Die Colour Line durch Afrika

März 29th, 2025

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Im Jahr 1899 schrieb W.E.B. Du Bois in seinem berühmten Buch The Philadelpia Negro diesen Satz:

In allen Lebensbereichen wird der Neger auf Ablehnung oder unhöfliche Behandlung stoßen, und die Bande der Freundschaft oder der Erinnerung sind selten stark genug, um über die Color-Line hinweg zu halten". Einige Jahre später schrieb er in seinem Essay Of the Dawn of Freedom folgendes:

"Das Problem des zwanzigsten Jahrhunderts ist das Problem der Color-Line - das Verhältnis der dunkleren zu den helleren Menschen in Asien und Afrika, in Amerika und auf den Inseln des Meeres".

Wie wir in den letzten Jahren lernen mussten, war dies nicht nur ein Problem des „Racial Century“, wie Dirk Moses die Zeit zwischen 1850 und 1950 genannt hat. Black Lives Matter, das ist ein hochaktuelles Problem, und zwar auf transkontinentaler Ebene. Gegenwärtig steht Europa wieder an der Spitze dessen, was wir hier als Rekonstruktion einer Transsahara Colour Line bezeichnen wollen. Die Zeiten, in denen Grenzen "als Methode zur Vervielfältigung der Arbeit" bezeichnet werden konnten, scheinen vorbei zu sein. Vielmehr müssen wir seit Beginn dieses Jahrzehnts von Grenzen als Zonen der Nekropolitik sprechen.

Dieser Überblick wirft ein Schlaglicht auf eine dynamische Entwicklung, wobei die Zahl der Seeüberfahrten zur Zeit abnimmt. Allerdings stellt MMR fest:
Der jüngste Rückgang der Zahlen ist wahrscheinlich ein Hinweis auf eine kurzfristige Fluktuation und nicht der Anfang vom Ende der irregulären Seetransporte in die EU. Der Drang, das Mittelmeer oder den Atlantik zu überqueren, um in die EU zu gelangen, wird wahrscheinlich konstant bleiben - wenn nicht sogar zunehmen. [...] Die rigorose Politik hat die irreguläre Migration nicht verhindert und die Risiken für die Migrant:innenen nur noch erhöht.
Es eröffnen sich neue Migrationsrouten, zum Beispiel von Ostlibyen nach Kreta. Das europäisch-ägyptische Memorandum of Understanding ist auf Wüstensand gebaut. Auch Tunesien ist nicht sicher, und Saied wird nicht ewig leben. Allerdings: was in den letzten 2 Jahren geschehen ist, verlangt nach einer neuen Interpretation.

Aus deutscher Sicht müssen wir nicht nur über koloniale und postkoloniale Politiken und Verbrechen sprechen, sondern auch über die historische Phase, in der Vernichtung und Inwertsetzung von Bevölkerung und Territorien einen unglaublichen Höhepunkt erreichten. Die deutsche koloniale Expansion folgte seit dem Mittelalter einem „Drang nach Osten“ und die Ostpolitik des NS ist in den „Colonial Archives“ nur spärlich präsent. Als ein Einstieg zu diesem Thema könnte Empire, Colony, Genocide (2008, 372) dienen. Der „Katechismus der Deutschen“ erweist sich hier bisweilen als Hemmschuh. Im "Generalplan Ost" der Nazis ging es um die Unterwerfung von Territorien unter eine Kriegswirtschaft und die Vertreibung der jüdischen und slavischen Bevölkerung. Der Plan ging einher mit einer Theorie der "Überbevölkerung" und Rationalisierung. Im Hinblick auf die aktuelle Subsumtion von Territorien in vielen afrikanischen Regionen, ohne Rücksicht auf die dort lebenden Menschen, ist dies indes nicht als Blaupause zu sehen, sondern eher als Hintergrund von Memen und Ideologien für das, was dort geschieht. Übrigens nicht nur in Afrika: Die furchtbaren Nachrichten aus Gaza und der Westbank können wir aus diesem Kontext nicht herauslösen.

