Casablanca - Tunis

July 20th, 2025

Vorwort:

Der folgenden Zeugenbericht wurde von T. verfasst, der seit fast zehn Jahren in Nordafrika lebt. Dort hat er in verschiedenen Zusammenhängen People on the move unterstützt und hat immer wieder zwischen Netzwerken von Zivilgesellschaft und NGOs agiert, um Bedarfe von besonders schutzbedürftigen Gruppen zu melden und ihnen Gehör zu verschaffen. Insbesondere um den Busbahnhof und das gleichnamige Camp Ouled Ziane in Casablanca war er mehrere Jahre aktiv. Dort hatten sich seit der Auflösung eines ähnlichen Camps in der Stadt Fes 2016 der zentrale Punkt für Menschen auf den Migrationsrouten gebildet, die im Kontext von Zwangsverschleppungen und Repression nach einem Ort suchten, um Kräfte zu-sammeln. Leider war dieser Zufluchtsort aber in einem so schlechten Zustand, dass seine Bewohner:innen einer Vielzahl an Risiken ausgesetzt waren. Sei es, durch Kleinkriminelle in der Umgebung angegriffen zu werden oder bei einem der zahlreichen Brände zu Schaden zu kommen.

T. engagierte sich in seinen Netzwerken, um die Grundbedürfnisse der Menschen im Camp zu versorgen. Seine Rolle war dabei zentral, denn er stellte den Kontakt in die Communities her und konnte NGOs beraten, wo die Hilfe am dringendsten war. Zudem stand er in Kontakt mit Akteuren der kritischen Berichterstattung, um die Verschlechterung der Lebensbedingungen im Camp zu skandalisieren.

Im Januar 2024 verloren wir den Kontakt zu T. Und wir waren besorgt. Es war bereits bekannt, dass er Marokko zu diesem Zeitpunkt verlassen hatte und sich inzwischen in Tunesien befand. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Festnahmen, Abschiebungen und Zwangsverschleppungen in die Wüstenregionen an der libyschen und algerischen Grenze durch die tunesischen Sicherheitskräfte waren viele Personen in seinem Freundes- und Bekanntenkreis sehr besorgt.

Aber T. hatte weder die Überfahrt gewagt, noch war er in die Wüste verschleppt worden. Er hatte sechs Monate in einem tunesischen Gefängnis verbracht. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis Juli 2024 war sein Entschluss schnell gefasst, nach Marokko zurück zu kehren, wo er heute wieder lebt. Der nachfolgende Bericht erzählt von seiner Reise nach Tunesien und seinen Erlebnissen im Kontext von rassistischen Kampagnen gegen Schwarze Migrant:innen.

Jungo 2

Die Bilder kommen aus dem FilmThis Jungo Life von David Fedele. Dieser schöne Film ist jetzt auch als DVD erhältlich.

Erfahrungsbericht T.

Mein Name ist T., ich bin 28 Jahre alt und komme aus Kamerun. Hier berichte ich von den letzten zwei Jahren meines Abenteuers, als ich von Marokko nach Tunesien reiste. Eine einfache Reise, die sich zu einem Hindernislauf entwickelte.

Ich beschloss 2023, mit einigen Freunden von Marokko nach Tunesien zu reisen. Eine einfache Sache, wenn Andere nicht beschlossen hätte, die Grenzen für uns zu schließen. Da ich nicht einfach das Flugzeug nehmen konnte, beschloss ich, die Grenzen auf dem Landweg zu überqueren. Ich machte mich von Casablanca aus auf den Weg nach Oujda. Diese Stadt liegt nahe der marokkanisch-algerischen Grenze. Vor dem Hintergrund der politisch angespannten Situation zwischen den beiden Ländern ist diese Grenze sehr streng überwacht. Offiziell ist die Grenze dicht, niemand darf hier hin oder herreisen, weder Marokkaner:innen, Algerier:innen noch sonst irgendwelche Staatsangehörigen. Ohne „Guides“ kommt man nicht über diese Grenze. In Oujda gibt es marokkanische und Schwarze „Guides“, die die Grenzüberquerung organisieren.

