Im Sudan gerät die Revolution ins Kreuzfeuer / In Sudan, the Revolution Is Caught in the Crossfire

May 2nd, 2023 - written by: migration-control.info, Sara Abbas & Andreas Bohne

Intro EN Below.

Please find the EN version of the interview on https://www.rosalux.de/en/news/id/50304/in-sudan-the-revolution-is-caught-in-the-crossfire

We thank RLS for their cooperation.

Intro DE

In Kooperation mit Sudan Uprising Germany hat Migration-control.Info seit Februar eine Artikelserie zu Migrationsbewegungen und -kontrolle in und aus dem Sudan veröffentlicht - bislang sind es zwei: "Vom Horn von Afrika zum Mittelmeer" und "Die Erfahrungen sudanesischer Migrant*innen in Libyen." Folgen sollen Artikel über die Unterstützung der EU für die RSF unter Hemedti, über die Lage geflüchteter Frauen und eritreischer Geflüchteter in Khartoum, über den Zusammenhang von Migration und Revolution im Sudan, und weitere.

Die Texte sind durch die Eskalation des Kriegs zwischen den Militärs, die offenbar wieder stärker von ehemals al-Bashir-treuen islamistischen Kräften kontrolliert werden, und den Milizen unter der Führung Hemedtis nicht mehr aktuell und müssen überarbeitet werden – wenn die Kommunikation in den Sudan wiederhergestellt ist.

Die Situation im Sudan ist unübersichtlich und ändert sich stündlich. Informationen darüber dringen nicht leicht aus dem Land raus, auch aufgrund gekappter Internetverbindungen. Sara Abbas, eine mit Sudan Uprising Germany verbundene Sozialforscherin, war noch kurz vor Ausbruch des Kriegs im Sudan und hat mit Andreas Bohne (RLS) gesprochen. Wir veröffentlichen ihr Interview hier auf deutsch - es sind zur Zeit die besten und aktuellsten uns bekannten Informationen und Einschätzungen.

Sara Abbas spricht unter anderem über die Basisstrukturen der sudanesischen Revolution, die revolutionären Nachbarschaftskommittees. Diese rufen dazu auf, sich nicht auf eine Seite zu schlagen. Denn al-Burhan und Hemedti wollen ihre Macht um jeden Preis erhalten: «Was sich im Sudan abspielt, ist ein Kampf unter Mafiosi, und die Welt läuft davor weg», wie Alex de Waal geschrieben hat.

Seit Ausbruch der Gewalteskalation haben die revolutionären Nachbarschaftskomitees auch Strukturen gegenseitiger Hilfe und einer medizinischen Nothilfe eingerichtet, denen es an jeglichem Material fehlt. Die Transportwege sind derzeit geschlossen. Diese Komitees sind eine Art von "Weltkulturerbe". Die Revolutionäre Charter, die wir hier in ihrer vorläufigen Form veröffentlichen, beschreibt neben dem Schutz der "nationalen" Ressourcen auch den Schutz der Migrant*innen und die Repräsentation der Geflüchteten in den Lagern. Und sie beschreibt eine durch Räte strukturierte politischer Organisierung in einem Kontext, der auf unterschiedlichen Ebenen durch Spannungen geprägt ist:

"Sudan as Crossroads" für die Migrant*innen, "Sudan at Crossroads" für die weitere Entwicklung - im Sudan stoßen viele Konflikte des globalen Südens aufeinander: Konflikte zwischen Stadt und Land, zwischen Pastoralisten und Bäuer*innen, zwischen Eliten und Enteigneten, zwischen Zivilgesellschaft und Militär, zwischen Entwicklungsagenturen und lokaler Bevölkerung und ganz allgemein zwischen Kapitalakkumulation und den Überlebensinteressen der Bevölkerungen. In diesem Spannungsfeld bewegen sich neben den regionalen Mächte auch globale Akteure.

Sara Abbas beschreibt, dass auch internationale Interessen an den Kämpfen im Sudan Teil haben. Die VAE wollen Gold und Land, Russland strebt Waffenhandel und Militärstützpunkte an, die russischen Wagner Truppen möchten sich Zugang zu Gold und Einfluss sichern, El-Sisi möchte Ägyptens Seniorität und die Verknüpfung von wirtschaftlicher und militärischer Macht stärken. Süd-Sudan, bislang eher als Ort der Massaker und der Warlords bekannt, mausert sich derweil zum Sicheren Hafen.

