Was ist Externalisierung? 5 Fragen
Veröffentlicht Juni 28th, 2023 - von: migration-control.info Februar 2020
(C) Thomas Schneider
1. Wohin fließen die EU-Gelder, die in Afrika für „Entwicklung“ ausgegeben werden?
Die EU macht Entwicklungsgelder zunehmend von der Teilnahme am Migrationsmanagement abhängig und ein zunehmender Teil der Gelder wird in die Überwachungstechnologie und in das „Security Business“ umgeleitet. Das Geld fließt vor allem in Staaten mit Knotenpunkten der Migration.
Die EU hat nach 2015, zusätzlich zu bestehenden Entwicklungshilfegeldern des EDF (European Development Fund) ein sogenanntes Notfallinstrument über 4 Milliarden Euro aufgelegt, den European Trust Fond (EUTF). Im Rahmen der EU-Budgetverhandlungen (Multiannual Financial Framework, MFF) für die Jahre 2021 – 2027 werden momentan neue Fonds von mehr als 30 Milliarden Euro verhandelt. Geplant ist, die Ausgaben für das Migrationsmanagement zu verdoppeln und die Ausgaben für die Aufrüstung der Grenzen zu vervierfachen. Diese Gelder werden hauptsächlich dafür verwendet, die Migration nach Europa bereits auf dem afrikanischen Kontinent möglichst effektiv zu unterbinden, indem Regierungen zur Zusammenarbeit bei der Migrationskontrolle verpflichtet werden ̶ zum Beispiel durch den Ausbau von Grenzmanagement, aber auch durch Stärkung des Justiz- und Sicherheitsapparates gegen „Schlepper“ und „Menschenschmuggler“.
Die EU macht Entwicklungsgelder zunehmend von der Teilnahme am Migrationsmanagement abhängig und ein zunehmender Teil der Gelder wird in die Überwachungstechnologie und in das „Security Business“ umgeleitet. Das Geld fließt vor allem in Staaten mit Knotenpunkten der Migration wie Mali, Niger und den Sudan oder in Staaten, mit denen die EU bereits Abschiebe- bzw. Rücknahmeabkommen geschlossen hat oder wo sie einen Abschluss für vielversprechend hält, wie zum Beispiel in die bevölkerungsreichen Staaten Nigeria und Äthiopien. Es ging von Anfang an darum, solche Abkommen möglichst bald umzusetzen, europäische Wählerschaften mit einer hohen Zahl von Abschiebungen zufrieden zu stellen sowie transnationale Netzwerke zur Migrationskontrolle zu stärken.
Wir werden auf dieser Seite im Detail zeigen, welche Programme in welchen Ländern die EU fördert, allein mit dem Ziel, die Migration zu unterbinden oder rückgängig zu machen.
2. Was wird aus Entwicklung, Demokratie und Menschenrechten?
Die klassischen Bedingungen der Entwicklungszusammenarbeit – “Good Governance”, niedrige Korruption, Bedürftigkeit – wurden teilweise über Bord geworfen. An erster Stelle steht nun die Bereitschaft des Staates, Türsteher für die EU zu spielen.
Die klassischen Bedingungen der Entwicklungszusammenarbeit – „Good Governance“, niedrige Korruption, Bedürftigkeit – wurden teilweise über Bord geworfen. An erster Stelle steht nun die Bereitschaft des Staates, Türsteher für die EU zu spielen. Dafür kooperiert die EU auch mit Diktatoren, autoritären Regimes und Milizenführern. Ein Beispiel sind die RSF-Milizen im Sudan, die für den Völkermord in Darfur verantwortlich sind und die nun als Grenzschutz eingesetzt werden. Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenarbeit der EU mit der sogenannten libyschen Küstenwache, Milizen, die Migrant*innen erst in seeuntüchtigen Schlauchbooten aufs Meer schicken, um sie dann – in Uniform – zu „retten“ und in KZ-ähnliche Lager zu verschleppen. Oder mit dem ägyptischen Militärdiktator El Sissi, dem die EU Milliarden Euro zugesagt hat, obwohl er landesweit Tausende von politischen Gegnern und Aktivist*innen hinter Gittern verschwinden lässt, um die mundtot zu machen.
