Campaign: "Keine Verlängerung der Mandate für EUTM Mali und MINUSMA"
May 28th, 2020 - written by: Initiative gegen das EU-Grenzregime in Afrika
Initiative gegen das EU-Grenzregime in Afrika
Berlin, 24.05.2020
Offener Brief an die Abgeordneten des Bundestags
Keine Verlängerung der Mandate für EUTM Mali und MINUSMA
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 29. Mai werden Sie über die Verlängerung der Mandate für MINUSMA und EUTM Mali abstimmen. Wir möchten Ihnen nahelegen, diese Entscheidung gründlich zu überdenken und dem Einsatz Ihre Zustimmung zu versagen.
Seit nunmehr sieben Jahren stimmt der Bundestag einmal jährlich für den Einsatz der Bundeswehr in Afrika, leider, ohne dass die Debatte die wirklich grundlegenden Fragen aufgreift. Es geht um viel: Nicht nur um fast drei Milliarden Euro, die von allen Ministerien zusammen für Projekte in der Sahelzone für das Haushaltsjahr 2020 vorgesehen sind, davon 43 Prozent für den Einsatz der Bundeswehr in Mali. Es geht viel mehr um das Leben vieler Menschen. Die Sicherheitslage in Mali, darin sind sich alle Beobachter•innen einig, verschlechtert sich zunehmend[1] – trotz der siebenjährigen Intervention. Es droht ein Scheitern wie in Afghanistan.
Welchen Sinn hat ein Militäreinsatz, wenn sich die Lage vor Ort immer weiter von den gesetzten Zielen des Einsatzes wegbewegt? Der Bundesregierung wie auch den Vereinten Nationen fallen in dieser desaströsen Situation nur Durchhalteparolen ein. Doch genügt es noch, sich selbst an den hehren Zielen des Einsatzes zu berauschen, wenn die Ziele zunehmend realitätsfern werden? Vermag der beschworene „integrierte militärisch-zivilen Ansatz“, wirklich „Frieden, Sicherheit und Stabilität“ zu schaffen, gar „Wohlstand und Beschäftigung für alle“?[2] Oder sollen alle Zweifel mit schön klingenden Worten beschwichtigt werden, bis nächstes Jahr?
Der Bericht der Bundesregierung beschreibt sehr eindringlich die Problemlage in dieser Region:
- soziale Konflikte, die von sich islamistisch gebenden Gruppen instrumentalisiert werden;
- kein Vertrauen eines Großteils der Bevölkerung in staatliche Autoritäten, die als korrupt und unfähig wahrgenommen werden;
- Machteliten, die sich durch „Volksferne“ auszeichnen und keinen Willen zur Lösung der Konflikte erkennen lassen.
Doch bei dieser Beschreibung bleibt die Bundesregierung stehen. Die Frage, wodurch diese Probleme bedingt sind, und ob eine militärische Unterstützung von außen zur Wiederherstellung von Staatlichkeit[3] Erfolgsaussichten hat, diese Frage wird nicht gestellt.
Uns drängt sich der Eindruck auf, dass es der Bundesregierung, entgegen ihren Verlautbarungen, gar nicht vorrangig um Sicherheit und Stabilität in Mali geht, zumindest nicht um die Sicherheit der malischen Bevölkerung. Ist etwa der ständige Sitz im Sicherheitsrat, der bei einem Abzug der Bundeswehr in Gefahr wäre, der Grund, der für den Einsatz den Ausschlag gibt, und nicht die hehren Ziele? Oder ist es der Wille, sich neben der alten Kolonialmacht Frankreich keinen Einfluss in der Region verschenken zu wollen? Mit deren Militärmission Barkhane MINUSMA eine Arbeitsteilung eingeht: Frankreich für die direkte blutige Terrorismusbekämpfung, MINUSMA für deren Absicherung.
Oder ist es der Grund, die europäische Sicherheit vor der Gefahr von „Terrorismus, organisierter Kriminalität und illegaler Migration“[4] verteidigen zu wollen, und deshalb mit Militär in diesen Ländern präsent zu sein?