Und auch Europa hat eigene Interessen im Sudan: Migrationskontrolle nimmt dabei einen besonderen Stellenwert mit ein. Europäische Staaten und die EU haben sudanesische Milizen und Militär finanziell und durch Technologie und militärisches Gerät dabei unterstützt, Migrant*innen aufzuhalten. Dennoch spricht Europa die Sprache der Menschenrechte und hat gelernt, hinter dem menschenrechtlichen "wording" eine Politik des Verhungern-lassens, des Ertrinken-lassens und des Verdursten-lassens zu implementieren und hat sich mit Kriegs- und Vernichtungszonen im Sahel, in Libyen, im Mittleren Osten, Ukraine und Belarus arrangiert.

Zu gern würden wir an die "Feministische Außenpolitik" und die Europäische Zivilgesellschaft appellieren, statt der Generäle im Sudan die Revolution und die Nachbarschaftskomitees zu unterstützen. Deshalb unterstützen wir den Aufruf unserer Freund*innen aus dem Sudan an die Europäische Union und europäische Politiker*innen, doch die politische Lage in Europa macht keine grossen Hoffnungen. Die internationale Gemeinschaft lässt die Menschen im Sudan im Stich und die Nachbarschaftskomitees stehen zunehmend unter Druck. Der Unterstützung der sudanesischen Diaspora können wir uns nur anschliessen, und zumindest die Öffnung der Grenzen für alle jene fordern, die den Kämpfen im Sudan entkommen sind.

Intro EN

In February this year, Migration-control.Info started to publish a series of articles on migration movements and control in and from Sudan - so far there are two articles, "From the Horn of Africa to the Mediterranean" and "The experiences of Sudanese migrants in Libya". Still unpublished are articles on EU support for the RSF under Hemedti, on the situation of refugee women and Eritrean refugees in Khartoum, on the connection between migration and revolution in Sudan and more.

The articles are out of date due to the escalation of the war between the Sudanese military and the militias under Hemedti's leadership. The articles need to be re-edited – when communication to Sudan is restored, that is at the moment difficult to uphold. The situation in Sudan is confusing and changes constantly. Information do not get out of the country, in part because of cut Internet connections. To share the best and most up-to-date information and assessments we have, we publish a German translation of an interview with Sara Abbas, a social researcher associated with Sudan Uprising Germany, who was in Sudan a short time before the war broke out.

In the interview, Sara Abbas discusses the basic structures of the Sudanese revolution, the revolutionary neighborhood committees. These call for not taking sides as al-Burhan and Hemedti want to maintain their power at all costs: "What is happening in Sudan is a mobster shootout, and the world is running away from it", as Alex de Waal wrote. This will have devastating consequences.

Since the outbreak of the escalation of violence, the revolutionary neighborhood committees have set up structures of mutual aid and emergency medical assistance that lack any material. Transportation routes are currently closed. The committees are a kind of "world heritage". The Revolutionary Charter, which we publish here in its preliminary form, describes not alone the protection of "national" resources, but also the protection of migrants and the representation of refugees in the camps. And it describes a restructuring of political organizing with councils, in a context marked by tensions at different levels.

"Sudan as Crossroads" for the migrants, "Sudan at Crossroads" for further development - in Sudan many conflicts of the global South collide: conflicts between urban and rural areas, between pastoralists and peasants, between elites and dispossessed, between civil society and the military, between development agencies and local populations, and more generally between capital accumulation and the survival interests of populations. In addition to regional powers, global actors also move in this field of tension.

Sara Abbas further describes how international interests also have a stake in the fights in Sudan: The UAE pursues gold and land, Russia seeks arms trade and military bases, Russian Wagner troops want to secure access to gold and influence, and el-Sisi wants to strengthen Egypt's seniority and linkage of economic and military power. Meanwhile, South Sudan, hitherto known as a place of massacres and warlords, is morphing into a safe haven.

Europe pursues as well its own interests in Sudan, in particular the control of migration control. European states and the EU have supported Sudanese militarized structures financially and with technological and military equipment to stop migration movements. Yet, Europe uses the language of human rights and has learned to implement a policy of letting people starve, die of thirst and drown behind the human rights "wording" and has come to terms with war and extermination zones in the Sahel, Libya, the Middle East, Ukraine and Belarus.