In diesem Text schlagen wir vor, die „Routes of Torture“ und die Push-backs als Re-Konstruktion einer transafrikanischen Colour Line zu beschreiben. Es handelt sich um die südliche Zone des europäischen Kordons, der eine Staffelung verschiedener Zonen ist, die errichtet werden, um Black Lives in Kriegs- und Vertreibungsgebieten einzuschließen. Wir wollen damit nicht unterstellen, dass es einen Masterplan oder eine Blaupause für das Geschehen gibt, wie den "Generalplan Ost". Viele Einzelinteressen und Gelegenheiten, sowie Theorien und Missverständnisse und die Aufhebung von humanitären Verpflichtungen und Menschenrechtsbestimmungen wirken zusammen in Richtung einer schrecklichen Entwicklung. Kapitalismus, neue Nationalismen und ungebremste regionale Imperialismen sind die Hauptkräfte hinter dieser Entwicklung, aber es geht auch um Rassismus, in seiner dümmsten Form, als Rassismus der Hautfarbe.

Vor diesem Hintergrund möchten wir an die Worte von Aimé Césaire aus dem Discourse on Colonialism erinnern, dass der größte Kriminelle nicht der ideologische Fanatiker sei, sondern der europäische Bourgeois, der ‚anständige Kerl von gegenüber‘, weil er über ein Jahrhundert lang die kolonialen Missbräuche tolerierte: die Kriege, die Folter und das Massensterben, indem er die harten Maßnahmen der Politiker billigte.

Der Gürtel von Kriegen

Wir haben den Zusammenhang von Vertreibung, Rohstoffwirtschaft, Landraub und Krieg kürzlich in unserem Blogbeitrag über den Sudankrieg und die Emirate beschrieben. Wir haben beschrieben, wie die Emirate diesen Krieg nicht nur durch den Goldhandel anheizen, sondern auch dadurch, dass sie sich das Land aneignen, aus dem die Bevölkerung vertrieben wird. Wir denken, dass wir diese Analyse auf die jüngsten Entwicklungen in der Sahelzone, aber auch auf weite Gebiete am Horn von Afrika, auf Kivu, den Norden Mosambiks und viele andere Regionen ausweiten müssen.

ACLED hat kürzlich eine Karte veröffentlicht, die diesen Gürtel von Kriegen quer durch Afrika rot gepunktet darstellt. Wie wir wissen, lässt sich die Konzentration der bewaffneten Konflikte in diesem Gebiet nicht nur durch einen Grund erklären. Zu den wichtigsten Konfliktursachen gehören:

  • der Klimawandel und die Einengung der pastoralen Ökonomien,
  • der Aufstieg regionaler imperialistischer Akteure, vor allem VAE, KSA, Türkei, aber auch China und Russland,
  • die Ausbreitung des Mineralien- und Landgrabbings als Ökonomie der "realen Werte", seit der Finanzkrise von 2007,
  • der zunehmende Fokus von Großinvestoren auf die afrikanischen Ressourcen,
  • der europäische Hunger nach "sauberer" Energie,
  • der Schutz der Natur in einem "Grünen Krieg",
  • das Versagen der postkolonialen Staaten und der Aufstieg des Warlordismus, auch unter dem Deckmantel des Militärs, und
  • die Gier vieler Mitglieder der politischen Klasse, sowie
  • die Rolle des transnationalen Dschihadismus.

Die Europäer machen oft den Bevölkerungszuwachs als erste Ursache für Armut und Krieg verantwortlich. Sie sollten stattdessen über die Blockade des demografischen Übergangs sprechen. Großkapital und Kriegsprofiteure, Regionalmächte und nationale Militärregime verwandeln Landschaften in "Frontiers", in einem globalen Wettlauf um Ressourcen, in Zeiten von Peak Oil, Peak Soil, Peak Water und Peak Nature.

Alle Formen der "ursprünglichen Akkumulation" im Gürtel der Kriege haben eines gemeinsam: die Definition von Bevölkerungen als "überflüssig" in einer Art neuem Malthusianismus. Die menschliche Bevölkerung wird nicht als Arbeitskraft für die Zukunft, sondern als Investitionshindernis wahrgenommen. Akkumulation durch Enteignung steht seit der Krise von 2007 mehr denn je gegen die Menschheit, im Sinne von Auslöschung. Europa ist ein mitschuldiger Zuschauer in diesem Prozess, nicht nur durch die Mitnahme von Gelegenheitsgewinnen und die Unterstützung der europäischen Interessengruppen, sondern vor allem durch die Schließung der Grenzen und die Einschließung der Bevölkerung in den Kriegsgebieten.