Auf den Straßen von Oujda kann Dir alles Mögliche passieren. Die Menschen, denen Du begegnest, können gute oder schlechte Absichten haben. Eigentlich ist es wie ein Dschungel, in dem man niemandem vertrauen kann. Du kannst entführt werden und sie verlangen Lösegeld von deiner Familie. Traurig, nicht wahr? Aber so ist die Realität hier.

Ich lebte zu dem Zeitpunkt schon seit mehreren Jahren in Marokko und konnte mir unter anderem durch meine humanitären Aktivitäten ein großes Netzwerk aufbauen, was meine Zeit in Oujda erleichterte.

In Algerien

Zwei Tage später brachten uns die „Guides“ nach Algerien. Die erste Stadt nach der Grenze auf algerischer Seite heißt Maghnia. Dort nahm ich den Zug nach Oran. Bis zu diesem Zeitpunkt verlief meine Reise relativ reibungslos. Und das, obwohl der algerische Staat besonders repressiv mit Migrant:innen umgeht und das Dasein für einen undokumentierten Migranten nicht einfach ist. Man riskiert Festnahmen, basierend auf Racial Profiling, anschließend die Abschiebung in die Wüste von Niger, was sehr schlimm und manchmal auch tödlich enden kann. Eine Erfahrung, die ich niemandem empfehlen kann, Wallah!

An meinem dritten Tag in Oran wurde mir mitgeteilt, dass es in zwei Tagen zu Festnahmen und Abschiebungen durch die algerischen Sicherheitskräfte kommen würde. Gott sei Dank konnte ich vorher nach Algier und dann nach Tebessa reisen und so möglichen Gewalterfahrungen entkommen.

Tebessa liegt an der Grenze zwischen Algerien und Tunesien - ein weiterer Dschungel, der noch gefährlicher ist als der in Marokko. Dort wird man als Schwarzer Migrant verkauft, als sei man ein Gegenstand, wallah. Es ist ein System, das von böswilligen Menschen betrieben wird. Die Araber transportieren Dich in ihren Autos in Richtung Grenze, aber sie lassen dich nicht am richtigen Ort heraus. Sie verkaufen dich an deinen Schwarzen Bruder. Danach zahlst du die zehnfache Summe, die er für Dich gezahlt hat, um wieder frei zu kommen. Das ist das System.

Aber es gibt auch diejenigen, die wirklich das tun, was sie versprechen und Dich über die Grenze bringen. Ich habe zwei schwierige Wochen an dieser Grenze verbracht. Ich kann mich noch glücklich schätzen, denn einige Leute, von denen wir uns in Oran getrennt hatten, wurden verhaftet und in die Wüste von Niger zurückgeschickt - welch ein Martyrium, das weiß nur Gott.

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In Tunesien

Am Tag der Reise lief alles gut, bis wir von der tunesischen Nationalgarde angehalten wurden. Die Beamten der Nationalgarde beraubten uns all unserer Besitztümer (Geld, Telefon, Kleidung). Viele Frauen waren sexueller Gewalt ausgesetzt. Als sie mit uns fertig waren, setzten sie uns mitten in der Nacht ohne Wasser und Nahrung in einem Buschland ab und forderten uns auf, nach Algerien zurückzukehren. Angesichts der Ausbeutung, die wir in Tebessa erlebt hatten, beschloss ich, mich im Gebüsch zu verstecken, wo ich den ganzen Tag ohne Essen und Trinken verbrachte.

Als es dunkel wurde, traute ich mich, aus meinem Versteck zu kommen und begann, durch den Wald zu laufen. Nach fast fünf Stunden Fußmarsch erblickte ich ein Licht und folgte dieser Spur. Ich kam bei einem sehr freundlichen tunesischen Paar an - Gott segne sie. Es war schon spät in der Nacht, als die Hunde, die für ihre Sicherheit sorgten, zu bellen begannen. Das Paar kam mit einer Taschenlampe und einer Waffe heraus, aber bedrohten mich nicht.