We would appeal to the "Feminist Foreign Policy" and the European civil society to support the revolution and the neighborhood committees instead of the generals in Sudan. Therefore, we support the appeal of our friends from Sudan to the European Union and European policymakers. But the political situation in Europe does not give much hope. The international community is abandoning the people of Sudan and the Neighborhood Committees are under increasing pressure. We can only join the support of the Sudanese diaspora and demand as a minimum the opening of the borders for all those who have escaped the fighting in Sudan.

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Im Sudan gerät die Revolution ins Kreuzfeuer

Während die Kämpfe eskalieren, fordern die sozialen Bewegungen des Landes einen sofortigen Waffenstillstand.

Von
Sara Abbas, Andreas Bohne (RLS)
Sara Abbas ist eine in Berlin lebende Politikwissenschaftlerin, die bei SudanUprising Deutschland aktiv ist.

Wie ist die Lage vor Ort in Khartum im Moment? Stehen Sie mit den Menschen dort in Kontakt?

Ja, ich stehe seit dem Ausbruch der Kämpfe vor etwas mehr als einer Woche mit meiner Familie, meinen Freunden und meinen Kameraden in Kontakt, aber in einigen Gebieten ist der Strom seitdem ausgefallen.

Die Lage ist im Moment sehr schlecht. Khartum ist stark betroffen, aber auch in anderen Landesteilen kam es zu tödlichen Kämpfen, insbesondere in Geneina, Al-Fashir und Nyala in Darfur im Westen des Landes sowie in El-Obeid in Kordofan und in Merowe im Norden des Landes. Sowohl in Khartum als auch in Darfur und anderen Gebieten sind viele zivile Opfer zu beklagen - bis zum 21. April wurden rund 420 Menschen getötet und 7.300 verletzt. Die Zahl der getöteten und verletzten Soldaten, ob vom Militär oder von den schnellen Eingreifskräften, ist nicht bekannt.

Die Kämpfe richten riesige Schaden an, da sie in dicht besiedelten städtischen Gebieten ausgetragen werden. Die Kriegsparteien haben Kanonen und Panzer, Panzerfäuste und sogar Kampfjets und Flugabwehrraketen eingesetzt. Zahlreiche Infrastrukturen wurden beschädigt, darunter auch Flughäfe, Krankenhäuser und Kraftwerke.

Den Krankenhäusern sind die ohnehin knappen medizinischen Vorräte ausgegangen, und da viele direkt angegriffen oder zwangsevakuiert wurden, waren viele gezwungen, ihre Türen zu schließen und Patienten überstürzt zu evakuieren. In vielen Stadtvierteln wurde der Strom abgeschaltet, doch noch besorgniserregender sind die Wasserversorgung und die Lebensmittelvorräte, die in vielen Gebieten, in denen es zu Zusammenstößen kommt, nicht vorhanden oder gefährlich niedrig sind.

Zunächst wurde den Menschen von den lokalen Widerstandskomitees und zivilgesellschaftlichen Organisationen geraten, zu Hause oder an einem sicheren Ort in ihrer Nähe Schutz zu suchen. Einige Gebiete wurden evakuiert, weil es nicht mehr möglich war zu bleiben - die Familien meines Vaters und dreier meiner Tanten in Khartum waren beispielsweise gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und bei Verwandten in anderen Teilen der Stadt unterzukommen. Viele Familien wissen nicht, wo sich Angehörige befinden, weil sie unterwegs waren, als die Kämpfe ausbrachen, und nicht nach Hause kamen.

Einige der Mobilfunknetze funktionieren nicht mehr, und das Internet ist auf wenige Anbieter beschränkt. Es gibt auch viele Berichte über Soldaten, insbesondere RSF-Milizionäre, die in die Häuser der Menschen eindringen und plündern.

In den letzten Tagen, als klar wurde, dass sich die Lage verschlechtert, sind viele in andere Gebiete oder nach Norden in Richtung Ägypten geflohen, in der Hoffnung, die Grenze überqueren zu können. Der Tschad hat seine Grenzen schon früh geschlossen, so dass Tausende Menschen aus Darfur festsitzen. In den letzten zwei Tagen haben die westlichen Länder größtenteils ihr Botschaftspersonal evakuiert, wenn nicht sogar alle ihre Bürger. Einige andere Länder haben dasselbe getan.

In den internationalen Medien wird der Konflikt als ein Konflikt zwischen der sudanesischen Armee und den Rapid Support Forces dargestellt. Wer sind letztere, und wen repräsentieren sie in der sudanesischen Gesellschaft?