ACLED Karte

Karte: ACLED Febr. 2025

Man könnte argumentieren, dass der Gürtel der Kriege durch fehlende Revolutionen verursacht wurde. Der Tod von Lumumba 1960 in der Demokratischen Republik Kongo oder von Sankara 1987 in Burkina Faso können in diesem Zusammenhang genannt werden, aber an erster Stelle stehen für uns die "Aufstände in Afrika" in den 2010er Jahren: „Weit verbreitete urbane Aufstände von Jugendlichen, Arbeitslosen, Gewerkschaften, Aktivist:innen, Schriftsteller:innen, Künstler:innen und religiösen Gruppen stellen Ungerechtigkeit und Ungleichheit in Frage. Sie "verbreiteten sich über nationale Grenzen und Regionen hinweg und übersprangen sogar riesige Entfernungen von Ägypten bis Uganda, Senegal bis Malawi, Südafrika bis Nigeria." Bei diesen Aufständen ging es um Selbstbefreiung und das Recht auf Subsistenz, und nicht um "Entwicklung" oder "Nationen". Es waren kollektive Aktionen der "einfachen Leute" gegen Bestechlichkeit und politische Geschäftemacherei. Es war ein Aufstand aus Phantasie und Lebenswillen. Vielleicht wäre es richtig, diese Aufstände als „Encroachment“ zu interpretieren, so wie Asef Bayat es in Bezug auf die Arabische Situation von 2011 getan hat. Und vielleicht hätten sich die Nachbarschaftskomitees im Sudan zu einem „missing link“ zwischen Aufstand und Revolution entwickeln können. Statt dessen übernahmen vielerorts Militärregime die Macht, die Repression und nationale Wertschöpfung zu verknüpfen suchen.

Wir sollten uns auch vergegenwärtigen, dass die wichtigsten sozialen Bewegungen nicht nur Aufstände waren, sondern auch Migrationsbewegungen: in die Städte und in die Metropolen (und zurück). Wie Mbembe und andere uns gesagt haben, ist eine der Hauptfähigkeiten vieler Afrikaner:innen: Die Bildung von Diaspora. Sie migrieren, um Gewalt und Hunger zu entkommen, um die Welt zu sehen und ein besseres Leben zu finden, und sie migrieren, um ihre Familien zu unterstützen. Der "Kosmopolitismus der kleinen Migrant:innen "[1] könnte eine der wichtigsten sozialen Kräfte des Wandels sein, in Europa und anderswo. Im Jahr 2019 haben wir geschrieben,

Wir sind keine marxistischen Essentialisten, die Zwang, Arbeit, Macht und Geld als die treibenden Kräfte des Fortschritts ansehen. Warum nicht vielmehr Reproduktion, Assoziation, Migration, Spiel und die Suche nach Glück? Eine positive Beziehung zur afrikanischen Jugendlichkeit könnte uns helfen, uns vom Elend des Westens zu befreien und unseren Wertekanon neu zu überdenken.

Der Europäische Kordon

Seit dem Abzug der MINUSMA gehört Europa nicht mehr zu den Hauptbeteiligten an der Gewalt im Gürtel der Kriege. Europas Rolle bei der Aufrechterhaltung des Kriegsgürtels ist die Abschottung der Grenzen.

Der primäre Anstoß zur Abschottung der europäischen Grenzen folgte einer rassistischen Grundstimmung, war aber nicht einem Rassismus der Hautfarbe. Der Fokus auf die Eindämmung von Migrationen hat sich seit der Krise in den 1970er Jahren von der Türkei und Nordafrika nach Osteuropa (nach dem Fall des Eisernen Vorhangs), dann nach Nordafrika verlagert (nach 1993), zum "Nahen und Mittleren Osten" (als die Menschen aus dem Iran, Syrien und Afghanistan flohen) und seit 2016 dorthin, von wo auch immer die Menschen auf der Flucht kamen. Schwarzafrika stand seit 2014 im Mittelpunkt des Khartum-Prozesses. Die Hautfarbe war schon immer ein Faktor bei der Regelung der Einwanderung, aber solch ein primitiver Rassismus wurde hinter einem Schleier des Anstands versteckt, außer an den Rändern der Gesellschaft.