Sie fragten sie mich, was ich dort suchte und wohin ich unterwegs sei. Während ich mich mit dem Ehemann unterhielt, holte die Frau etwas zu essen und Wasser. Ich aß und stellte anschließend die Frage, wie ich nach Tunis gelangen könne. Sie gaben mir zu verstehen, dass es sehr weit weg wäre, 340 Kilometer. Sie zeigten mir jedoch die Richtung, in die ich gehen sollte. Ich bedankte mich bei ihnen und setzte mein Abenteuer fort.

Einige Kilometer weiter stieß ich auf Schienen. Es handelte sich um die Eisenbahnstrecke, die nach Tunis führt. Ich folgte den Schienen vier Tage lang. Am fünften Tag war ich in Tunis. Meine Füße waren sehr geschwollen. Ich hatte Glück, dass ich in Tunis viele Freunde hatte, die mich unterstützten, und so kam ich nach fast einem Monat in Tunesien an – andere brauchen dafür länger und manche kommen niemals am Ziel an…

Ich schaffte es, eine Wohnung in Tunis zu bekommen, genauer gesagt im Viertel Arianna. Alles schien gut zu laufen und ich begann, zu glauben, dass ich meinen Brüdern aus der Community weiterhin helfen könnte, wie ich es in Marokko getan hatte. Personen aus meinem Bekanntenkreis, die in Tunesien ankamen, konnten bei mir wohnen, bis sie ein Dach über dem Kopf gefunden hatten. Nach Ansicht der tunesischen Behörden wird diese Form der Solidarität als illegal eingestuft, aber ich sehe das anders.

Eines Abends versuchten einige Tunesier, eine Gruppe von drei Schwarzen zu überfallen, die aus meinem Haus kamen. Sie wollten sich verteidigen und es kam zu einer Schlägerei. Es gab einen Tumult und ein Mob begann, in die Wohnungen von Schwarzen Migrant:innen einzudringen, sie zu zerstören zu und alles mitzunehmen, was ihnen nützlich erschien. Ich war zu diesem Zeitpunkt zu Hause. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Ich sah mir gerade das Spiel des Afrika-Cups Kongo gegen Guinea an, als mein Freund mich anrief, dass es auf der Straße schlimm sei. Er bat mich, nicht rauszugehen. Ich informierte ich meinen Vermieter über die Ereignisse, aber der Mob, der bereits die ganze Nachbarschaft überfallen hatte, drang schließlich in meine Wohnung ein und sie nahmen alles mit, was sie tragen konnten. Der Vermieter kam erst, als die Angreifer schon weg waren.

Ein paar Minuten nachdem der Vermieter gegangen war, kam die Polizei. Sie fragten nicht, was passiert war, und baten um keine Erklärung. Sie nahmen mich mit auf die Polizeiwache. Ich dachte, es ginge um eine Zeugenaussage und ging widerstandslos mit. Auf der Polizeiwache wurde ich in einen Raum gebracht. Dann holte mich ein Polizist ab und wir gingen in sein Büro. Er fragte er mich nur: „Wie heißt du? Aus welchem Land kommst du? Wie alt bist du? Wie heißt deine Mutter? “

Als ich damit fertig war, ihnen die Antworten auf all ihre Fragen zu geben, fertigte der Polizist einen sechs Seiten langen Bericht auf Arabisch an und bat mich, zu unterschreiben. Als ich mich weigerte, weil ich den Inhalt des Berichts nicht lesen konnte, gab er mir zu verstehen, dass dies das Verfahren sei und dass ich danach nach Hause gehen könnte – eine blanke Lüge, wie ich später feststellen musste. Ich unterschrieb und einige Minuten später begleitete mich ein anderer Polizist zum Staatsanwalt. Dann schickte mich der Staatsanwalt wieder zum Richter. So landete ich im Gefängnis von Mornaguia.