Dies sind die beiden Hauptkonfliktparteien, aber in den meisten Medienberichten fehlen Nuancen. Die Teile des sudanesischen Militärs, die hinter dieser Gewalt stehen, sind im Sudan als "al-Bashirs Sicherheitskomitee" bekannt - hochrangige Generäle, die Teil der Diktatur von Omar al-Bashir waren und die Macht übernahmen, als dieser durch den Aufstand im April 2019 gestürzt wurde.

Diese Gruppe wird von Abdel Fatah al-Burhan angeführt, der das Militär und sein riesiges Wirtschaftsimperium kontrolliert. Es sind dieselben Männer, die sich während der Phase der Machtteilung von August 2019 bis Oktober 2021 den Souveränitätsrat mit zivilen Akteuren teilten, bis die Generäle und ihre jetzigen Feinde, die Schnellen Eingreifskräfte (RSF), gemeinsam einen Staatsstreich verübten, der die Vereinbarung beendete. Seitdem führt das Militär eine Terrorkampagne zur Konsolidierung der Macht.

Hinter dem Sicherheitskomitee des Militärs stehen Überbleibsel der islamistischen Bewegung von al-Bashir, die so genannte "Schattenbrigaden" betreiben. Sie sind keine formellen Organe, sondern arbeiten im Geheimen auf der Grundlage von Loyalitäten und unter der Schirmherrschaft bestimmter Personen. Das ehemalige Regime will sich mit konterrevolutionären Methoden wieder etablieren, und der beste Weg dazu ist das, was es seit Beginn der Revolution tut: Konflikte schüren und ethnische Spannungen anheizen.

Die RSF ist eine Miliz bzw. verschiedene Milizen unter dem Kommando von Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als "Hemedti". Sie wurden von al-Bashir aus den Überresten der "arabischen" Milizen rekrutiert, die aus den Hirtengemeinschaften in Darfur stammten und als „Dschandschawid“ bekannt waren. Die Dschandschawid waren ein wichtiges Instrument des Regimes bei der Verübung des Völkermords in Darfur.

Da das Misstrauen gegenüber seinem eigenen Militär wuchs, machte al-Bashir die RSF nominell zu einem Bestandteil des Militärs und gab ihr 2017 einen Stützpunkt in Khartoum. Von diesem Zeitpunkt an wurde die RSF nicht nur zu einer paramilitärischen Gruppe zur Aufstandsbekämpfung, sondern auch zu einem Instrument zur Unterdrückung von Protesten in der Hauptstadt und anderen Städten außerhalb der "Kriegsgebiete". Die Miliz wuchs enorm und diversifizierte sich, indem sie die Kontrolle über lukrative Goldminen übernahm und die Schirmherrschaft der Regionalmächte Saudi-Arabien und der Vereinigten Arabischen Emirate sowie Russlands erlangte. Sie haben auch für Khalifa Haftar in Libyen gekämpft und sind die "Grenzwächter" entlang der westlichen und nordwestlichen Grenzen - ein Ergebnis der Migrationsagenda der Europäischen Union.

Wenn man bedenkt, dass beide Seiten im aktuellen Konflikt aus dem Militär kommen, wo liegen dann die Grenzen?

Als al-Bashir im April 2019 gestürzt wurde und sein Sicherheitskomitee die Macht übernahm, trat Dagalo, der Anführer der RSF, diesem als Stellvertreter bei. Das vom Westen unterstützte Verfassungsdokument vom August 2019, mit dem die Teilung der Macht zwischen Militär und zivilen Akteuren eingeleitet wurde, stärkte die RSF weiter, indem es die paramilitärische Gruppe legitimierte und sie als Parallelkraft zum Militär etablierte.

Viele im Militär sind seit langem beunruhigt über die wachsende Macht der RSF, aber bei dem Wettbewerb geht es nicht nur um Status oder politische Macht, sondern auch um wirtschaftliche Aspekte. Sowohl das Militär als auch die RSF kontrollieren einen großen Teil der Wirtschaft: Krankenhäuser, Immobilien, Land, Goldminen, Bauunternehmen und sogar ganze Industriezweige. Sie haben viele Jahre lang, wenn auch ungern, aber effektiv, zusammengearbeitet und den Kuchen zwischen sich und al-Bashirs Kumpanen aufgeteilt. Jetzt, da der Kuchen aufgrund des totalen Zusammenbruchs der sudanesischen Wirtschaft unter der Militärherrschaft schrumpft und der Druck für eine zivile Kontrolle des Staates wächst, versucht jeder, den anderen zu beseitigen, wobei das sudanesische Volk ins Kreuzfeuer gerät.

