kündigte Saudi-Arabien an, für den Aufbau der Truppe rund 100 Millionen US-Dollar bereitzustellen. Deutschland unterstützt bei den Infrastrukturmaßnahmen den Aufbau des Regionalkommandos im nigrischen Niamey. Die deutsche Bundesregierung liefert Ausstattung für die G5-Verteidigungsakademie in Mauretanien und finanziert aus Mitteln der Ertüchtigungsinitiative den Aufbau eines regionalen Ausbildungsnetzwerks im Bereich der Biosicherheit”,[7] heißt es im betreffenden Wikipedia-Eintrag.

Zuletzt wurden im Januar 2020 13 gepanzerte Arquus Fahrzeuge in Mali ausgeliefert:

“Zu den 13 übergebenen Bastion-Panzerfahrzeugen gehörten acht für Truppentransporte, zwei für medizinische Evakuierungen, zwei für die Bekämpfung improvisierter Sprengsätze und ein Gefechtsstandsfahrzeug.

Sie sind Teil eines Programms zur Lieferung von insgesamt 46 gepanzerten Fahrzeugen an die G5-Sahelländer, das über die Afrikanische Friedensfazilität der EU finanziert wird.

Dreizehn Fahrzeuge wurden bereits an Niger, sieben an Mauretanien, vier an den Tschad und vier an Burkina Faso geliefert, berichtete die AFP. Eine europäische diplomatische Quelle sagte, dass drei weitere an den Tschad und zwei an Burkina Faso geliefert werden.”[8]

Mandat der G5-Sahel Joint Force

Als Mandat der Truppe wird genannt: “Bekämpfung des Terrorismus, der transnationalen organisierten Kriminalität und des Menschenhandels”, gemeinsam mit der Operation Berkhane und mit MINUSMA.

"Bei voller Einsatzfähigkeit wird die G5-Sahel-Truppe über sieben Bataillone verfügen, die über drei Zonen verteilt sind und einen Streifen von 50 km auf jeder Seite der Landesgrenzen abdecken. Es wird auch erwartet, dass eine Brigade zur Terrorismusbekämpfung im Norden Malis eingesetzt wird. Es sind drei Kommandoposten geplant, einer in jeder Zone. Der zentrale Gefechtsstand, der das Dreiländereck zwischen Mali, Burkina Faso und Niger abdeckt, ist einsatzbereit. Die anderen werden die Grenze zwischen Mali und Mauretanien und die Grenze zwischen Niger und Tschad abdecken.”[9]

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Die Karte v www.g5sahel.org zeigt das Einsatzgebiet der G5-Truppe entlang der Grenzen zwischen den G5-Staaten. Als Reaktion auf die zunehmenden Angriffe gegen die Grenztruppen wird zudem eine Gemeinsame Polizeitruppe diskutiert:

"In einer Logik des Pragmatismus und Opportunismus nutzen terroristische und gewalttätige extremistische Gruppen den illegalen Handel in der Region aus, um Fuß zu fassen und Ressourcen zu generieren. Um auf diese multidimensionale regionale Bedrohung zu reagieren, haben die Staaten Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger, die im Rahmen der G5-Sahelzone zusammengeschlossen sind, vom 3. bis 6. Dezember 2019 in Niamey ein Treffen organisiert, um über die Juridizierung der militärischen Operationen der G5-Sahelzone zu diskutieren.

Ziel dieses regionalen Workshops war die Erörterung der Polizeikomponente, eines neuen Mechanismus zur Verfolgung von Tätern, die von der Gemeinsamen Sahel-Truppe der G5 verhaftet wurden.”[10]

Kritische Anmerkungen

Die G5-Truppen bewegen sich in grenznahen Terrains, die bislang durch lokale Nachbarschaftsbeziehungen und traditionelle Formen des Ausgleichs der Interessen der Bauernbevölkerungen und der Pastoralisten geprägt waren. Die im Sahel dramatischen Veränderungen des Klimas – Trockenheit, Überschwemmungen, Vordringen der Wüste – kommen hinzu. Migration über Landesgrenzen hinweg ist einer der wichtigsten Mechanismen, mit denen die Ökonomie der Familien (sowohl bei den Bäuerinnen wie auch bei den Hirten) gesichert wird.

Der “Military traffic jam” hat zunächst dazu geführt, dass die G5-Sahel-Regierungen dazu neigen, soziale Probleme in der Sahel-Zone militärisch “lösen” zu wollen, wofür auf internationalen Konferenzen Gelder leichter zu mobilisieren sind als für Projekte im direkten Interesse der Bevölkerungen.

"Im Zentrum der komplexen Probleme der Region steht die geringe Qualität der Regierungsführung. Die G5-Sahelstaaten haben mit dem Staatsaufbau zu kämpfen, der aus dem Erbe der Kolonialisierung stammt. Verschärft wird dies durch die große geografische Ausdehnung der Länder in Verbindung mit begrenzten Ressourcen, die die Regierungskapazitäten mit der zunehmenden Spaltung zwischen Zentrum und Peripherie verringern. Jahrzehntelange schlechte Regierungsführung, die durch schlechte Rechenschaftsmechanismen noch verstärkt wird, hat auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufrechterhalten und das Gefühl der Marginalisierung in einigen Gemeinden verstärkt.