Ziel der EU ist es außerdem, Migrant*innen ohne bürokratische Hürden nach Afrika abzuschieben. Bei den EU-Entwicklungsgeldern geht es also nicht primär um die Hilfsbedürftigkeit oder um Chancen für die lokale Bevölkerung, sondern um die Kontrolle der Migration um jeden Preis.
Wir zeigen auf dieser Seite im Detail, dass sich staatliche Regimes, Diktatoren, Generäle und korrupte Präsidenten an den EU-Geldern bereichern und damit ihre Macht erhalten, während den Menschen vor Ort ihre Menschenrechte und Chancen für ein besseres Leben verwehrt werden.
3. Was würde den Menschen in Afrika wirklich nützen?
Ob den Afrikaner*innen mit der sogenannten „Entwicklungshilfe” wirklich geholfen wird oder eher den jeweiligen Regimes und einer kleinen Oberschicht und den großen Konzernen, welche die Rohstoffe ausbeuten, ist die Frage. Die direkten Rücküberweisungen der Migrant*innen (Remittances) fördern die wirtschaftliche Entwicklung armer Staaten wesentlich stärker als die Entwicklungshilfe.
Ob den Afrikaner*innen mit der sogenannten „Entwicklungshilfe” wirklich geholfen wird oder eher den jeweiligen Regimes und einer kleinen Oberschicht und den großen Konzernen, welche die Rohstoffe ausbeuten, ist die Frage. Die direkten Rücküberweisungen der Migrant*innen (Remittances) fördern die wirtschaftliche Entwicklung armer Staaten wesentlich stärker als die Entwicklungshilfe. Das Geld kommt direkt bei den Familien und den familiär getragenen Kleinunternehmen an und sichert das Überleben vieler Tausender.
Oft hat die EU die Schaffung „legaler Wege” der Migration nach Europa versprochen wie auch das „Resettlement” bedürftiger Menschen aus den Flüchtlingslagern. Statt dessen verschließt sie die wenigen noch bestehenden Wege und Möglichkeiten.
Stellen wir die Alterung der europäischen Bevölkerung und die Mobilität der Jugendlichen in Afrika nebeneinander, so ergibt sich ein eindeutiges Bild: Mehr Zuwanderung aus Afrika wäre ein Gewinn für Alle! Das verhindern zu wollen, scheint vor allem auf dem Vorurteil zu beruhen, dass Europa weiß bleiben müsse, bzw. auf der präventiven Angst vor dem weiteren Erstarken rechter Kräfte in Europa. Tatsächlich aber haben viele Studien gezeigt, dass die europäische Bevölkerung eigentlich nichts gegen Neuankömmlinge aus Asien und Afrika hat.
Und selbst wenn es derartige Mehrheiten gäbe, wie vielleicht in Sachsen, Polen oder Ungarn, müsste die Politik Aufklärung betreiben statt Vorurteile zu bedienen und diese zu bekräftigen, zum Beispiel indem sie das Ressort für Migration der EU-Kommission in „Protecting our European Way of Life“ umbenannt hat.
Wir zeigen auf dieser Seite: Freizügigkeit für alle Menschen – auch in Afrika und von Afrika nach Europa – ist im globalen Zeitalter letztlich nicht zu verhindern und sie ist zum Nutzen aller, wenn sie in solidarischen und demokratischen Zusammenhängen stattfindet.
4. Wer profitiert von Aufrüstung und Grenzkontrollen?
Um den Weg nach Europa zu verschließen, werden zunehmend innerafrikanische Grenzen aufgerüstet und afrikanische Grenzschützer ausgebildet. Europäische Hersteller von Sicherheitstechnologie, oft sind dies Rüstungsfirmen, erhalten Milliardenaufträge.
Um den Weg nach Europa zu verschließen, werden zunehmend innerafrikanische Grenzen aufgerüstet und afrikanische Grenzschützer ausgebildet. Europäische Hersteller von Sicherheitstechnologie, oft sind dies Rüstungsfirmen, erhalten Milliardenaufträge. Diese Firmen beeinflussen die Politik durch Lobbygruppen und Beratungstätigkeit.