Wir halten diese Formel für schlichtweg falsch. „Illegal“ wurde die Migration in der Sahelzone erst ab dem Zeitpunkt, als die EU mit Finanzhilfen und Druck eine Reihe von Sahelstaaten zu scharfen Anti-Migrationsgesetzen bewegte, bis dahin war Bewegungsfreiheit in der ECOWAS-Zone ein Grundrecht. Und es ist eine Binsenweisheit: Je stärker die Repression, desto stärker sind Migrant•innen auf Fluchthelfer•innen angewiesen. Aus Transportunternehmern wurden Kriminelle gemacht.[5]
Mit einer fragwürdigen Formel kann kein Militäreinsatz begründet werden. Wir schlagen vor, bevor Sie einem sinnlosen Militäreinsatz Ihre Zustimmung geben, sich zuerst mit den negativen Folgen dieser Militäreinsätze zu befassen:
- In einem Interview zog der französische Politikwissenschaftler Marc-Antoine Pérouse de Montclos das Fazit:
„Der Krieg ist nicht zu gewinnen, denn das Grundproblem ist kein militärisches. Die Lösung ist in erster Linie politisch, denn das Grundproblem ist schlechte Regierungsführung und die Unfähigkeit der Staaten, Konflikte anders als durch Repression zu lösen. […] Im Moment hält die internationale Gemeinschaft korrupte und oft autoritäre Regime künstlich an der Macht. Militär- und Finanzhilfe ermutigt nicht zu Reformen, sie ist eine Art Lebensversicherung für diese Regime.“[6]
- Nach Angaben der Menschenrechtsabteilung von MINUSMA begingen reguläre malische Sicherheitskräfte in den ersten drei Monaten des Jahres 2020 101 außergerichtliche Hinrichtungen, 32 Fälle von Verschwindenlassen, 32 Fälle von Folter und 116 willkürliche Verhaftungen.[7]
Kann es sein, dass die Sicherheitskräfte, die EUTM Mali ausgebildet hat, weniger Teil der Lösung als vielmehr Teil des Problems sind?
Es ist keine leichte Aufgabe, die Konsequenzen aus einem gescheiterten Unternehmen zu ziehen. Auch ein Abzug will gut geplant sein – und hoffentlich sein Ersatz durch neue Konzepte zur Unterstützung der Selbstbestimmungsbestrebungen aus der Zivilgesellschaft, nicht korrupter Machteliten.
Mit freundlichen Grüßen
Initiative gegen das EU-Grenzregime in Afrika
Footnotes
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Nach dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 20.03.2020 wurden in diesem Jahr neun malische Soldat•innen und 247 Zivilist•innen getötet. Quelle: https://minusma.unmissions.org/sites/default/files/s_2020_223_e.pdf.
↩ -
Bericht der Bundesregierung zur Lage und zum deutschen Engagement in Mali/Sahel, 25.03.2020, BT-Drs. 19/18080.
↩ -
Ebd. S. 12.
↩ -
So der Bundesaußenminister in seiner Rede am 13.05.2020, BT-PlPr 19/159, S. 19738 C.
↩ -
„Exclusiv im Ersten: Grenzen dicht! Europas Schutzwall in Afrika.“ ARD, 06.08.2018, https://classic.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Exclusiv-im-Ersten-Grenzen-dicht/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=54868894.
↩ -
„Der Krieg ist nicht zu gewinnen“: Interview mit Marc-Antoine Pérouse de Montclos. In: taz, 09.03.2020, https://taz.de/Politologe-ueber-Islamismus-in-Sahelzone/!5666568/.
↩ -
MINUSMA Division des droits de l‘homme et de la protection: Note sur les tendence des violations et abus de droits de l’homme 1er Janvier – 31 Mars 2020. http://minusma.unmissions.org/sites/default/files/note_trimestrielle_sur_les_endances_des_violations_et_abus_des_droits_de_lhomme.pdf S. 5 f.
↩