Im Gefängnis

Stell dir vor, Du sitzt in deinem Wohnzimmer und schaust ein Fußballspiel und innerhalb von 24 Stunden bist du von der ganzen Welt abgeschnitten und sitzt in Haft. Das Erste, was mir weggenommen wurde, war mein Telefon. Man ließ mir nicht einmal die Zeit, einen Angehörigen oder einen Anwalt zu kontaktieren. Sechs Monate lang sollten sie kein Lebenszeichen von mir erhalten. Viele meiner Freunde, Familie und Bekannte waren sehr besorgt.

Ich wurde von einem tunesischen Richter zu sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt, weil ich mich ohne Aufenthaltstitel in Tunesien aufgehalten hatte. Nachdem ich gezwungen worden war, den Polizeibericht zu unterschreiben, erfuhr ich, dass darin stand, dass ich bei einer Schlägerei in einem Café die Fensterscheiben eingeworfen hätte. Ich machte dem Richter klar, dass ich nicht in dem Café war und dass mein Haus verwüstet wurde und dass ich die Beweise auf meinem Handy hatte und dass sie die Kameras des Cafés überprüfen konnten: Ich war nicht dort gewesen. Aber in Tunesien haben Schwarze Menschen keine Rechte. Die Verhandlung dauerte nicht einmal zwei Minuten, dann wurde das Urteil gefällt - ohne Anwalt oder Übersetzung. Und ich kam wieder ins Gefängnis.

Die tunesischen Gefängnisse gleichen der Hölle. Ich wünsche es niemandem, hier Zeit verbringen zu müssen. Wenn man einmal dort ist, ist man von der Außenwelt abgeschnitten. Die einzige Möglichkeit, von dort zu kommunizieren, ist per Brief. Die Briefe werden vom Sozialdienst und von der Caritas verwaltet. Minderjährige und Volljährige werden in Gruppenzellen festgehalten. In den Zellen, die für 40 Personen vorgesehen sind, werden 100 Personen festgehalten. Es ist ein Martyrium, vor allem bei der Hitze. Die Mahlzeiten sind alles andere als ausgewogen oder appetitlich, aber du bist gezwungen zu essen. Ohne Besuchsrecht gibt es keine Möglichkeit, an andere Lebensmittel heranzukommen.

Als ich entlassen wurde, hatte ich meinen kompletten Hausstand verloren und war gezwungen, von Null anzufangen. Gott sei Dank bekam ich Unterstützung von Freunden und Familie, und konnte so größte Härten abwenden. Die tunesischen Präsidentschaftswahlen standen an und die Zahl der Verhaftungen von Schwarzen war rasant angestiegen. Also beschloss ich, Tunis zu verlassen und in die Küstenstadt Sfax zu ziehen. Alle, die während der Wahlen verhaftet wurden, kamen ins Gefängnis. Andere wurden nach Libyen abgeschoben - ein weiteres Martyrium, denn die Tunesier verkaufen dich an die Libyer, die dich ins Gefängnis stecken und erst wieder rauslassen, wenn deine Familie das Lösegeld bezahlt hat. Später wurden auch Massengräber in der Wüste der Grenzregion zwischen den beiden Ländern gefunden.

Angesichts all dieser Umstände wurde mir klar, dass ich in diesem Land nicht bleiben konnte, und ich beschloss, nach Marokko zurückzukehren. Trotz allem, was ich unterwegs erlebt hatte, entschied ich mich, wieder nach Marokko zu fahren. Meine Rückreise dauerte 45 Tage – seitdem habe ich zumindest in Marokko meine Ruhe. Im Februar kam ich mehrere Wochen in der Stadt Agadir bei einem Freund unter, der mich für einige Zeit bei sich aufnahm. Aktuell lebe ich wieder in Casablanca.