Die gemeinsame Asylpolitik der EU hat immer dann gut funktioniert, wenn es um die negativen Dinge ging, wie Push Backs und Abschiebungen. Die Zahl der Push-Backs an den EU-Grenzen lag 2024 bei über 120 000, einschließlich der Pull-Backs durch die libysche Küstenwache. Die Zahl der Asylanträge in der EU ist rückläufig, weil es "kaum noch Routen nach Europa gibt".

Während das GEAS-System der externen Hotspots und der von FRONTEX geleiteten Abschiebungen eine neuere Entwicklung ist, wurde die Zone des Ertrinkens seit der Gründung der EU im Jahr 1993 aufrecht erhalten, nicht ohne dass Krokodilstränen vergossen wurden. Nicolas Lambert hat die 68 000 Todesfälle von Menschen auf dem Weg nach Europa zwischen 2000 und 2024 kartiert.

Karte Tote

Karte: migreurop Decembre 2024

Die Maghreb-Länder und Ägypten bilden die zweite Zone des Kordons. Es ist auf dieser Seite gut dokumentiert, dass die EU Milliarden an die Machthaber und Militärregime in Marokko, Tunesien, Libyen sowie Ägypten gezahlt hat. Vor kurzem hat sich Mauretanien der Gruppe der stellvertretenden Grenzwächter angeschlossen. In all diesen Ländern, außer in Ostlibyen, wurden Küstenwachen finanziert und ausgerüstet. Und einige große IGOs wie UNHCR, IOM, ICMPD, GIZ und andere haben beim Aufbau von Grenzstrukturen und bei der Entsorgung von „People on the Move“ (POM) geholfen.

Der nordafrikanischen Bevölkerung sind die Gelder aus Europa nicht zugute gekommen. Sie wurden in Waffen investiert oder vom König in Marokko, der Militäraristokratie in Ägypten, den Chefs der Milizen in Libyen oder der Präsidialverwaltung in Tunesien eingestrichen. Die Situation im Rif, im tunesischen Hinterland oder im Nildelta hat sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert und zahlreiche Harraga der Zukunft warten auf ihre Chance.

Abfangen von POM

Die Zahl der Überfahrten über das zentrale Mittelmeer ist nach Angaben von Frontex im Jahr 2024 drastisch gesunken: 66 766 Überfahrten, -59 % gegenüber 2023. Marokko gibt an, im Jahr 2024 78 685 Versuche, Europa zu erreichen, vereitelt zu haben, wobei 58 % der Migranten aus Westafrika stammten, und vor der libyschen Küste wurden 21 762 Abfangvorgänge gezählt. Die Zahl der Aufgriffe durch die tunesische Küstenwache ist sicherlich noch höher. Zahlen zu Aufgriffen durch die ägyptische und ostlibysche Küstenwache liegen nicht vor. Die Atlantikroute hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, aber die Zahlen der Aufgriffe durch die mauretanische und senegalesische Küstenwache sind nicht bekannt.

Zu Tunesien erklärte ein UN-Experte im Oktober 2024,

"Wir haben schockierende Berichte über gefährliche Manöver beim Abfangen von Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern auf See, über körperliche Gewalt, einschließlich Schlägen, Androhung von Schusswaffengebrauch, Entfernung von Motoren und Treibstoff und das Kentern von Booten erhalten".