Burhan und Dagalo ist es seit ihrem Putsch im Jahr 2021 nicht gelungen, die Macht zu konsolidieren oder eine Regierung zu bilden. Die Wirtschaftskrise hat ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht, und die Staatskassen sind leer. Trotz der Verhaftungen und der Unterdrückung ist die revolutionäre Bewegung, die von den Widerstandskomitees, den Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen angeführt wird, nicht ausgelöscht worden. Sie organisiert sich weiter und macht es den Burhans und Dagalos unmöglich, im Sudan wieder zur "Tagesordnung" überzugehen.

Wie kam es dann zu dieser plötzlichen Eskalation?

Seit Monaten sind die RSF und das Militär gezwungen, Gespräche mit den zivilen Kräften für Freiheit und Wandel (FFC) zu führen, mit denen sie 2019 das Abkommen über die Machtteilung unterzeichnet haben. Die Gespräche werden von der Abteilung für politische Angelegenheiten der Vereinten Nationen organisiert und vom UN-Vertreter im Sudan, Volker Perthes, geleitet. Er wird von verschiedenen anderen Akteuren unterstützt, darunter der "Troika" aus den USA, Norwegen und dem Vereinigten Königreich, die seit dem sogenannten "Umfassenden Friedensabkommen" im Jahr 2005, das schließlich zur Unabhängigkeit des Südsudan führte, in der sudanesischen Politik eine Rolle spielen.

Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen mit der politischen Elite statt, sowohl mit zivilen als auch mit militärischen Akteuren. Die Kommunikation mit der sudanesischen Bevölkerung außerhalb dieser Kreise bestand darin, Argumente für das 2019 gescheiterte Machtteilungsabkommen zu wiederholen und die Idee zu verkaufen, dass das Militär und die Milizen die Macht bereitwillig abgeben würden. Die Widerstandskomitees - die führende revolutionäre Kraft im Land - haben nicht nur das Abkommen, sondern auch jegliche Verhandlungen größtenteils abgelehnt.

In den letzten Monaten wurde ein Termin nach dem anderen für die Unterzeichnung des Abkommens verpasst, und in jüngster Zeit mehrten sich die Anzeichen für Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Militär und der RSF über die Sicherheitsvereinbarungen. Dabei geht es vor allem um die Frage der Eingliederung der RSF in das Militär und den entsprechenden Zeitrahmen dafür.

Ich war bis Anfang des Monats in Khartum, und es gab bereits Anzeichen für eine zunehmende Militarisierung der Stadt. Die Fahrzeuge der RSF begannen sich an bestimmten Orten zu sammeln, und das Militär verstärkte daraufhin seine eigene Präsenz. Zivilgesellschaftlichen Quellen in Khartum zufolge ist dies seit der Unterzeichnung des Rahmenabkommens im Januar der Fall. Die Situation spitzte sich am 15. April zu: Nach Angaben der RSF griff das Militär in einer koordinierten Aktion ihre Kräfte in der Nähe des Flughafens Merowe im Norden des Landes und an anderen Orten an. Kurz darauf erklärte das Militär die RSF zu einem Staatsfeind.

Einige westliche Kommentatoren behaupten, dass der Angriff der RSF vom Kreml angestiftet oder zumindest unterstützt wurde. Ist an diesen Behauptungen etwas Wahres dran?

Zumindest sind sie bisher nicht bewiesen worden. Ich denke, es ist zu früh und wahrscheinlich übertrieben zu sagen, dass Russland dazu angestiftet hat. Abgesehen davon gibt es mehrere Mächte mit Interessen im Sudan, darunter auch Russland. Die RSF steht dem Kreml nahe - Russland profitiert seit geraumer Zeit vom Goldschmuggel aus dem Sudan über die RSF, den der Kreml zum Aufbau von Reserven für seinen Krieg mit der Ukraine nutzte, um die Auswirkungen der Sanktionen auszugleichen.

Tatsächlich besuchte Dagalo Putin in Moskau genau in der Woche, als Russland in die Ukraine einmarschierte. Russland ist weiterhin daran interessiert, einen Stützpunkt an der sudanesischen Küste des Roten Meeres zu errichten, und hat sich auch mit anderen Staaten darum bemüht, war aber bisher erfolglos. Die Wagner-Gruppe ist ebenfalls in der Region aktiv, insbesondere an der Grenze des Sudan zur Zentralafrikanischen Republik. Es wird angenommen, dass die Wagner-Gruppe und der russische Staat für die Überwachungstechnologie und den Medienapparat der RSF, insbesondere für ihre Propagandakapazität, von entscheidender Bedeutung sind, aber auch das Militär hat seine eigenen Förderer und Propagandaapparat.