Die Aufrüstung in der Sahara und der Sahelregion wird von diversen Akteuren vorangetrieben. Im Vordergrund steht meist der sogenannte „Kampf gegen den Terror“ – aus geopolitischen Interessen. Doch diese Aufrüstung und Ausbildung kann gleichzeitig zur Migrations-Abwehr angewandt werden. So haben zum Beispiel europäische Militärmissionen seit 2015 eine Mandatserweiterung im Bereich Migration erhalten. Inzwischen häufen sich die Warnungen, dass Europa im Sahel und in der Sahara selbst zur Kriegspartei wird wie in Afghanistan.
Der Ausbau von biometrischen Identifikationspapieren und Datenbanken, Überwachungsanlagen und die Lieferung von Waffen und Militärfahrzeugen an afrikanische Sicherheitsagenturen machen Afrika zum Absatzmarkt für europäische Technologie. Die Regierungen bekommen kostenintensive Hochtechnologie geliefert, die sie zur Überwachung der Bevölkerung und zum Erhalt ihrer Macht einsetzen können. Die Ausbildung afrikanischer Grenzschutzeinheiten findet mit Hilfe europäischer Ausbilder statt.
Diese Seite zeigt: Ganz sicher profitiert nicht die Bevölkerung, sondern in erster Linie profitieren autoritäre Regimes und Rüstungskonzerne.
5. Wer sind die Verlierer?
Einerseits finanziert die EU die Afrikanische Union, andererseits macht sie Integrationsprozesse mit ihrer Aufrüstung der Grenzen zunichte. Sie fördert gemeinsame Militär- und Polizeieinheiten (vor allem die „G5 Sahel Joint Force“) und bildet sie aus, aber für Zivilist*innen wird der offizielle Grenzübertritt zunehmend schwieriger, teurer und gefährlicher. Die EU verfährt nach dem Motto: Schengen für die EU, Grenzkontrollen für Afrika.
(C) Thomas Schneider
Die heutige Grenzziehung afrikanischer Staaten ist Erbe des Kolonialismus. Die aufgrund von europäischen Wirtschafts- und Machtinteressen auf der Landkarte gezogenen Linien durchschneiden die Wanderungsgebiete nomadischer und pastoralistischer Bevölkerungen und ethnische Verwandtschaften. Die Aufrüstung der Grenzen bedroht die lokalen Ökonomien und Handelswege. Saisonale Migration wird zu „internationaler“ Migration. In vielen Fällen führen europäische Grenzmanagementprojekte dazu, dass klassische Migrationswege gekappt werden, weil auch der innerafrikanischen Migration pauschal unterstellt wird, nur ein erster Schritt auf dem Weg nach Europa zu sein.
Die regionalen Staatengemeinschaften in Ost- und Westafrika, die nach dem Vorbild der EU gegründet wurden, haben den freien Verkehr von Arbeitskräften und Waren in ihr Programm geschrieben und wollen gemeinsame Reisepässe einführen. Integration statt Regulation birgt Entwicklungspotential für den ganzen Kontinent. Einerseits finanziert die EU die Afrikanische Union, andererseits macht sie Integrationsprozesse mit ihrer Aufrüstung der Grenzen zunichte. Sie fördert gemeinsame Militär- und Polizeieinheiten (vor allem die „G5 Sahel Joint Force“) und bildet sie aus, aber für Zivilist*innen wird der offizielle Grenzübertritt zunehmend schwieriger, teurer und gefährlicher. Die EU verfährt nach dem Motto: Schengen für die EU, Grenzkontrollen für Afrika. Viele Gebiete, besonders im Sahel und in der Sahara, sind in den wenigen Jahren seit 2015 zu Gebieten unter militärischer Belagerung geworden.
Diese Seite zeigt: Die Reisefreiheit der Europäer*innen wird mit Grenzkontrollen in Afrika und einer Allgegenwart der Überwachungstechniken erkauft.