Rassismus und Routes of Torture

Die Situation der POM in Nordafrika hat sich in dem Maße verschlechtert, wie Europa für das Aufhalten dieser Personen bezahlt hat. Es muss gesagt werden, dass die Situation aller einfachen Menschen in dieser Region in den letzten Jahren ebenfalls schwierig war, und nach 2011 hat sich nichts verbessert. In dieser Atmosphäre nimmt der Rassismus gegen Schwarze Menschen zu. Unterschwellig existiert der Rassismus im Maghreb seit Jahrhunderten, und jetzt blüht er wieder auf, in Marokko, in Ägypten, in Libyen, aber vor allem in Tunesien. Wie wir im September 2024 schrieben,

Europa, das eigentlich neue Menschen braucht, schließt seine Grenzen nach Süden gegen jede Vernunft. Der europäische Rassismus der Grenzschließungen ebnet dem tunesischen Rassismus den Weg. Jenseits des Mittelmeers schüren die Europäer einen Rassismus der Konkurrenz um das Ticket. Ob Araber oder Schwarzer ist in Europa fast irrelevant. Dieser Wettbewerb stärkt den Rassismus der tunesischen Jugendlichen.

Die Situation in Tunesien wurde auf dieser Website und in einer Cartographie des Violations von OMCT dokumentiert, die derzeit erstellt wird. Refugees in Libya erklärten in einem Interview im September 2024:

Nach Angaben der Migranten, die in diesen behelfsmäßigen Lagern leben, sind mehr als 80.000 Migranten in diesen Lagern (bekannt als Kilometer) von km 19 bis km 38 gestrandet, und etwa 1.500 sind täglich an der libysch-tunesischen Grenze gestrandet, und etwa 2.000 weitere an der algerischen Grenze, wo viele mit katastrophalen Bedingungen konfrontiert sind, einschließlich eines Mangels an Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung. Mindestens 300 sind in diesem Jahr bereits gestorben, nachdem sie in der Wüste ausgesetzt wurden oder aufgrund medizinischer Nachlässigkeit in den provisorischen Lagern.

Zwar reisen immer noch viele Menschen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz nach Libyen, doch die Sicherheitslage verschlechtert sich und es kommt häufig zu rassistischen Übergriffen. Dies begünstigt die Entscheidung, ein Boot nach Europa zu besteigen. Die Hölle beginnt, wenn das Boot abgefangen wird und die POM inhaftiert werden. Die Familien in den südlichen Kriegsgebieten sind zunehmend verarmt und können das Lösegeld nicht bezahlen. Die Flüchtlinge werden als Arbeitskräfte verkauft oder erschossen und in Massengräbern verscharrt. Auch POM, die von Tunesien nach Libyen geschoben oder verschleppt werden, sind in großer Gefahr. Gerade kürzlich haben libysche Milizen damit begonnen, schwarze Migrant:innen wahllos in großem Stil zu deportieren.

Die Situation für Schwarzafrikaner in Ägypten ist sehr ernst geworden, vor allem seit der Krieg im Sudan begonnen hat. Dies betrifft zuerst den verarmten Teil der Geflüchteten: "Wer nicht abgeschoben wird, bleibt in Haft". Auch in Marokko sind in den letzten Monaten weniger Schwarzafrikaner auf der Straße zu sehen.

Pushbacks in die Kriegszone

An den südlichen Grenzen der Maghbreb-Staaten und Ägyptens, die quer durch die Sahara verlaufen (mit Ausnahme des Niltals), finden immer mehr Push-backs statt, bei denen die POM in der Wüste ausgesetzt werden. Diese südliche Grenze nennen wir die transafrikanische Colour Line. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mussten Schwarze Afrikaner:innen diese Linie als Sklaven überqueren. Sie waren Teil eines lebhaften Handels zwischen Subsahara und dem Arabischen Raum. Seit den 1970er Jahren verwischte sich diese Linie, weil immer mehr Schwarze Migrant:innen diese Linie auf der Suche nach Arbeit in Libyen oder auf dem Weg nach Europa überquerten. In jüngster Zeit sind diese Grenzen aufgrund der Push-backs wieder scharf gezeichnet.

Wenn wir von dieser Colour Line sprechen, sollten wir allerdings im Hinterkopf behalten, dass es eigentlich nicht um eine „Linie“ geht, sondern über einen - wenn auch spärlich bewohnten - Raum, der von Mobilität und Konnektivität durchdrungen ist, von „Villages and Crossroads“ (Saharan Frontiers, 131). Die Beziehungen der Wüstenvölker zu den Schwarzen Migrant:innen wäre ein eigenes Thema, das wir hier nicht aufgreifen können. Da gab es Sklavenhändler, Transporteure und Milizen, von denen sich einige durch die EU bestechen ließen.