Während die G5-Sahelzone die Verbindung zwischen Entwicklung, Sicherheit und Regierungsführung durch ihr Programm für vorrangige Investitionen (PIP) anerkannt hat, sind die Antworten auf die vielfältigen Herausforderungen der Region auf einen stark militarisierten Ansatz fixiert.”[11] Ähnlich argumentiert die südafrikanische Organisation für Konfliktmanagement, Accord, die von einer "Counterterrorism Stategie without Target" spricht.[12]

"Die Militäreinsätze sind nicht nur Teil der Lösung für die Krise in der Sahelzone, sondern ebenso ein Teil des Problems. 80.000 der Vertriebenen in Mali geben an, dass sie wegen der Militäroperationen fliehen mussten“[13], heißt es in einer Pressemittelung von Oxfam und „Aktion gegen den Hunger“.

In der französischen Presse mehren sich Stimmen, die darauf verweisen, dass zwischen djihadistischen Angriffen und einer "afrikanischen Jacquerie" kaum mehr differenziert werden kann. Zunehmend werden nicht "Terrorgruppen" bekämpft, sondern veritable Volksaufstände:

"Nicht zu Fuss mit Mistgabeln – wie die französischen Bäuer*innen vor 200 Jahren – sondern auf Motorrädern mit leichten Waffen geht die Bevölkerung des Sahel gegen nationale Militäreinheiten und hochgerüstete französische wie US-amerikanische Spezialkommandos vor“,“, schreibt die konservative französische Wochenzeitung „Le Point“ als Hintergrundeinschätzung zum Sahel-Gipfeltreffen in der französischen Stadt Pau. Zu Ehren französischer Soldaten, die im Kampfeinsatz im Sahel umgekommen waren, mussten die Staatschefs der Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und des Tschad am Montag, den 13.01.2020 in Frankreich antreten. Kurz zuvor hatten hunderte Aufständische, die am 09.01.2020 auf Motorrädern von Mali nach Niger gekommen waren, die nigrische Militärbasis Chinagoder angegriffen. Sie brachten im Laufe eines 48-stündigen Angriffs 89 nigrische Soldaten um. 63 der Angreifer sollen dabei ihr Leben verloren haben. Frankreich setzte Mirage-2000 Kampfflugzeuge ein. Sie durchbrachen zur Abschreckung die Schallmauer, aber warfen keine 250-kg Bomben ab, da sich Angreifer und Soldaten zu dicht beieinander befanden. Erst eine oder mehrere US-amerikanische Kampfdrohnen sollen den Aufständischen erhebliche Verluste beigefügt haben. „Le Point“ fragt, wie es möglich ist, dass abermals hunderte Aufständische auf Motorrädern unbemerkt heranfahren können, da sie doch riesige Staubwolken aufwirbeln. Und wieso die Grenze zwischen Mali und Niger nicht militärisch bewacht wird. Die stille Antwort findet sich im Begriff „afrikanische Jacquerie“, die die Wochenzeitung anführt: Ohne Mittun der Bevölkerung sind derartige Angriffe nicht möglich. In Burkina Faso hat sich der Staat – auch militärisch – bereits aus über einem Drittel des Staatsgebiets zurückgezogen, in Mali ebenfalls.

Die Tageszeitung „Liberation“ wird noch deutlicher. Sie veröffentlicht zum Sahel-Gipfel in Pau ein Interview mit Marc-Antoine Pérouse de Montclos, der gerade ein Buch zum Thema herausgebracht hat.[14] Der Forschungsdirektor am Institut de recherche pour le développement (IRD) wirft der französischen Staatsführung vor, dass sie den Krieg im Sahel aus Legitimitätsnot falsch etikettiert hat. In Wirklichkeit gehe es nicht um einen Krieg gegen Djihadisten, sondern gegen einen sozialen Aufstand, den Frankreich nicht gewinnen kann.”[15]

Aus militärischer Sicht ist ein Krieg gegen die Bevölkerungen auf einer Fläche doppelt so groß wie Westeuropa mit wenigen tausend Soldaten nicht zu gewinnen. “Wie Saigon 1974” ̶ dieser Titel in der taz[16] beschreibt die Diskrepanz zwischen der Präsenz der Bevölkerungen mit all ihren Widersprüchen und den Bombardierungen. Europa kann diesen Krieg nicht gewinnen, weil es zwischen “islamischem Terror” und der Selbstorganisation der Bevölkerung – den “afrikanischen Jacquerien”  ̶  aus dem Sichtwinkel der Luftaufklärung nicht unterscheiden kann. Inzwischen richten sich diese Jacquerien gegen die G5-Truppen und gegen die Operation Barkhane gleichermaßen.

Ein Problem, das mittels der neuen Takuba-Spezialtruppen gelöst werden soll, liegt in der Verfremdung zwischen den französischen, mit Kampfhubschraubern und Mirage-Bombern bewaffneten Einheiten und den G5-Truppen, die nicht als Fußvolk und Leitstation der Bombardierungen dienen wollen. Ein weiteres Problem liegt im Verhältnis all der G5-Sahel-Bemühungen zu Algerien. Der algerische Geheimdienst ist seit Jahrzehnten im Sahel unterwegs und pflegt Verbindungen auch in die Djihadistengruppen hinein. Aber Algerien fühlt sich durch G5-Sahel, Berkhane und das französische Militär im Sahel von der alten Kolonialmacht eingekreist. Dass Algerien nicht an G5-Sahel teilnimmt, ist eine entscheidende militärische Schwäche der gesamten Operation.

Frankreich ist umso mehr von der US-amerikanischen Luftaufklärung und den Drohnen abhängig. Im Dezember 2019 haben die USA einen Teilrückzug aus der Sahara und dem Sahel angekündigt.[17] Ein solcher Rückzug könnte die europäischen Interventionen wie auch das Fundament der Joint-G5-Truppen in Frage stellen.

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