Was ist mit anderen Staaten? Ergreifen sie in dem aktuellen Konflikt Partei?

Das sudanesische Militär steht seinem "großen Bruder", dem ägyptischen Militär, nahe. Ägypten hat den Sudan immer als seinen eigenen Hinterhof mit entscheidenden wirtschaftlichen und strategischen Interessen betrachtet. Das el-Sisi-Regime macht das nicht anders. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind ebenfalls Schirmherren: Burhan und Dagalo buhlen seit langem um die Gunst dieser beiden Länder, die sich seit Beginn der Revolution im Dezember 2018 als konterrevolutionäre Kräfte betätigt haben. Auch die Türkei und Israel sind auf die eine oder andere Weise beteiligt.

Die EU hat mit al-Bashir in Sachen Migration Geschäfte gemacht und investiert weiterhin stark in "Stabilität" und "Grenzmanagement", für die der Sudan als wichtiges Herkunfts- und Transitland für Migrant*innen von zentraler Bedeutung ist. Nach dem Putsch im Oktober 2021 wandte sich Dagalo öffentlich an die EU und erklärte, es sei in ihrem Interesse, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. Im Laufe des vergangenen Jahres hat die RSF mit ihrem mächtigen Medienapparat mehrere Videos in mehreren europäischen Sprachen verbreitet, in denen sie sich als humanitärer Akteur an den Grenzen darstellt.

Der Konflikt in Libyen, an dem die NATO beteiligt war, die Grenzpolitik der EU und der von den USA geführte "Krieg gegen den Terror" in der Sahelzone haben auch den Sudan beeinflusst - sowohl in Bezug auf die Zirkulation von Söldnern, zu der die RSF beigetragen hat und von der sie profitiert, als auch in Bezug auf die Zirkulation von Waffen.

Wie hat die Zivilgesellschaft auf die Gewalt reagiert? Was ist mit den Nachbarschaftskomitees und den linken Kräften, die den Aufstand 2019 vorangetrieben haben?

Zunächst halte ich es für wichtig festzustellen, dass der Aufstand im Sudan seit Dezember 2018 andauert. Die Bewegung ist mal stärker, mal schwächer, aber sie war immer aktiv. Bevor ich Ihre Frage beantworte, muss ich sie daher in den Kontext stellen.

Das revolutionäre Projekt im Sudan ist eine der bedeutendsten Bewegungen für Veränderungen in der heutigen Welt - es ist nicht nur antiautoritär, sondern im Kern antikolonial. Der Grund dafür ist, dass der Sudan seit der Unabhängigkeit von Eliten aus den Regionen des Nilbeckens regiert wird, die andere Regionen ausbeuten und eine nationale Hierarchie aufrechterhalten, die auf Region, Klasse, Geschlecht und Ethnizität basiert.
Der Staatsstreich vom Oktober 2021 hat die Bewegung nur vertieft und ihr geholfen, eine Vision zu entwerfen, die über die Protestpolitik hinausgeht, wie es in der revolutionären „Charta für die Macht des Volkes“ zum Ausdruck kommt, die das Ergebnis intensiver Arbeit in den Gemeinden ist. All diese Arbeit - die Jahre des Aufbaus der organisatorischen Kraft, das Leben unserer jungen Leute, das für die Verteidigung der Revolution gestohlen wurde - ist durch den aktuellen Krieg bedroht.
Seit Ausbruch der Gewalt arbeiten die Widerstandskomitees und andere Gruppen in ihren Vierteln, um gegenseitige Hilfe zu organisieren. Am ersten Tag der Kämpfe gaben die Koordinationsgremien der Widerstandskomitees von Khartum eine klare Erklärung ab:

Wir fordern alle nationalen zivilen und politischen Kräfte auf, die Einheit des Sudan, unser Volk und unser Land zu schützen. Wir rufen sie auf, die Alarmglocke zu läuten, sich für die Schaffung einer breiten Front für den Frieden einzusetzen und die sudanesische Revolution vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Bürger und ehrenwerte Revolutionäre, bis diese kritische Phase vorüber ist, bitten wir euch, nicht auf die sich gegenseitig aufstachelnden Reden einzugehen, die bereits von den Kriegsparteien verbreitet werden. Bitte bewahrt die Sicherheit in euren Vierteln und Städten und lasst euch sich nicht auf Aufrufe zur Gewalt oder zum Tragen von Waffen ein.