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte die NYT einen zusammenfassenden Artikel mit dem Titel: 'Living Through Hell': How North Africa Keeps Migrants From Europe. Darin heißt es,
Libyen hat im vergangenen Monat mehr als 600 Männer aus Niger abgeschoben, da die nordafrikanischen Länder - die von der Europäischen Union zur Bekämpfung der Migration finanziert werden - die Ausweisung von Menschen aus Ländern südlich der Sahara verstärkt haben.
Während in ganz Europa, von Frankreich über Deutschland bis Ungarn, die Stimmung gegen Migranten zunimmt, werden Bürger aus Subsahara-Afrika, die versuchen, den Kontinent zu erreichen, von nordafrikanischen Regierungen in einem seit Jahren nicht mehr gekannten Ausmaß zurückgedrängt. Die EU hat bilaterale Abkommen mit Tunesien, Marokko, Libyen und Mauretanien unterzeichnet, die finanzielle Unterstützung zur Eindämmung der Migrantenströme beinhalten.
Die Strategie scheint zu funktionieren: Laut jüngsten Daten der EU-Grenzschutzagentur Frontex sind die illegalen Grenzübertritte im Jahr 2024 stark zurückgegangen.

Algerien hat im letzten Jahr 31 000 POM nach Niger abgeschoben. Während Alarmphone Sahara seit mehreren Jahren über derartige Abschiebungen berichtet (einschließlich der POM, die von Marokko nach Algerien abgeschoben wurden), sind die Abschiebungen aus Libyen, die sich im Dezember 2024 auf mehr als 600 und im Juli 2025 auf 400 Personen beliefen, eine neue Entwicklung. In den letzten Tagen haben Milizen begonnen, Tausende zu vertreiben. Der Tschad hat im Juli 2024 157 Staatsangehörige in "Partnerschaft mit der IOM" repatriiert. Tunesien setzt die POM in der Wüste aus, sei es in Algerien oder in Libyen. Mauretanien hat kürzlich damit begonnen, hunderte Malier über den Senegal Fluss abzuschieben.

Auch Ägypten gibt Anlass zu großer Sorge, wie ein Bericht von Sara Creta und Nour Khail (April 2024) dokumentiert hat. Tausende von Flüchtlingen aus dem Sudan werden derzeit vom ägyptischen Militär und der Polizei in geheimen Militärstützpunkten gefangen gehalten, um in den Sudan abgeschoben zu werden, wo derzeit Krieg herrscht.

Colour Line reduced

Colour Line durch Afrika: Die Karte ist eine Abwandlung der ACLED-Karte.

Blaue Kreise: Waffen aus der EU, Bewaffnung der Küstenwachen, Schwarze Ps: Push Backs oder Pull Backs, Schmale rote Linien: Befestigte Grenzen

Jenseits der Colour Line

Die Schließung der Grenzen, das Ertrinkenlassen der POM, die Bewaffnung der Küstenwachen, die Bezahlung von Milizen oder Regierungen für Push-Backs und Abschiebungen - all das ist eine direkte Folge der EU-Politik. Auf der anderen Seite der Colour Line ist Europa auf dem Rückzug.

Früher haben wir die französische Militärpräsenz in der Sahelzone und MINUSMA als europäisches Engagement zur Stabilisierung zweifelhafter Regime und europäischer Rohstoffinteressen sowie zur Befestigung der Grenzen kritisiert. Die Militärputsche in der Sahelzone (mit Ausnahme des Senegal), beginnend 2020 in Mali, wurden von vielen Menschen dort, insbesondere in der Hauptstadt, begrüßt. Und als 2023 das neue Militärregime in Niger die Reisebeschränkungen in Agadez aufhob, sah das alles nach einer großen Wende aus. Es gab einen neuen Höchststand an POM, die das Mittelmeer überquerten, aber Europa reagierte schnell mittels seiner Stellvertreter in Libyen und Tunesien. Die Desintegration der ECOWAS könnte zu mehr Unsicherheit in der Nahrungsmittelversorgung führen, und die Grenzbeschränkungen zwischen den Putsch-Sstaaten und der ECOWAS haben neue Hindernisse für die Migration geschaffen.

Hinter dem "anti-kolonialen" Nationalismus der Militärregimes im Sahel scheint sich ein Konzept der Inbesitznahme und Inwertsetzung des Territoriums zu verbergen, das in Zeiten einer neuen Schuldenkrise radikalisiert wird. Läuft diese Entwicklung auf einen "Generalplan Sahel" hinaus?

Frankreich und MINUSMA wurden durch russische Söldner, türkische Drohnen und chinesische Geschäftsleute und chinesische Militärinteressen ersetzt. Während das europäische militärische Engagement von den Medien und Parlamenten kritisch begleitet wurde, können die Armeen und Söldner nun ungehindert agieren. Weitere Gebiete in Mali, Burkina Faso und Niger wurden in Kriegsgebiete verwandelt. Die Washington Post spricht von "Crossroads of Confict": Über die gesamte Breite Afrikas, vom Atlantik bis zum Roten Meer, erstreckt sich ein Gürtel des Chaos. Nirgendwo sonst haben die islamistischen Extremisten seit der Niederlage des Islamischen Staates im Nahen Osten so erstaunliche Zuwächse zu verzeichnen, wobei sich dieser Landstrich zum neuen Epizentrum dschihadistischer Aktivitäten entwickelt hat.

Die Pastoralisten, in die Enge getrieben zwischen der von Norden vordringenden Wüste und der Landnahme im Süden, sind eher als die Bauern empfänglich für dschihadistische Ideologien. Ihre Ökonomie, von der mehr als 20 Millionen Menschen abhängig sind, ist schwer beschädigt. Die Bevölkerung der Dörfer ist zwischen den Akteuren der Gewalt hin- und hergerissen. Sie werden von der Armee gezwungen, Schützengräben auszuheben, und dann von den Dschihadisten massakriert, oder sie stellen sich auf die Seite der Dschihadisten und werden von der Armee, Wagner und den türkischen Drohnen getötet. Die Überlebenden werden vertrieben und fliehen zu Verwandten in den Städten oder in Flüchtlingslager, wobei die Hilfslieferungen abnehmen.

Achille Mbembe hat kürzlich in Internazionale einen Artikel mit dem Titel Il sovranismo africano che cancella la libertà veröffentlicht, in dem er betont, dass „Befreiung“ auf der rebellischen Jugend und auf Koalitionen beruht, die von feministischen Organisationen, Bürgervereinigungen, städtischen Bewegungen und Kollektiven von Jugendlichen, Künstlern, Intellektuellen und Wissenschaftlern auf der Suche nach Alternativen unterstützt werden.

Begünstigt durch den demografischen Wandel stehen die jüngeren Generationen heute im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Angesichts der Überalterung der Machtsysteme wollen sie die Entwicklung des Kontinents mitbestimmen. [...] Sie sind überzeugt, dass es ohne Demokratie und Engagement für die Gemeinschaft weder eine vollständige Souveränität noch eine vollständige Entkolonialisierung geben wird.

Außerdem prangert er die Strömung des Nationalismus und Militarismus an:
[Diese] Strömung stützt sich auf einen illusorischen Panafrikanismus und stellt sich als Antwort auf die Herausforderungen einer Welt dar, die immer noch weitgehend von den Interessen der Großmächte bestimmt wird. In Wirklichkeit geht es in erster Linie um die Logik der Macht und um interne Kämpfe um nationale Ressourcen. In der Überzeugung, dass das Gleichgewicht der Kräfte die Gesetze bestimmt, zögern die Anhänger dieser Strömung nicht, Putsche und Militärregime zu unterstützen, solange sie als wirksame Bollwerke gegen neokoloniale und imperialistische Übergriffe angesehen werden. [...] Diese Mischung aus Staatsstreich und Souveränismus nimmt Gestalt an und institutionalisiert sich, vor allem in Westafrika und der Sahelzone. Mehr als in anderen Teilen des Kontinents geht die Zunahme der terroristischen Bedrohung Hand in Hand mit dem Anstieg des Militarismus. Die Regimes in Mali, Burkina, Faso, Guinea und Niger träumen in unterschiedlichem Maße von der Errichtung von "Kasernenstaaten", in denen das politische, soziale und wirtschaftliche Leben von den Erfordernissen eines dreifachen Krieges bestimmt wird: gegen den Terrorismus, den Imperialismus und die inneren Feinde.