Es wird ein ideologischer, nicht nur physischer Kampf darum geführt, wie man diesen Krieg einordnen soll: als einen Krieg zwischen zwei Optionen, der RSF oder dem Militär, oder vielmehr als einen zwischen dem militarisierten Staat in all seinen Formen und der Revolution, deren Hauptforderung von Anfang an ein vollständig ziviler, demokratischer, vom Volk getragener Staat war. Der Krieg ist nicht nur ein Kampf um die Macht, sondern ein Versuch, die Diktatur zu wiederherzustellen, indem das Militär als Retter dargestellt wird.

Die Komitees fordern seit langem eine Doppelstrategie bezüglich des Militärs - einerseits die Auflösung der RSF und anderer Milizen und andererseits eine grundlegende Reform des Militärs, indem es unter zivile Kontrolle gestellt, die islamistischen al-Bashir-Elemente innerhalb des Militärs entfernt, das Militär nach beruflichen und nicht nach ethnischen Gesichtspunkten umstrukturiert und sein Würgegriff auf die Wirtschaft beseitigt wird.

Eines der größten Probleme, mit denen die Menschen in Khartum konfrontiert sind, sind die schrecklichen Propagandakampagnen beider Parteien, die Gerüchte in die Welt setzen, und die es schwer machen, zu wissen, was tatsächlich passiert. Die Widerstandskomitees, die Ärztegewerkschaften und andere zivile Einrichtungen arbeiten daran, dem entgegenzuwirken, indem sie Informationen über die sozialen Medien bereitstellen, insbesondere um zu verhindern, dass die Menschen versuchen, über unsichere Routen zu fliehen.

Gruppen von Künstlern und jungen Menschen in den Widerstandskomitees und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen mobilisieren sich ebenfalls und haben begonnen, kulturelle und politische Botschaften zu produzieren - Videos, Gedichte, Graffiti usw. -, um eine "dritte Stimme" zu erheben, die nicht für die RSF oder das Militär ist, sondern für die Revolution und den weiteren Aufbau revolutionärer Basisstrukturen, die die Macht des Militärs stürzen können.

Verschiedene Gruppen, insbesondere Widerstandskomitees, arbeiten auch mit der Sudanesischen Ärztevereinigung zusammen, um vor Ort Notfall einzurichten, in denen Verletzte behandelt werden, die nicht in Krankenhäuser transportiert werden können, und um die Bewohner*innen zu betreuen. Diese Einrichtungen sowie normale Bürger*innen helfen auch bei der Versorgung der Bedürftigen mit Lebensmitteln und Medikamenten. Da es in vielen Teilen der Stadt sehr riskant ist, sich zu bewegen, erfolgt ein Großteil der Koordinierung durch die Verbreitung spezifischer Anfragen in den sozialen Medien und die Weitergabe des Standorts und der Kontaktperson der bedürftigen Person. Aber der Zugang zum Internet ist nun wirklich bedroht.

Diese Bemühungen sind zwar ein Beweis für die organisatorische Tiefe und Breite der revolutionären Bewegung im Sudan und für die sudanesische Kultur der gegenseitigen Hilfe, aber sie reichen nicht aus. Ein Waffenstillstand ist dringend erforderlich, ebenso wie medizinische und humanitäre Hilfe sowie sichere Wege innerhalb und außerhalb der Städte.

Befürchten Sie, dass der Sudan in einen Bürgerkrieg abgleiten könnte, oder könnte der Putsch stattdessen eine zweite Revolution auslösen?

Wir dürfen nicht vergessen, dass im Sudan schon seit Jahrzehnten Bürgerkrieg herrscht, nur eben in Regionen, die weit von der Hauptstadt entfernt sind. Wenn wir das vergessen, besteht die Gefahr, dass die Menschen in Darfur und andere, die seit langem gelitten haben und die in diese neue Phase der Gewalt äußerst verwundbar eintreten, vergessen werden.