Überall in der Sahelzone, vor allem aber in Mali, ist Gold die Hauptquelle der Gier.

In den letzten fünf Jahren ist der Goldpreis um 75 Prozent gestiegen. Diese Woche lag er bei 2750 Euro. In Afrika wird der Goldboom dadurch angeheizt, dass Millionen von Menschen oft in illegalen Minen ohne Sicherheitsstandards schürfen. Die Hauptprofiteure sind Schmuggler, China, Dubai und Dschihadisten. In Westafrika und insbesondere in der Sahelzone herrscht ein Goldrausch, wie einst im Wilden Westen der USA.

In den Emiraten sind alle Männer mit Goldkoffern willkommen. Auch Lithium ist auf dem Vormarsch.

Während die industriellen Investitionen stark militarisiert sind (chinesische Unternehmen betreiben zum Schutz ihrer Investitionen eigene Drohnenstationen), arbeiten allein in Mali bis zu 2 Millionen Männer im handwerklichen Bergbau. In gewisser Weise ist dies ein Ausgleich für die blockierte Migration, sei es in die südlichen Länder der ECOWAS oder in den Norden. Die Alternative für die jungen Männer in Zeiten der blockierten Migration ist das Militär oder der Dschihadismus. Viele von ihnen würden gerne in andere Länder migrieren, aber der Dschihadismus bietet ihnen etwas Geld, etwas Beute und ein Motorrad.

Die dritte Alternative ist nicht viel anders: Bewaffnet mit einem Motorrad und einem Wasserkanister vagabundieren die entwurzelten Jugendlichen auf der Suche nach Beute quer durch die Sahara. Sie kämpfen im Norden Nigerias, am Tschadsee, in Libyen und derzeit im Sudan auf Seiten der RSF. Oft bekommen sie keinen Sold, sondern sie plündern oder werden direkt an der Kriegsbeute beteiligt. Diese jungen Männer kommen, wie die Jihadisten, häufig aus den Volk der Fulani, das andererseits zunehmend häufig zum Opfer der Militärattacken wird. Am Beispiel der Fulani könnte man darüber diskutieren, wie die Enteignung der Lebensgrundlagen nicht zu einem Aufstand, sondern zu plündernden Banden führt. Das erinnert in mancher Hinsicht an die „Kriegsarbeiter“ in der Frühen Neuzeit Europas. (Über Marx Hinaus (2009), 85).

Olaf Bernau (2022, 89 ff.) hat in seinem interessanten Buch ein Kapitel über die Bedeutung von Mobilität und Migration in Westafrika geschrieben. Er betont, dass (Rotations-) Migration für ein Leben in den Dörfern und für den Unterhalt von Familien in einem Umfeld extremer Armut unverzichtbar ist. Zwei Drittel der Bevölkerung in der Sahelzone leben auf dem Land, und die Migration sichert ihren Lebensunterhalt und ihre Verbindung zu den Städten. Indem Europa wichtige Migrationsrouten für einige Tausende kappt, schneidet es Hunderttausenden den Weg zum Überleben ab.

Auf diese Weise treibt Europa noch mehr junge Männer nicht nur in die handwerklichen Goldminen, sondern auch in die RSF im Sudan und in die Dschihadistenmilizen. Manchmal könnte man meinen, die Fraktionen der Dschihadisten würden eine Rebellion gegen die Enteignung der Bevölkerung führen, in Anlehnung an die Fulani-Dschihadisten des frühen 19. Jahrhunderts. Aber sie kämpfen gegen jede Emanzipation, und man kann ihrer Herrschaft nur etwas abgewinnen, wenn man keine Frau ist. Die Zusammensetzung der Akteur:innen, die für ein Africa Uprising steht, sieht doch eigentlich ganz anders aus.

Footnotes

  1. Mbembe, Achille (2002), The New Africans Between Nativism & Cosmopolitanism, In: Geschiere, Peter et al., Readings in Modernity in Africa, London 2008