Was man aber jetzt sagen kann, ist, dass es eine Verschärfung des Konflikts gibt – in einem Ausßmaß, das es bisher nicht gegeben hat. Die beiden Kriegsparteien sind gut bewaffnet und verfügen über große Streitkräfte. Khartum, die Hauptstadt, wurde noch nie zuvor beschossen und hat den Krieg nie direkt erlebt. Aufgrund der Größe und Dichte der Stadt und weil sich ein Großteil der sudanesischen Infrastruktur, einschließlich des Gesundheitswesens, dort befindet, ist dies äußerst besorgniserregend.

Es besteht also ein massives Risiko, in den Abgrund zu stürzen. Das hätte nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung, sondern auch auf das revolutionäre Projekt. Es würde einen Dominoeffekt in der Region auslösen, da die Menschen in die Nachbarländer fliehen würden. Einige Flüchtlinge sind bereits im Sudan, um sich vor den Kriegen in Tigray, Syrien und anderswo in Sicherheit zu bringen - ihnen droht nun eine erneute Vertreibung. Der Sudan hat bereits jetzt eine der höchsten Populationen vertrieber Menschen der Welt. Was passiert, wenn sich der Konflikt zu einem totalen Krieg ausweitet?

Was würden Sie Linken in Europa sagen, die helfen wollen? Was können wir tun?

Die dringendsten Maßnahmen sind derzeit die Forderung nach sicheren Routen für Zivilisten, medizinische Konvois und humanitäre Organisationen, nach einem sofortigen Waffenstillstand und nach Maßnahmen, die den Fluss von Waffen oder anderer materieller Unterstützung für eine der beiden Parteien unterbrechen. Erst letzte Woche haben wir zum Beispiel erfahren, dass die griechische Regierung einen Vertrag über den Verkauf von Predator-Überwachungsausrüstung an das sudanesische Militär abgeschlossen hat!

Die EU sollte sofort sicherstellen, dass alle ihre Mitgliedstaaten und Verbündeten den Krieg nicht anheizen und alle Schlupflöcher schließen. Dazu gehört auch, die Mitglieder der ironischerweise "Freunde des Sudan" genannten Gruppe von Staaten, die von Deutschland auf dem Höhepunkt der Revolution 2019 einberufen wurde und zu der auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten gehören, zu drängen, sich aus den Kämpfen herauszuhalten und Druck auf die Armee und die RSF auszuüben, damit diese den Krieg beenden.

Es ist äußerst dringend, dass sich die Linke weltweit zusammenschließt, um die Kämpfe im Sudan zu beenden und die Revolution im Sinne der Forderungen der Bewegung zu unterstützen. Alle Regierungen und Organisationen mit Einfluss sollten einen sofortigen landesweiten Waffenstillstand und ungehinderten Zugang für lokale und internationale humanitäre Organisationen sowie Bewegungsfreiheit für die Zivilbevölkerung fordern. Sie sollten die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und der humanitären Praxis einfordern. Die Linke sollte sich dem Diskurs widersetzen, dass das Militär das "kleinere Übel" darstellt - sie sollte stattdessen die Stimmen des sudanesischen Volkes verstärken, das seit vier Jahren klar und deutlich erklärt hat: "Nein zu RSF und Militär, ja zu einem zivilen, demokratischen Staat".

Meiner Meinung nach sind gezielte Sanktionen gegen die Führung des Putsches von 2021, sowohl gegen die RSF als auch gegen das Militär, längst überfällig. Auch Reiseverbote für diese Personen sind notwendig, um zu verhindern, dass sie sich der Verantwortung entziehen oder sich zurückziehen und anderswo neu formieren. Die Waffen- und Finanzströme zu beiden Seiten müssen energischer unterbrochen werden - dies bedeutet, dass Druck auf die Verbündeten der EU und der USA in der Region ausgeübt werden muss, damit sie ihre Interventionen im Land einstellen. Die Zivilgesellschaft im Sudan sollte dabei unterstützt werden, Beweise für die Verbrechen zu sammeln und zu sichern, die in den letzten Tagen von beiden Seiten begangen wurden. Alle Abmachungen, die den Machteinfluss des Militärs ausweiten oder den Führern des Militärs oder der RSF Immunität gewähren, sollten ebenfalls abgelehnt werden.

Aber jetzt, ganz umittelbar, sollten sich alle Anstrengungen auf die humanitäre Seite und die Beendigung der Kämpfe konzentrieren. Ich glaube, dass dies die unmittelbare Priorität sein muss, zusammen mit der Schaffung von sicheren Routen für flüchtende Menschen. Erst wenn das Töten und die Zerstörung aufhören, können wir uns mit der Frage der Regierungsführung und des Übergangs befassen.